PARIS/LONDON (dpa-AFX) - An den europäischen Börsen hat es am Donnerstag, am Tag der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren, meist für moderate Gewinne gereicht. Auch wenn die Leitindizes in Frankfurt und Madrid etwas schwächer schlossen und der FTSE MIB in Mailand mit Verlusten unter der Regierungskrise litt, fiel das Tagesfazit für den EuroStoxx 50 mit einem Anstieg um 0,31 Prozent auf 3596,51 Punkte positiv aus. Die Versorgung mit russischem Gas ist wieder angelaufen.
Der französische Cac 40 brachte es am Ende mit 6201,11 Punkten auf ein Plus von 0,27 Prozent. Der britische FTSE 100 legte derweil nur um 0,09 Prozent auf 7270,51 Punkte zu.
In Italien verlor der FTSE MIB allerdings 0,7 Prozent, nachdem der Regierungschef Mario Draghi zurückgetreten war und so politische Unsicherheit schürte. Der Risikoaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen gegenüber deutschen Papieren stieg daraufhin deutlich an, worin wieder einmal ein Gefahrensignal für das hoch verschuldete Italien gesehen wurde.
Getrieben von der Rekordinflation schafft die Europäische Zentralbank (EZB) mit einem Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte die Negativzinsen ab - und kündigte gleich noch eine Serie weiterer Zinserhöhungen an. Im Fokus stand derweil auch ein neu vorgestelltes Anti-Krisen-Programm, das sicherstellen soll, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten. Nach Ansicht von Händlern wuchsen daran im Verlauf die Zweifel.
Angespannt blieben die Anleger wegen der Versorgung mit russischem Gas. Der Energiekonzern Gazprom pumpt nach der Wiederinbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 1 zwar weiter Gas nach Europa, aber Zweifel bleiben. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht darin keinen Anlass zur großen Freude. "Es bleibt offen, ob Gas tatsächlich langfristig und in der vertraglich vereinbarten Menge fließen wird", erklärte der BDI-Präsident Siegfried Russwurm in Berlin.
Italienische Banken gehörten angesichts der politischen Wirren im Land zu den Verlierern. So büßten Intesa Sanpaolo unter den größten EuroStoxx-Mitgliedern 2,8 Prozent ein, während Unicredit am Ende 3,4 Prozent verloren. Beide hatten ihre Tagesverluste damit mit dem generellen Sektorumfeld etwas reduziert. Banken reagierten im Verlauf europaweit positiv auf die Aussagen der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Einlagezinssatz.
"Die EZB erhöht den Einlagenzinssatz überraschend auf 0 Prozent statt der erwarteten minus 0,25 Prozent", kommentierte Salah-Eddine Bouhmidi, Chefstratege beim Broker IG. Europäische Banken profitierten etwas von dieser Normalisierung, der Sektor drehte moderat ins Plus. Gleiches galt für die im EuroStoxx gelisteten Aktien von ING und BBVA mit einem Plus von maximal 0,7 Prozent.
Positiv auffällig waren die Nokia -Aktien mit einem Kurssprung um 9,3 Prozent wegen robuster Quartalszahlen. Der Netzwerkausrüster hatte im zweiten Quartal Umsatz und Gewinn gesteigert. Dabei profitierten die Finnen von einem robusten Wachstum im Geschäft mit der Netzinfrastruktur. Das Ergebnis je Aktie stieg um ein Drittel und fiel besser aus als von Analysten erwartet.
Generell stärker gefragt waren auch Technologiewerte im Schlepptau der US-Börsen, wo der von diesen geprägte Nasdaq-100-Index die Standardwerte erneut abhängte. Der Branchenindex Stoxx Europe 600 Technology zog letztlich um etwa zwei Prozent an. Die beiden Spitzenreiter im EuroStoxx, ASML und Adyen , können mit Anstiegen um bis zu 5,2 Prozent dieser Branche zugerechnet werden.
In der Schweiz sorgten hochkarätige Zahlenvorlagen für Gesprächsstoff. Für Roche ging es trotz solider Ergebnisse um ein halbes Prozent bergab. Marktteilnehmer sprachen angesichts der zuletzt robusten Entwicklung des Kurses von Gewinnmitnahmen. Die Aktien von Givaudan fielen nach den Quartalszahlen sogar um 1,6 Prozent. Hohe Kosten hatten die Profitabilität im zweiten Quartal belastet.
Besser sah es dagegen bei dem Automationskonzern ABB aus, dessen Aktien um 1,6 Prozent nach oben kletterten. Der Industriekonzern hatte im zweiten Quartal von einer hohen Nachfrage profitiert. Die Tochter Accelleron soll außerdem im Oktober an die Börse./tih/ngu
Quelle: dpa-Afx