SEVENUM (dpa-AFX) - Die schleppende Einführung des E-Rezeptes in Deutschland passt so gar nicht in die Pläne der Online-Apotheken. Während einige Ärzte sich sperren und auch in manch einer stationären Apotheke das Personal noch nicht ausreichend geschult ist, scharren Unternehmen wie Shop Apotheke
DAS IST LOS BEI SHOP-APOTHEKE:
Der Online-Konzern hatte sich eigentlich auf den ursprünglich geplanten Starttermin des E-Rezepts in Deutschland zum 1. Januar 2022 ausgerichtet. Im niederländischen Sevenum entstand ein größeres und hochautomatisiertes Logistikzentrum, um die erwarteten Bestellmengen schnell und problemlos handeln zu können. Auch an der Zustellung wurde gearbeitet: Wer etwa eine wichtige Arznei braucht, soll sie noch am selben, spätestens am nächsten Tag geliefert bekommen oder bei einer stationären Partner-Apotheke abholen können. Erst kürzlich übernahm Shop Apotheke das Berliner Start-up First A, einen Apotheken-Schnelllieferdienst.
Dabei setzen nicht nur die Niederländer, sondern die Online-Apotheken allgemein, in puncto E-Rezept auch auf den "Mitnahmeeffekt": Wer sich durch die Seiten stöbert, könnte beim Einreichen der Verschreibung womöglich auch noch nicht rezeptpflichtige Produkte mitbestellen, so das Kalkül. Hier locken die Anbieter mit teils kräftigen Rabatten. Kunden binden will die Shop Apotheke auch mit dem Angebot einer Videosprechstunde mit einem Mediziner und mit sogenannten Red Points, die beim Einkauf gesammelt und später zum Bezahlen eingesetzt werden können.
Dabei wird Firmenchef Stefan Feltens nicht müde zu betonen, wie wichtig die Einführung der digitalen Arzneimittelverschreibung in Deutschland für den Konzern sei. Zwar gibt es das E-Rezept bereits in einigen Nachbarländern, doch gerade Deutschland gilt als lukrativer Markt: Rund 500 Millionen Verschreibungen reichten Ärzte in Papierform jährlich hierzulande an ihre Patienten weiter - Shop Apotheke hofft auf ein großes Stück vom Kuchen.
Doch das schon seit Jahren eingefädelte Projekt E-Rezept in Deutschland kommt nur schwer in die Gänge. Der geplante Start zum Jahreswechsel scheiterte an unzureichender flächendeckender Technik - und letztlich wohl am Widerstand vieler Beteiligter. Vor allem Ärzte sperrten sich, weil sie zu viel Bürokratie und technologische Hürden in ihren Praxen befürchteten. Vorbehalte gab es aber auch unter den Krankenkassen und stationären Apothekern.
Erst kürzlich befanden die Gesellschafter der für das Projekt federführenden Gesellschaft Gematik über einen neuen Zeitplan. Unter anderem müssen alle Apotheken ab dem 1. September das E-Rezept akzeptieren. Verbindlichkeit für Mediziner gibt es zunächst aber nicht. Dabei wird aber gehofft, dass sich den zwei Pilotregionen Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein immer mehr Ärzte und Kliniken deutschlandweit anschließen werden. Ab Dezember würde das E-Rezept dann verbindlich, sollten die Gematik-Gesellschafter die regionale Einführung als Erfolg werten.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) pries das E-Rezept zuletzt als einen "Gewinn für Patienten, Ärzte und Apotheker". Bislang jedoch verursachte die Vorbereitung darauf bei Shop Apotheke vor allem eines: hohe Kosten. Im vergangenen Jahr schlug die Anwerbung neuer Mitarbeiter für die Logistik ins Kontor, gleichzeitig gab es auch personell bedingte Engpässe bei der Abarbeitung der Bestellungen - und das vor dem erhofften E-Rezept-Ansturm.
Die Niederländer - die eigentlich zu den Krisengewinnern in der Pandemie zählten - rutschten dadurch 2021 auch operativ in die roten Zahlen und mussten ihre Prognosen mehrfach kürzen. Auch im ersten Quartal 2022 schrieb die Firma operativ einen Verlust, für das Gesamtjahr wird im schlimmsten Fall ebenfalls mit einer negativen Betriebsmarge gerechnet.
Dabei wächst Shop Apotheke kräftig - doch vor allem durch das Geschäft mit nicht verschreibungspflichtigen Produkten. Wie gut die Firma das E-Rezept gebrauchen kann, zeigt sich beim Blick auf das erste Quartal. In den deutschsprachigen Ländern fiel das Wachstum in den ersten drei Monaten nicht nur dürftig aus; der Umsatz mit rezeptpflichtigen Medikamenten brach sogar um kapp ein Drittel ein im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, als die Menschen coronabedingt noch mehr über das Internet bestellt hatten.
Der größte Schub kam zum Jahresstart aus den internationalen Märkten, in die der Konzern seine Expansion vorantreibt. Allerdings dürfte auch dies zunächst kräftig ins Geld gehen: So entsteht beispielsweise nahe Mailand ein erstes Distributionszentrum außerhalb der Niederlande.
DAS MACHT DIE AKTIE
Die Corona-Pandemie verlieht dem bis Februar 2020 mehr oder weniger dahin dümplenden Aktienkurs kräftig Schwung. Bis Februar 2021 stieg er bis auf fast 250 Euro. Im Vergleich zum Platzierungspreis von 28 Euro beim Börsengang im Jahr 2016 entspricht das einem Plus von knapp 800 Prozent. Doch mit der nachlassenden Corona-Krise, den hohen Expansionskosten und vor allem den Verzögerungen beim E-Rezept zogen sich auch viele Anleger wieder zurück. Es folgte im vergangenen September der Abstieg vom MDax in den SDax.
2022 kam dann der allgemeine Markteinbruch im Zuge des Ukraine-Krieges und die hohe Inflation hinzu. Bis Mitte April ging es nach unten, auf ein Zweijahrestief bei gut 65 Euro.
Die Fortschritte beim E-Rezept trieben dann aber eine Erholung an, die Anfang Juni bei gut 105 Euro ihren vorläufigen Höhepunkt fand. So richtig zufrieden sind Anleger mit dem Zeitplan für die Einführung dann aber nicht gewesen. Zuletzt fiel der Kurs wieder ein Stück weit zurück auf aktuell rund 84 Euro. Allein 2022 summieren sich die Verluste noch auf rund ein Viertel.
Dennoch: Die Papiere notieren immer noch deutlich über ihrem Ausgabepreis sowie höher als vor der Corona-Pandemie. Damit bringt es die Shop Apotheke aktuell auf einen Börsenwert von rund 1,5 Milliarden Euro. Damit gehört die Firma gemessen an der Marktkapitalisierung zum großen Mittelfeld im Nebenwerteindex SDax. Die Schweizer DocMorris-Mutter Zur Rose, deren Aktienkurs in diesem Jahr ebenfalls Federn ließ, bringt es umgerechnet auf weniger eine Milliarde Euro Börsenwert.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Die von dpa-AFX und der Nachrichtenagentur Bloomberg seit der Vorlage der Zahlen für das erste Quartal erfassten Analysten sind in der Mehrheit positiv eingestellt. Zehn Kauf-Voten stehen eine neutrale Stimme und zwei Verkaufsempfehlungen gegenüber. Das durchschnittliche Kursziel von gut 133 Euro liegt fast 60 Prozent über dem aktuellen Börsenkurs.
Baader-Analyst Volker Bosse hob erst Anfang Mai den Daumen und stufte die Aktien auf "Kaufen" mit einem höheren Kursziel hoch. Er sieht in der stufenweisen Einführung des E-Rezeptes einen wesentlichen Treiber der Aktie. Dabei hält er Online-Apotheken auch generell für recht unempfindlich gegenüber der Inflation und anderen konjunkturellen Folgen des Ukraine-Kriegs - letztlich dürften Kranke wohl kaum ihre Ausgaben für Medikamente zurückschrauben.
Das Thema Verbindlichkeit beim E-Rezept stößt jedoch einigen Analysten auf, auch Warburg-Analyst Michael Heider: Denn wenn die Ärzte vorerst nicht verpflichtet werden, ist offen, wie viele Rezepte tatsächlich in Digitalform ausgestellt werden. Der Experte bemängelte, dass es hier immer noch keinen klaren Fahrplan geben. Für Online-Apotheken sei dies eine schlechte Nachricht. Auch er empfindet das Potenzial für Unternehmen wie Shop Apotheke aber als groß.
Echte Skeptiker bezweifeln jedoch genau jene lichten Aussichten und verweisen etwa auf die geringere Distanz von stationären Apotheken zum Kunden. Zudem können die Onliner nur bedingt mit Preisvorteilen punkten, da ihnen von Rechtswegen inzwischen Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente untersagt sind. Auch die Kepler-Experten sehen die stationären Apotheken strukturell klar im Vorteil gegenüber Anbietern wie Shop Apotheke. Sie glauben nicht, dass das E-Rezept hieran etwas ändern wird und empfehlen daher, die Papiere zu verkaufen./tav/mne/mis
Quelle: dpa-Afx