BERLIN/FRANKFURT (dpa-AFX) - Kriminelle haben in diesem Jahr deutlich mehr Geldautomaten gesprengt als 2019. "Für 2020 rechnen wir in Deutschland mit über 400 Taten", sagte die Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes (BKA), Martina Link, der Deutschen Presse-Agentur. Zu einigen dieser Beutezüge ermittelten die Polizeibehörden "reisende Täter" aus Rumänien und Moldau. Der Datenklau an Geldautomaten ist nach Einschätzung von Experten dagegen ein Auslaufmodell. So wenig "Skimming"-Angriffe wie nie, der Schaden auf einem Rekordtief - das ist die gute Nachricht.
Von genau 390 Sprengungen für die Zeit bis zum 16. Dezember berichtet die "Welt am Sonntag" und beruft sich auf eine Umfrage unter den Landeskriminalämtern. Demnach wurde der bisherige Rekordwert aus dem Jahr 2018 bereits jetzt übertroffen. Laut der Zeitung kamen die Täter in 160 Fällen an das Bargeld, in 230 Fällen ging etwas schief. Spitzenreiter unter den Bundesländern ist 2020 demnach erneut NRW. Bis zum 16. Dezember wurden dort 174 Automaten gesprengt. Auf den weiteren Plätzen folgen Niedersachsen (45), Baden-Württemberg (36) und Rheinland-Pfalz (34).
Und auch an diesem Wochenende knallte es: Unbekannte sprengten in Stuttgart einen Geldautomaten, machten jedoch vermutlich keine Beute. Die Polizei suchte mit einem Hubschrauber - zunächst ohne Erfolg.
Laut BKA stammten von den 132 Tatverdächtigen, die im vergangenen Jahr ermittelt wurden, 68 Tatverdächtige aus den Niederlanden - vorwiegend aus der Region Utrecht und aus Amsterdam. In Zusammenarbeit mit den niederländischen Behörden konnten demnach zahlreiche Mitglieder eines kriminellen Netzwerks festgenommen werden.
Im Jahr 2019 war die Zahl der Sprengungen von Geldautomaten gegenüber dem Vorjahr noch um 5,4 Prozent auf 349 gesunken. Die Zunahme der Fallzahlen in Deutschland 2020 könnte nach Einschätzung des BKA im Zusammenhang mit Präventionsanstrengungen in den Niederlanden stehen, die womöglich einen Verdrängungseffekt ausgelöst haben.
Beim Sprengen von Geldautomaten erbeuten die Täter bundesweit jährlich mehrere Millionen Euro. Die Sachschäden liegen meist weitaus höher als die Summe des gestohlenen Geldes. Im Juli etwa verursachten zwei Männer beim Sprengen eines Geldautomaten in Bremen einen Schaden von rund 400 000 Euro. Darüber hinaus werden während der Sprengungen immer wieder Unbeteiligte durch Trümmerteile in Gefahr gebracht.
Und Kriminelle nutzen noch andere Wege, um sich Zugang zu fremden Konten zu verschaffen: Weil viele Verbraucher entgegen aller Warnungen Bezahlkarte und Geheimnummer (PIN) zusammen im Geldbeutel aufbewahren, nimmt der Schaden infolge des Diebstahls von Karten zu. "Im Einzelhandel kann man mit der PIN an der Kasse auch Geld abheben. Wir gehen davon aus, dass Kriminelle davon regen Gebrauch machen", sagt Margit Schneider von Euro Kartensysteme. Die Frankfurter Einrichtung kümmert sich im Auftrag der deutschen Kreditwirtschaft um das Sicherheitsmanagement für Zahlungskarten.
Zwar sank die Zahl der Fälle von Verlust und Diebstahl von Zahlungskarten 2020 bis einschließlich November auf 9682. In den elf Monaten des Vorjahreszeitraums waren es 10 004. Der Bruttoschaden durch Verlust und Diebstahl von Karten jedoch stieg, von gut 13,5 auf rund 14,2 Millionen Euro bis einschließlich November.
In den weitaus meisten Fällen sei den Karteninhabern nach eigenen Angaben auch die Geheimnummer geklaut worden, schilderte Euro Kartensysteme. Sicherheitsexpertin Schneider betont: "Die PIN gehört in den Kopf, nicht ins Portemonnaie."
An Geldautomaten in Deutschland versuchen Datendiebe immer seltener, sensible Daten von Bankkunden auszuspähen. Von Januar bis einschließlich November 2020 manipulierten Kriminelle nach Angaben von Euro Kartensysteme bundesweit 134 Mal Geldautomaten. Im Vorjahreszeitraum gab es 227 solcher "Skimming"-Fälle, im Gesamtjahr 2019 waren es 245.
Milliardeninvestitionen in mehr Sicherheit des Plastikgeldes erschweren Kriminellen ihr illegales Geschäft: Die ergaunerten Kartendaten sind immer schwieriger einzusetzen. Denn Kartendubletten funktionieren im Grunde nur noch dort, wo Bezahlkarten noch mit relativ leicht kopierbaren Magnetstreifen ausgerüstet werden und die Lesegeräte im Handel auf Magnetstreifen ausgelegt sind.
Insgesamt sank der Bruttoschaden durch Skimming im laufenden Jahr auf niedrigem Niveau weiter. Auf etwas mehr als eine Million Euro beziffert Euro Kartensysteme die Bruttosumme der Schäden durch das Ausspähen von Kartendaten und Geheimnummer bis einschließlich November. Dies sei ein Rekordtief. Im Gesamtjahr 2019 waren es etwas mehr als 1,4 Millionen Euro Schaden.
Die Branche führt den Rückgang vor allem auf Investitionen in die sogenannte EMV-Technik zurück, auf die Deutschland seit Jahren setzt: Dabei sind Bezahlkarten mit einer Art Mini-Computer ausgestattet, die Karte wird bei jedem Gebrauch auf Echtheit geprüft.
Innerhalb Deutschlands versuchten Kriminelle in den vergangenen Jahren vor allem in Berlin an Kartendaten zu kommen. Wegen der großen Zahl ausländischer Touristen, deren Zahlungskarten noch nicht mit EMV-Chip ausgestattet sind, schien die Bundeshauptstadt ein lohnendes Pflaster. Im laufenden Jahr hat jedoch das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen die rote Laterne, mit bislang 44 Manipulationen an Geldautomaten. In Berlin sank die Zahl von mehr als 100 Fällen vor Jahresfrist auf gerade einmal 12 Fälle.
Dafür nehmen andere, komplexere Angriffsformen auf Geldautomaten zu. Wurden 2016 nur sieben Netzwerkattacken oder Angriffe mit Schadsoftware registriert, so zählte die Polizei 2019 bereits 70 solcher "logischen Angriffe". Die Polizei müsse der gestiegenen technischen Expertise der Täter entschieden entgegentreten, sagt BKA-Vizechefin Link. Schließlich liege die potenzielle Schadenshöhe bei derartigen Angriffen im Millionenbereich. Um der international vernetzen Täter habhaft zu werden, kooperiere das BKA eng mit ausländischen Behörden und Europol./abc/DP/zb
Quelle: dpa-Afx