BERLIN (dpa-AFX) - Angesichts einer immer schnelleren Corona-Ausbreitung in Deutschland wächst der Druck, wieder stärkere Schutzvorkehrungen zu treffen. Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb weiter für Auffrischungsimpfungen auf breiterer Front und regte gezielte Einladungen an alle Menschen ab 60 Jahre dafür an. Die amtierende Bundesregierung machte deutlich, dass in Regionen mit sehr hohen Infektionszahlen zusätzliche Gegenmaßnahmen nötig seien, und bot den Ländern erneut auch eine Spitzenrunde zur Abstimmung dazu an. Patientenschützer forderten mehr Absicherungen für Pflegebedürftige.
Der geschäftsführende Kanzleramtschef Helge Braun sagte am Freitag bei RTL/ntv: "Die Zahlen steigen wieder. Das heißt, zusätzliche Maßnahmen sind erforderlich." Das 3G-Modell mit Zugang zu Innenräumen nur für Geimpfte, Genesene und Getestete (3G) habe im Herbst gut getragen. Daher sei 2G - also Zugang nur für Geimpfte und Genesene - nun "die logische Steigerungsstufe, um zu verhindern, dass es in den Krankenhäusern in einigen Regionen zu Überlastungen kommt". Wer ungeimpft bleibe, stehe "natürlich weiter so in der Pandemie wie im letzten Jahr", sagte der CDU-Politiker. Ungeimpfte müssten daher weiter damit rechnen, dass es im Winter Einschränkungen gebe.
Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen stieg laut Robert Koch-Institut (RKI) abermals auf nun 139,2 - nach 130,2 am Vortag und 95,1 vor einer Woche. Die regionale Spanne reicht von 65,3 im Saarland bis 288,9 in Thüringen. Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen stieg laut RKI auf 3,31 (Mittwoch: 3,07). Einen bundesweiten Wert, ab wann die Lage kritisch zu sehen ist, gibt es nicht. Der bisherige Höchstwert lag um Weihnachten bei rund 15,5. Das RKI warnte, bei den gegenwärtigen Sieben-Tage-Inzidenzen bestehe "eine zunehmende Wahrscheinlichkeit infektiöser Kontakte".
Spahn mahnte, die Belastung in den Krankenhäusern nicht zu stark steigen zu lassen. "Wir müssen wieder vorsichtiger sein", sagte er im rbb-Inforadio. Dafür seien auch Auffrischungsimpfungen wichtig, für die mehr als genug Impfstoff verfügbar sei. Eine solche Verstärkung ("Booster") mindestens sechs Monate nach einer vollständigen Impfung wird unter anderem Älteren, Corona-Risikogruppen, aber auch Geimpften mit Astrazeneca
Der Impfstoffforscher Leif Sander von der Berliner Charité sagte der Deutschen Presse-Agentur, allen Impfbereiten eine dritte Impfung anzubieten, hätte auch einen "dämpfenden Effekt" auf die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung. "Wir bräuchten jetzt sechs bis acht Wochen lang eine große Kampagne wie zu Beginn des Jahres, mit Impfzentren und mobilen Impfteams." Dadurch könnten womöglich auch einige Ungeimpfte noch erreicht werden. Spahn sagte, er wolle in der nächsten Woche bei den Länder-Gesundheitsministern dafür werben, alle Über-60-Jährigen schriftlich einzuladen wie schon zu Erstimpfungen.
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck hält ein Ausweiten des Angebots an Drittimpfungen auf die breite Bevölkerung derzeit nicht für nötig. "Booster sind sinnvoll für die Gruppen, denen dies bereits empfohlen wird", sagte er der dpa - also etwa Immungeschwächte und Menschen ab 70. "Alle anderen sind nach der Zweitimpfung in der Regel sehr gut vor einem schweren Verlauf geschützt. Wichtiger als Auffrischungen bei ihnen ist das Schließen der Impflücken bei den über 60-Jährigen." Auch würden die Impfdosen in anderen Ländern dringlicher benötigt.
Impf-Verstärkungen haben mittlerweile laut RKI 1,9 Millionen Menschen bekommen, am Mittwoch und Donnerstag wurden jeweils mehr als 100 000 Spritzen verabreicht. Insgesamt hat die Impfquote in Deutschland die Zwei-Drittel-Marke erreicht: Mindestens 66,6 Prozent aller Einwohner sind nun vollständig mit der meist nötigen zweiten Spritze geimpft.
Spahn betonte im rbb, es brauche außerdem auch Schutzkonzepte für Pflegeeinrichtungen. Er werbe bei den Ländern sehr dafür, dass alle wieder Testkonzepte verpflichtend machten - auch für Geimpfte, denn sie arbeiteten mit besonders Verwundbaren. Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte Absicherungen. "Die aktuelle Situation in der Altenpflege ist alarmierend", sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa. Ohne verbindliche tägliche Tests, die Anbieter organisieren müssten, schlitterten die Menschen in der Altenpflege in ein Desaster. "Daher braucht es einen gesetzlichen Rechtsanspruch, dass Pflegebedürftige nur von getesteten Personal versorgt werden."/sam/ggr/DP/eas
Quelle: dpa-Afx