TALLAHASSEE/WASHINGTON (dpa-AFX) - Nachdem er schwere Verwüstungen in Florida angerichtet hat, bewegt sich Hurrikan "Ian" auf die nächste US-Küste zu. Mit Windgeschwindigkeiten von 120 Kilometern pro Stunde nahm er am Donnerstag (Ortszeit) Kurs auf South Carolina. Auch in den Bundesstaaten North Carolina und Georgia warnte das US-Hurrikanzentrum vor gefährlichen Sturmfluten.
"Ian" war am Mittwoch als einer der stärksten Hurrikans in der Geschichte Floridas auf Land getroffen und hatte heftige Winde, Starkregen, Sturmfluten und Überschwemmungen mit sich gebracht. Der Wirbelsturm zog quer über den Bundesstaat. Auf Videobildern waren zerstörte Häuser und Brücken, überflutete Straßen und zahlreiche an Land gespülte Boote zu sehen.
Die Behörden hielten sich am Donnerstag mit Schätzungen zur Zahl der mutmaßlichen Todesopfer zurück - hatten aber keine Zweifel, dass der Hurrikan Menschenleben gekostet hat. "Wir erwarten absolut, dass es Todesfälle gab", sagte Floridas Gouverneur Ron DeSantis am Donnerstagabend. Bisher gebe es aber keine bestätigten Zahlen. US-Präsident Joe Biden äußerte düstere Befürchtungen: "Dies könnte der tödlichste Hurrikan in der Geschichte Floridas sein."
In mehr als 700 Fällen seien in Not geratene Menschen gerettet worden, sagte DeSantis. Unter anderem war die Küstenwache mit Hubschraubern unterwegs, um Menschen von Häuserdächern zu bergen. Mehr als 2,6 Millionen Haushalte waren ohne Strom, im Laufe des Donnerstags wurde für mehr als 350 000 die Energieversorgung wieder hergestellt, wie der Gouverneur sagte. An der Insel Sanibel Island wurde die Brücke zerstört, die sie mit dem Festland verbindet.
Behörden warnten Bewohner überfluteter Gebiete vor Gefahren im Wasser wie Schadstoffe aus der Kanalisation, Chemikalien - oder auch Alligatoren. Auch unterbrochene Strom- und Gas-Leitungen könnten Menschenleben kosten. Auf Hubschrauber-Aufnahmen waren brennende Häuser zwischen überfluteten Straßen zu sehen oder Grundstücke, von denen die Gebäude komplett weggeschwemmt wurden. In Fort Meyer landeten schwere Betonblöcke von einem Pier zwischen Wohnhäusern.
"Die Auswirkungen dieses Sturms sind historisch", sagte Ron DeSantis am Donnerstag. "Und die Schäden, die entstanden sind, sind historisch." Dies basiere nur auf ersten Einschätzungen, das ganze Ausmaß werde erst in den kommenden Tagen abzusehen sein. "Wir haben noch nie ein solches Hochwasser erlebt", sagte DeSantis. "Wir haben noch nie eine Sturmflut dieses Ausmaßes gesehen." An manchen Orten werde es Jahre dauern, wieder aufzubauen, was der Sturm zerstört oder beschädigt habe. "Dies wird ein sehr, sehr langer Prozess sein."
Als er auf die Westküste Floridas traf, lag der Wirbelsturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 240 Kilometern pro Stunde nur knapp unterhalb der Schwelle zur höchsten Hurrikan-Kategorie. Auf dem Weg durch Florida schwächte sich "Ian" zu einem Tropensturm ab, über dem Meer wuchs er aber wieder zu einem Hurrikan der Stärke eins an.
Biden äußerte sich am Donnerstag in Washington bei einem Besuch in der Zentrale der US-Katastrophenschutzbehörde Fema besorgt: "Die Zahl der Opfer ist noch unklar, aber wir hören erste Berichte über möglicherweise erhebliche Verluste an Menschenleben." Auch er warnte, die Situation sei nach wie vor gefährlich. "Wir erleben weiterhin tödliche Regenfälle, katastrophale Sturmfluten, überflutete Straßen und Häuser", sagte er. "Wir sehen Millionen von Menschen ohne Strom - und Tausende, die in Schulen und Gemeindezentren Schutz suchen."
Fema-Leiterin Deanne Criswell sagte: "Hurrikan "Ian" wird ein Sturm sein, über den wir noch jahrzehntelang sprechen werden." Die nächsten Tage würden schwierig, es gebe viele komplexe Probleme zu lösen bei den Einsätzen im Sturmgebiet. Es gebe noch keine genaue Einschätzung zu den Schäden. "Aber es wird katastrophal sein." Ihre Behörde stelle sich darauf ein, dass Tausende Familien nicht in ihre Häuser zurückkehren könnten und vorübergehend eine Bleibe bräuchten.
Carmine Marceno, der Sheriff von Lee County, eine der am schwersten betroffenen Regionen an der Südwestküste Floridas, sagte dem Fernsehsender CNN, über Nacht seien in dem Bezirk Tausende Notrufe eingegangen. Manche Gebiete seien bislang aber noch nicht zugänglich für Rettungskräfte. "Wir wurden sehr, sehr hart getroffen."/jac/DP/zb
Quelle: dpa-Afx