TEHERAN/KIEW/WASHINGTON (dpa-AFX) - Kremlchef Wladimir Putin warnt Europa vor weiter sinkenden Gaslieferungen aus Russland. Sollte die in Kanada reparierte Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 nicht bald in Russland ankommen, werde die tägliche Liefermenge noch stärker fallen, sagte er in der Nacht zum Mittwoch laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass bei einem Treffen in Teheran. Während Russlands Armee Krieg in der Ukraine führt, trat Putin bei seiner zweiten Auslandsreise seit Beginn der Invasion als Verbündeter des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf und forderte die Unverletzlichkeit der syrischen Grenzen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj baut derweil seinen Sicherheitsapparat um und stellte eine neue Kommission vor, die kontrollieren soll, wie westliche Waffen eingesetzt werden. Selenskyjs Frau Olena warb in Washington für weitere militärische Hilfe.
Putin spricht im Iran über Gas und Syrien
Putin ließ am Rande seines Besuchs im Iran mit der Bemerkung aufhorchen, dass die Gaslieferungen über Nord Stream 1 Ende Juli noch weiter fallen könnten. Sollte Russland die in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten, drohe die tägliche Durchlasskapazität der Pipeline deutlich zu sinken, sagte er laut Tass. "Wir haben noch eine fertige Trasse - das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen", bot Putin gleichzeitig an.
Die Pipeline Nord Stream 1 - die wichtigste Gasleitung von Russland nach Deutschland - wurde 2011 in Betrieb genommen und hat eine Kapazität von rund 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Seit Juni hat Russlands staatlicher Energieriese Gazprom
Zugleich präsentierte sich Putin als Schutzpatron für Syriens Machthaber Assad und äußerte starke Kritik am Westen. Dieser ziele auf eine "Zerstückelung" des syrischen Staats, sagte er bei einem Dreiergipfel mit den Staatschefs des Irans und der Türkei im Iran. Moskau, Ankara und Teheran sollten sich daher gemeinsam für die Unverletzlichkeit der Grenzen Syriens einsetzen und dafür sorgen, dass die abtrünnigen Gebiete wieder unter die Herrschaft der "rechtmäßigen Regierung" kommen, forderte Putin.
Der Ukraine warf er vor, kein Interesse an einer Friedenslösung zu haben. Bei den Verhandlungen in Istanbul Ende März hätten beide Seiten "faktisch eine Einigung erzielt, sie musste nur noch unterzeichnet werden", sagte Putin. Doch seither weigere sich Kiew, die erzielte Lösung umzusetzen. Bei den Verhandlungen im März hatten beide Seiten Annäherung bei der Frage nach einem blockfreien Status der Ukraine erzielt. Russland beharrt aber zudem darauf, dass die Ukraine die seit 2014 von Moskau annektierte Krim als russisch anerkennt und die Gebiete Donezk und Luhansk abtritt.
Neue Parlamentskommission für mehr Transparenz
Präsident Selenskyj hat die Gründung einer neuen Parlamentskommission in der Ukraine angekündigt, die den Einsatz westlicher Waffen kontrollieren soll. Vorwürfe zu falschem Gebrauch der Waffen aus dem Westen gebe es nicht, betonte Selenskyj am Dienstag in seiner Videoansprache. "Aber um alle Manipulationen russischer Propagandisten und derer, die ihnen in der Ukraine oder anderswo helfen, zu beseitigen, wird ein solches zusätzliches parlamentarisches Kontrollinstrument eingerichtet", sagte er.
Nach den jüngsten Entlassungen des Geheimdienstchefs und anderer Führungskräfte in den Sicherheitsorganen will Selenskyj die Neuausrichtung dieser Behörden vorantreiben. So ernannte er gleich in fünf Regionen neue Chefs für den Geheimdienst SBU und berichtete von der Entlassung eines weiteren SBU-Vizechefs. Zuletzt hatte es Kritik wegen möglichen Geheimnisverrats in den Behörden und anhaltender Korruption gegeben.
Ukrainische Präsidentengattin bittet um mehr Waffen
Derweil ist die ukrainische Präsidentengattin Olena Selenska von der First Lady der USA, Jill Biden, im Weißen Haus empfangen worden. Auch US-Präsident Joe Biden nahm Selenska in Empfang und überreichte ihr einen Blumenstrauß. Selenska will auf ihrer US-Reise für weitere militärische Hilfe für die Ukraine werben. Das Land ist weiterhin auf westliche Waffen angewiesen, um die russische Invasion aufzuhalten.
Russen kämpfen sich im Donbass schrittweise vor
An der Front gehen derweil die Gefechte in der Ukraine ununterbrochen weiter. Gekämpft wird im Süden und im Osten des Landes. Strategisch bedeutende Vorstöße konnte dabei keine der beiden Konfliktparteien erzielen. Die russischen Streitkräfte haben aber bei den Gefechten um den Donbass im Osten der Ukraine nach ukrainischen Angaben weitere Geländegewinne erzielt.
"Der Feind hat im Raum Pokrowske einen Sturm durchgeführt, dabei teilweise Erfolg gehabt und setzt sich am Südrand der Ortschaft fest", teilte der ukrainische Generalstab am Dienstagabend in seinem Lagebericht mit. Pokrowske ist eine Siedlung zehn Kilometer östlich des wichtigen Verkehrsknotenpunkts Bachmut im Gebiet Donezk. Die Linie Siwersk-Soledar-Bachmut gilt als nächste Verteidigungslinie der Ukraine vor dem Ballungsraum um die Großstädte Slowjansk und Kramatorsk.
Das wird am Mittwoch wichtig
Die EU-Kommission stellt voraussichtlich ihren Notfallplan für den Fall vor, dass Russland auch nach dem ursprünglich für Donnerstag erwarteten Ende der Reparaturarbeiten an Nord Stream 1 kein Gas mehr durch die Ostseepipeline liefert. Die Furcht vor einem russischen Lieferstopp war in den Abnehmerländern zuletzt gewachsen.
Olena Selenska tritt vor dem US-Kongress auf. Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat alle Mitglieder ihrer Parlamentskammer und des Senats zu dem Auftritt im Auditorium im Besucherzentrum des Kapitols eingeladen./bal/DP/zb
Quelle: dpa-Afx