BERLIN (dpa-AFX) - Ärger in Arztpraxen und Schwankungen beim täglichen Impffortschritt überschatten die Corona-Impfkampagne in Deutschland. Deutschlands Kassenärzte warnten davor, dass Praxen sich wegen Impfstoffmangels vermehrt ausklinken. Die Zahl der täglichen Corona-Impfungen ist im Vergleich zur Vorwoche gesunken. Mit anziehenden Lieferungen soll sich die Lage spätestens im Juni aber entspannen.
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, rief Impfwillige zu Verständnis bei aktuellen Problemen und Geduld auf. Termine könnten beim Arzt nur kurzfristig vergeben werden und müssten auch öfters umgebucht werden. "Die Praxen tun alles, was möglich ist", sagte Gassen.
FRUST BEI IMPFÄRZTEN:
Zuvor hatte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Nordrhein, Oliver Funken, Alarm geschlagen: "Zahlreiche Hausarztpraxen melden sich vom Impfsystem wieder ab", sagte er der "Rheinischen Post". Nach Angaben von KBV-Vize Stephan Hofmeister sind dies allenfalls Einzelfälle. Nötig seien aber mehr Impfstoff und möglichst wenig Bürokratie in den Praxen - sonst drohe der Ausstieg von Ärztinnen und Ärzten vermehrt. Die Praxen hätten sich darauf eingelassen, den Impfstoff mit nur einer Woche Vorlauf zu bestellen. Bei einem kurzfristen Lieferausfall gehe folglich das "wilde Telefonieren" los, sagte der Arztfunktionär. "Dann müssen Termine abgesagt, umgebucht werden." Folge: Wut bei den Patienten, Zeitverlust in den Praxen.
Hofmeister sagte: "Ich will nicht ausschließen, dass der eine oder andere deshalb sagt: Das mache ich nicht mehr länger mit." Ein Massenphänomen sei das nicht. Klar sei aber: "Es ist immer noch viel zu wenig Impfstoff da, und es ist vor allem unsicher, ob dann dieser Impfstoff in Sorte und Menge so ankommt, wie bestellt."
PERSPEKTIVE FÜR PRAXEN UND PATIENTEN:
Gassen erläuterte, der Impfstoff von Johnson & Johnson
STAND DER IMPFUNGEN:
828 213 Menschen wurden am Dienstag immunisiert - am Dienstag eine Woche zuvor waren es 1,07 Millionen. Gestiegen ist hingegen der Anteil der Zweitimpfungen: Bei 40 Prozent der Impfungen handelte es sich am Dienstag um die jeweils zweite Injektion. Damit sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts bisher 38,1 Prozent (31,7 Millionen) der Deutschen mindestens einmal und 11,9 Prozent (9,9) voll geimpft. Die höchste Quote an mindestens Erstgeimpften verzeichnet das Saarland mit 42,4 Prozent. Sachsen liegt mit 33 Prozent leicht hinter den anderen Bundesländern zurück.
IMPFPRIORISIERUNG:
Im Grundsatz begrüßte KBV-Chef Gassen, dass es vom 7. Juni an keine Priorisierung mehr geben soll. Solange nicht genug Impfstoff da sei, wecke dies jedoch Wünsche, die nicht gleich befriedigt werden könnten. Fast zwei Drittel der Bundesbürger findet die Aufhebung gut. 65 Prozent befürworten den Schritt, 18 Prozent lehnen ihn ab, wie das Meinungsforschungsinstitut YouGov ermittelte. Besonders unter jungen Erwachsenen sei die Zahl der Befürworter groß.
Der Virologe Hendrik Streeck sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Unterschiede, die wir jetzt noch haben, sind nicht mehr so groß, als dass sie eine Priorisierung rechtfertigen würden." Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will noch vor den Sommerferien Impfangebote für Schüler erreichen. Gassen sagte, nach Ende September seien keine Impfzentren mehr nötig.
IMPFUNG VON SCHWANGEREN:
Die Hürden für Corona-Impfungen für Schwangere bleiben nach Einschätzung eines Frauenärzte-Verbandes auch nach einer Anpassung der Corona-Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) hoch. "Da die Haftung im Falle eines Zwischenfalls immer noch ungeklärt ist, werden Schwangere nur in Einzelfällen geimpft", sagte der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Christian Albring, der dpa. Die Stiko empfiehlt, Schwangere mit Vorerkrankungen, die ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf haben, "nach Nutzen-Risiko-Abwägung und ausführlicher Aufklärung" zu impfen. Auch Schwangere "mit einem erhöhten Expositionsrisiko aufgrund ihrer Lebensumstände" könnten ein Impfangebot erhalten.
NEUINFEKTIONEN:
11 040 gemeldete Corona-Neuinfektionen gab es binnen eines Tages. Vor einer Woche hatte der Wert bei 14 909 Ansteckungen gelegen. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner gab das RKI am Mittwoch mit bundesweit 72,8 an (Vortag: 79,5; Vorwoche: 107,8). Aufgrund von Feier- und Brückentagen werden derzeit aber wohl weniger Fälle gemeldet. Deutschlandweit wurden binnen 24 Stunden 284 neue Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 268 Tote. Thüringen (115,3) ist das einzige Bundesland mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100./bw/DP/fba
Quelle: dpa-Afx