MÜNCHEN (dpa-AFX) - Im Wirecard-Skandal
Verkündungstermin bedeutet in Zivilverfahren allerdings nicht unbedingt Urteil. Denkbar wäre auch eine umfangreiche Beweisaufnahme, wie der Vorsitzende Richter Helmut Krenek sagte. Insolvenzverwalter Michael Jaffé will die Wirecard-Jahresabschlüsse für 2017 und 2018 mitsamt den dazugehörigen Hauptversammlungsbeschlüssen für nichtig erklären lassen.
Jaffè beziffert in seiner Klage die Überbewertung der Wirecard-Bilanz im Jahr 2017 auf 743,6 Millionen und 2018 auf 972,6 Millionen Euro. Sofern die Kammer dem stattgibt, könnte das dann die Grundlage für Dividenden- und Steuerrückforderungen des Insolvenzverwalters gegen Aktionäre beziehungsweise das Finanzamt sein. Verklagt hat der Insolvenzverwalter die Wirecard AG. Das Unternehmen existiert nur noch als rechtliche Hülle, die kein Geschäft betreibt und weder Vorstand noch Aufsichtsrat hat.
Falls der Insolvenzverwalter gewinnt, würden nach Einschätzung der Anlegeranwältin Daniela Bergdolt auch die Erfolgsaussichten der vielen Aktionärsklagen gegen die Prüfungsgesellschaft EY steigen, die die betreffenden Wirecard-Bilanzen testiert hatte. "Wenn hier festgestellt wird, dass diese Jahresabschlüsse 2017 und 2018 nichtig sind, dann hat das eine durchschlagende Indizienwirkung für alle Prozesse auf Schadenersatz gegen EY", sagte die Vizepräsidentin der Anlegervereinigung DSW nach dem Ende der Verhandlung.
EY widersprach: "Sofern das Gericht bestimmte Mängel eines Jahresabschlusses feststellt, erklärt es diesen für nichtig. Die Feststellung der Nichtigkeit sagt jedoch nichts darüber aus, wer für die Mängel des Jahresabschlusses verantwortlich ist", hieß es in der Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. "Ebenso wenig wird über eine etwaige Pflichtverletzung der mit der Prüfung des Jahresabschlusses befassten Abschlussprüfer entschieden."
Wirecard hatte im Juni 2020 mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt, bis heute ist das Geld nicht aufgetaucht. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der nach wie vor in Untersuchungshaft sitzende Vorstandschef Markus Braun und Komplizen mithilfe gefälschter Bilanzen bei Banken und Investoren Milliarden erschwindelten.
Verbucht waren die vermissten 1,9 Milliarden Euro in den beiden Jahren angeblich bei der Bank OCBC in Singapur. Diese hat nach Angaben der von Jaffé beauftragten Anwaltskanzlei nunmehr offiziell bestätigt, dass das Geld nicht existierte: "Wir haben einen schönen Kontoauszug von über 600 Seiten, der zwar ganz interessant ist, aber leider keine Milliarde ausgewiesen hat", sagte Anwalt Luidger Röckrath. Tatsächlich verbucht war dort demnach eine einstellige Millionensumme./cho/DP/stw
Quelle: dpa-Afx