MÜNCHEN (dpa-AFX) - Das Jahr 2021 reiht sich nach einer Analyse der Munich Re
Für Europa waren die verheerenden Sturzfluten des vergangenen Sommers in Deutschland und seinen Nachbarländern mit 54 Milliarden Dollar beziehungsweise 46 Milliarden Euro, davon allein 33 Milliarden Euro in Deutschland, zwar die bislang teuerste Naturkatastrophe aller Zeiten. Doch noch ungleich härter getroffen wurden die USA, wo Tornados, Hurrikane und eine Kältewelle mit 145 Milliarden Dollar zu Buche schlugen.
In der inflationsbereinigten Rangliste der Naturkatastrophenjahre liegt 2021 nach Rechnung der Munich Re auf Platz vier. Bislang teuerstes Jahr war 2011, als Seebeben, Tsunami und das folgende Atomunglück in Japan die weltweite volkswirtschaftliche Schadensumme auf 355 Milliarden Dollar getrieben hatten.
"Insgesamt passt 2021 mit 280 Milliarden leider in die langjährige Beobachtung zunehmender Schäden", sagte Ernst Rauch, Chef-Klimatologe des Unternehmens. Eine maßgebliche Rolle spielt nach Einschätzung der Munich Re das mit dem Klimawandel verbundene häufigere Auftreten extremer Wetterlagen. So bildeten sich im vergangenen Jahr neben Ida noch 20 weitere tropische Wirbelstürme im nördlichen Atlantik. "Das langjährige Mittel liegt viel niedriger, bei etwa 14 Hurrikanen im Jahr", sagte Rauch.
Wenn Meteorologen und Klimaforscher recht behalten, wird auch in Deutschland die Gefahr extremer Unwetter in den nächsten Jahren weiter steigen. Die Juliflut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz war nach Einschätzung Rauchs in doppelter Hinsicht außergewöhnlich: Die versicherte Schadenhöhe war mit 8 Milliarden Euro viermal so hoch wie bei den großen Hochwassern 2002 und 2013.
"In der Gesamtschau ist das Besondere, dass eine Sturzflut, also ein lokal begrenztes Starkniederschlagsereignis, sich sehr schnell aufbaut und ebenso schnell wieder abläuft", sagte Rauch. "Das Ausmaß dieser lokalen Zerstörung, die nahezu totale Zerstörung auf kleinem Raum, war vorher nicht wirklich so vorstellbar."
Die Sommerflut war nach einer internationalen Analyse unter Federführung des Meteorologen Frank Kreienkamp vom Deutschen Wetterdienst (DWD) ein Ereignis, wie es nur alle 400 Jahre einmal vorkommt. Die Wahrscheinlichkeit extremer Regenfälle im Westen Europas sei wegen der gestiegenen Durchschnittstemperaturen um das 1,2 bis 9-fache gestiegen, schätzen die Wissenschaftler in dem im August veröffentlichten Papier. Und nicht nur die Häufigkeit von Starkregen nimmt demnach zu: Die Intensität extremer Niederschläge habe zwischen 3 und 19 Prozent zugenommen.
Das wirft ganz praktische Fragen an Politik und Verwaltung auf: In deutschen Kommunen ist beim Bau von Dämmen und anderen Hochwasserschutzmaßnahmen bislang der Schutz vor einem hundertjährigen Hochwasser üblicher Standard - also einer Flut, die im statistischen Mittel mindestens einmal in hundert Jahren auftritt.
"Es sind zwei Fragen: Ist die Annahme eines hundertjährigen Hochwassers angemessen, und ist die Auslegung des Hochwasserschutzes auf diese Hundertjährlichkeit angemessen", sagte Rauch. "In beiden Fällen kann man ein Fragezeichen dahinter setzen."
In den Niederlanden habe man nach der Sturmflut 1953 die Deichringe "auf eine Zehntausendjährlichkeit erhöht, und mittlerweile ist man dabei, diese weiter zu erhöhen", sagte Rauch. "Ob man in der Risikophilosophie auf zehntausend Jahre geht, müssen andere entscheiden. Aber die Hundertjährlichkeit wird in manchen Regionen sicher nicht mehr ausreichen, den vorgesehenen Schutz dauerhaft aufrecht zu erhalten."
Auch kleinere Unwetter können in Summe immense Schäden anrichten. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft bezifferte die versicherten Schäden des vergangenen Jahres durch Naturgefahren in Deutschland kürzlich auf rund 12,5 Milliarden Euro, so viel wie noch nie seit Beginn der Statistik Anfang der 1970er-Jahre. Knapp ein Drittel dieser Schäden - an die vier Milliarden Euro - war nicht durch das Hochwasser in NRW und Rheinland-Pfalz verursacht.
"Die Kosten für den klimafreundlichen Umbau unseres Wirtschaftssystem werden durch die Kosten durchs Nichtstun in den Schatten gestellt", argumentierte Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik der Naturschutzorganisation WWF, die eine weitere Beschleunigung des Ausstiegs aus fossilen Energien fordert.
Nach Einschätzung der Munich Re zeigt das vergangene Jahr auch, dass eine Begrenzung der Schäden möglich ist: Größte Naturkatastrophe des Jahres war der Hurrikan Ida in den USA, der am 29. August unweit von New Orleans auf Land traf und Schäden von 65 Milliarden Dollar verursachte.
Doch hätte es noch viel schlimmer kommen können, wären in New Orleans nach der Überflutung der Stadt durch den Hurrikan Katrina 2005 nicht die Deiche verstärkt worden. "Im Ergebnis waren die Schäden nur in etwa halb so hoch wie bei Katrina 2005", sagte Rauch. Anpassungsmaßnahmen an Hochwassergefahren wirkten, betonte Rauch. "Das wird ein Schlüssel sein, um den Schadenanstieg zu dämpfen."/cho/DP/jha
Quelle: dpa-Afx