PARIS/LONDON (dpa-AFX) - Die europäischen Aktienmärkte sind am Freitag angesichts einer sich abzeichnenden größeren Zinserhöhung in den USA auf Tauchstation gegangen. Damit ist die Erholung seit Wochenmitte erst einmal beendet. Die harte Geldpolitik der US-Notenbank Fed und Wachstumssorgen schüttelten die europäischen Märkte durch, schrieb Analyst Michael Hewson vom Broker CMC Markets UK.
Der EuroStoxx 50 rutschte um 2,24 Prozent auf 3840,01 Punkte ab. Damit ergibt sich für den Eurozonen-Leitindex eine Wochenbilanz von minus 0,2 Prozent. Der französische Cac 40 sank am Freitag um 1,99 Prozent auf 6581,42 Punkte. Der britische FTSE 100 büßte 1,39 Prozent auf 7521,68 Punkte ein.
Am Sonntag steht die Entscheidung bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich an, auch deshalb gingen die Anleger vor dem Wochenende kein Risiko mehr ein. Ein Sieg der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen könne "zu erheblichen Verwerfungen an den Finanzmärkten führen", warnte die Landesbank Helaba.
Nachdem starke Quartalszahlen die Börsen zuletzt gestützt hatten, brachten die jüngsten Äußerungen der US-Währungshüter eine kalte Dusche für die Märkte. "Der Chef der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, sprach am Vortag aus, was viele schon wussten, aber dennoch nicht hören wollten, an 50 Basispunkten Zinserhöhung im Mai führt nun wohl kein Weg mehr vorbei," schrieb der Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets.
Zur Bekämpfung der Inflation sei dieser Schritt zwar dringend geboten, er mache die Aktienmärkte aber auch unattraktiver. Sollte sich die Europäische Zentralbank (EZB) im Laufe des Jahres an die US-Geldpolitik anpassen, dürfte es ein ungemütliches Jahr 2022 für die Börsen werden.
Die soliden Einkaufsmanagerindizes für den Euroraum deutete Volkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank unterdessen als Hinweis auf die bestehende Inflationsproblematik. "Aufgrund der stark steigenden Produzentenpreise platzieren viele Betriebe noch schnell Bestellungen bei ihren Lieferanten, ehe es zu weiteren Preisanhebungen kommt."
Ölwerte waren am Freitag sehr schwach und reagierten damit auf die nachgebenden Notierungen am Ölmarkt. Eni und Totalenergies etwa verloren im EuroStoxx drei beziehungsweise 2,7 Prozent. Rohstoffanalyst Carsten Fritsch von der Commerzbank wies darauf hin, dass die Ölpreise nun schon den dritten Wochenverlust in den letzten vier Wochen aufwiesen. "Dazu haben Nachfragesorgen im Zusammenhang mit der rigiden Covid-Politik in China beigetragen, die die wichtige Wirtschaftsmetropole Shanghai über mehrere Wochen zu paralysieren droht." Die stark steigenden Anleiherenditen, der feste US-Dollar und fallende Aktienmärkte sorgten ebenfalls für Gegenwind.
Auf wenig Gegenliebe stießen auch die Zahlen von Kering , die den Luxusgütersektor nach unten zogen. Der französische Konzern hatte den Umsatz im ersten Quartal zwar um mehr als ein Viertel gesteigert. Gebremst wurde das Wachstum aber von den erneuten Lockdowns in einigen chinesischen Städten gegen Ende des Quartals, was vor allem die umsatzstärkste Marke Gucci belastete. Kering verloren 4,3 Prozent, LVMH 2,1 Prozent, Richemont 2,6 Prozent und Swatch 3,1 Prozent.
Auch EssilorLuxottica vermochten sich bei einem Abschlag von 2,6 Prozent trotz guter Zahlen dem Abwärtssog nicht zu entziehen. Weniger Corona-Einschränkungen in vielen Ländern und die Übernahme des niederländischen Augenoptikers Grandvision hatten den Brillenkonzern zum Jahresstart angetrieben.
Negative Vorzeichen gab es zudem bei AB Inbev . Der Rückzug aus dem Geschäft in Russland belastet das Ergebnis des weltgrößten Bierbrauers mit etwas mehr als einer Milliarde Dollar. Das belgische Unternehmen will seinen Anteil an dem Gemeinschaftsunternehmen AB Inbev Efes an den türkischen Kooperationspartner Anadolu Efes verkaufen. Die Aktien sanken um 3,5 Prozent.
Der schweizerische Baustoffkonzern Holcim traut sich dank des weltweiten Baubooms nach einem starken Jahresstart noch mehr Wachstum zu. Trotz der geopolitischen Unsicherheiten dürften die Geschäfte in allen Regionen weiter schwungvoll wachsen. Anleger honorierten dies mit einem Zuwachs von 3,7 Prozent Aufschlag.
Die Renault-Aktien sprangen kurz deutlich in die Höhe, nachdem die Nachrichtenagentur Bloomberg mit Verweis auf mit der Sache vertraute Personen berichtete, dass der französische Autobauer eine Veräußerung von Teilen seiner Beteiligung am japanischen Autobauer Nissan erwäge. Damit könnten Renault Milliarden zufließen, die für den Schwenk hin zur Elektromobilität benötigt werden. Am Ende des Tages verloren die Renault-Titel aber 1,3 Prozent./ajx/he
Quelle: dpa-Afx