BERLIN (dpa-AFX) - Trotz schneller Fortschritte bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs steht der Bevölkerung nach Auskunft von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein möglicherweise lebensrettendes Serum nicht binnen weniger Wochen zur Verfügung. Über die Frage, wer nach der erwarteten Zulassung eines Impfstoffs zuerst per Spritze geschützt werden soll, sollten alle Bürger diskutieren, forderte Spahn am Montag in Berlin.
Die Fortschritte des Mainzer Unternehmens Biontech
Geimpft werden soll in Deutschland in Impfzentren, zudem sollen mobile Impfteams etwa in Pflegeeinrichtungen gehen. Spahn sagte: "In den nächsten sechs, acht, zehn Wochen werden nach und nach diese Impfzentren in der Vorhaltung sein." Das reiche zeitlich aus.
Biontech und Pfizer hatten kurz zuvor mitgeteilt, dass ihr Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor der Krankheit Covid-19 biete. Voraussichtlich ab kommender Woche soll die Zulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragt werden. Zudem hatten der Deutsche Ethikrat, die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina und die Ständige Impfkommission ein von Spahn erbetenes Papier dazu vorgelegt, wer zuerst mit einem zunächst wohl knappen Impfstoff geschützt werden soll.
Über Biontech und Pfizer sagte Spahn, es freue ihn sehr, dass ein deutsches Unternehmen zu den ersten mit solchen Erfolgen zähle. Gleichwohl müssten weitere Erfahrungen abgewartet werden. "Das heißt noch nicht, dass morgen die Zulassung erfolgt."
Spahn erläuterte, eine Zulassung bei der FDA wäre zuerst einmal eine Zulassung in den USA. "Es kann dadurch eine zeitliche Differenz entstehen zwischen amerikanischer und europäischer Zulassung." Doch gehe er von einer parallelen Beantragung bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA aus. Als deutscher Gesundheitsminister wolle er erreichen, dass ein Impfstoff eines deutschen Unternehmens "nicht zuerst in anderen Ländern zur Verfügung steht".
Die Bundesregierung habe richtigerweise darauf gesetzt, mehrere Ansätze und Technologien zu fördern. Welche Erfolg hätten, könnte niemand sicher sagen. Dabei agiere Deutschland europäisch.
Spahn forderte die Menschen in Deutschland zu einer breiten Debatte über die erwartete Corona-Impfung auf. Denn in den ersten Wochen, eventuell Monaten nach einer Zulassung werde es noch nicht ausreichend Impfstoff geben. Ethikrat, Impfkommission und Leopoldina hatten dargelegt, zunächst sollten Kranke, Ältere und in zentralen Bereichen beschäftigte Menschen geimpft werden. Spahn sagte, "dass wir diejenigen schützen sollten, die das höchste Risiko für einen schweren, schwersten oder auch tödlichen Verlauf haben, und dass wir zuerst diejenigen impfen, die sich um diese Risikogruppen kümmern, insbesondere im Gesundheitswesen, in der Pflege, und dass wir sicherstellen, dass das öffentliche Leben aufrecht erhalten werden kann".
Er sagte: "Was mir auch persönlich wichtig ist: Dass diese Debatte nicht nur eine parlamentarisch-politische, nicht nur eine wissenschaftliche ist, sondern dass wir diese Diskussion tatsächlich an jeden Mittagstisch, an jede Arbeitsstelle, in jeden Freundes- und Bekanntenkreis tragen und dass darüber diskutiert wird in Deutschland." Am Ende müssten die Behörden vor Ort über eine Impfung entscheiden. Bei Vorerkrankungen könnten zum Beispiel Ärzte entsprechende Berechtigungen ausstellen. Impfzentren seien dabei auch als Lagerort wichtig, denn die Impfstoffe müssten bei bis zu minus 70 Grad aufbewahrt werden.
Im Coronakabinett sei am Vormittag unter anderem über die nationale Impfstrategie gesprochen worden. Beschlüsse seien nicht gefallen. Bei den zuletzt immer weiter angestiegenen Infektionszahlen gebe es positive Anzeichen, allerdings noch keinen Trend, sagte Spahn. "Wir sehen, dass sich die Dynamik abflacht, dass wir weniger starke Steigerungen haben, aber das ist natürlich noch nicht das Ziel", sagte er. "Wir müssen runter mit den Zahlen."
Über die Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen am Wochenende in Leipzig sagte Spahn: "Ich habe wenig Verständnis. Ich hab viel Verständnis fürs Demonstrieren. Aber man kann demonstrieren mit der Wahrung von Abstand und Alltagsmasken."/bw/DP/stw
Quelle: dpa-Afx