HAMM (dpa-AFX) - Mehr als sechs Jahre nach dem Germanwings-Absturz mit 150 Toten befasst sich am Dienstag ein Gericht mit einer Klage von Hinterbliebenen gegen die Lufthansa
Am 24. März 2015 war Flug 4U9525 von Barcelona kommend in den französischen Alpen zerschellt. Der zeitweise wegen Depressionen behandelte Co-Pilot hatte die Maschine nach Überzeugung der Ermittler absichtlich gegen einen Berg gesteuert. Dabei kamen alle 150 Insassen ums Leben.
Die Kläger werfen der Lufthansa Versäumnisse bei den flugmedizinischen Untersuchungen des Co-Piloten vor. Wären diese gründlich erfolgt, hätte nicht übersehen werden können, dass er unter einer schwerwiegenden Erkrankung litt, fasst das Gericht in einer Ankündigung zusammen. "Er ist bei den jährlichen Untersuchungen auf Flugtauglichkeit einfach nur durchgewunken worden", bemängelt Elmar Giemulla, Anwalt der Kläger, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Warnhinweise seien missachtet worden, die eigentlich hätten aufmerken lassen sollen. So hatte der angehende Pilot demnach seine Ausbildung wegen einer Depression unterbrochen, später war ihm seine Pilotentauglichkeit aber wieder bescheinigt worden. Ein Vermerk dazu in seinen Akten sei fortan ignoriert worden. Auch sei keinem der von der Lufthansa bestellten Flugärzte aufgefallen, dass der Kopilot zuletzt unter starkem Medikamenteneinfluss gestanden habe, argumentiert Giemulla.
In erster Instanz hatte das Gericht die Frage der Haftung anders gesehen und die Klage abgewiesen. Die Lufthansa sei der falsche Adressat etwaiger Schadenersatzansprüche, weil nicht die Fluggesellschaft, sondern das Luftfahrtbundesamt zuständig für die Beauftragung der Flugärzte sei. "Niemand käme auf die Idee, den Fahrlehrer, der die Überlandfahrten begleitet hat, in die Pflicht zu nehmen, wenn ein Autofahrer Jahre später in den Gegenverkehr fährt", hatte der Vorsitzende Richter am Essener Landgericht in der mündlichen Urteilsbegründung im Juli 2020 gesagt.
Einige der enttäuschten Hinterbliebenen legten Berufung gegen die Entscheidung ein, andere warfen das Handtuch. "Sie sind müde, wollen sich nicht wieder und wieder mit dem Geschehen konfrontieren", sagt Giemulla. Ohnehin habe der Flugzeugabsturz nicht nur die Leben der Menschen an Bord gekostet, sondern auch viele Leben der Hinterbliebenen zerstört. "Jedes Schicksal ist anders, aber niemand von ihnen wird da je drüber hinwegkommen", sagt Giemulla. Eltern litten immens unter der Vorstellung, was ihr Kind in den letzten Minuten des Lebens durchmachen musste. "Diese Fragen werden sie für den Rest ihres Lebens verfolgen". Die Folgen wären in vielen Familien ganz konkret: zerbrochene Ehen, verlorene Arbeitsplätze, psychische Erkrankungen, schwer zu bewältigende Alltage.
Vor dem Hintergrund hätten die gezahlten Summen der Lufthansa seine Mandanten eher verletzt als einen Schaden gelindert: "Eine Entschädigung darf doch den Schmerz, den man hat, nicht auch noch durch eine Beleidigung krönen", sagt Giemulla. Die Lufthansa hat den Erben der Hinterbliebenen laut Urteil des Landgerichts Essen nach dem Unglück pauschal 25 000 Euro für jeden verunglückten Passagier für dessen Todesangst gezahlt. Zusätzlich bekamen unmittelbare Angehörige jeweils 10 000 Euro für ihre erlittenen Schmerzen durch den Verlust.
Die Kläger fordern nun jeweils zusätzliche 30 000 Euro an Schadenersatz - für sich selbst und teilweise andere Geschädigte, die ihre Ansprüche übertragen haben. Es geht laut einem Gerichtssprecher insgesamt um eine Summe von gut 800 000 Euro.
Ob es in dem Prozess bereits am ersten Tag eine Entscheidung gibt, ist offen: Die Richter haben für die Verhandlung, die erst am frühen Abend beginnen wird, zunächst zweieinhalb Stunden Zeit veranschlagt./fld/DP/stw
Quelle: dpa-Afx