Gleich zu Beginn des neuen Jahres beschleunigte die Gemeinschaftswährung ihre Talfahrt und fiel am vergangenen Donnerstag auf ein Neun-Jahres-Tief von 1,1755 Dollar nach fast 1,40 Dollar noch im Mai. Kein Wunder also, dass viele Banken ihre eben erst aufgestellten Wechselkurs-Prognosen für 2015 schon wieder kassieren. "Man sollte nicht auf die Parität setzen, aber sich darauf vorbereiten", sagt Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. Weniger als einen Dollar hatte man für den Euro zuletzt im Dezember 2002 bekommen. Seither ging es trotz vieler Schwankungen generell nach oben - selbst noch nach der Euro-Schuldenkrise von 2010 bis 2012. Doch dieser Trend scheint nun gebrochen zu sein.

Dafür sorgt vor allem die auseinanderdriftende Geldpolitik der Notenbanken in den USA und Europa. Denn während die Fed die Dollarflut eindämmen will, steht die Europäische Zentralbank (EZB) kurz davor, die Schleusen sperrangelweit zu öffnen. Die Deutsche Bank stellte deshalb bereits im Herbst die Euro/Dollar-Parität in Aussicht. In zwei Jahren werde ein Euro nur noch 95 US-Cent kosten, prognostizierte Devisenanalyst George Saravelos im Oktober. Seine Kollegen von Goldman Sachs sehen die Gemeinschaftswährung Ende 2017 sogar nur noch bei 90 Cent.

Die Commerzbank senkte dieser Tage ihre Euro-Prognose auf 1,12 von zuvor 1,15 Dollar. Simon Derrick, leitender Devisenstratege der BNY Mellon in London, lehnt sich deutlich weiter aus dem Fenster: Er sagt die Parität bereits für Ende des Jahres voraus und damit einen Kurseinbruch von rund 15 Prozent - etwa so viel, wie der Euro seit dem Sommer 2014 verloren hat.

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ZWEISCHNEIDIGES SCHWERT

Durch die Chefetagen deutscher Konzerne dürfte bei diesen Prognosen ein Seufzer der Erleichterung gehen. Denn ein schwächerer Euro wirkt für die Exportnation Deutschland wie ein Konjunkturprogramm. Multinationale Konzerne, die einen Großteil ihrer Geschäfte im Ausland machen, können die in der Heimat gefertigten Produkte im Ausland günstiger verkaufen.

Euro-Länder ohne großes Auslandsgeschäft wie Spanien, Portugal und Griechenland hingegen nutzt das wenig. Die Konjunkturentwicklungen in der Euro-Zone könnten also weiter auseinanderklaffen. "Die Euroschwäche ist deshalb ein zweischneidiges Schwert", sagt Marktstratege Christian Jasperneite von MM Warburg. "Die Divergenzen werden größer und wie soll die EZB dann damit umgehen?"

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GREXIT WÄRE VERSCHMERZBAR - ABER ANGST VOR DOMINOEFFEKT

Zudem braut sich in Athen neues Unheil für den Euro zusammen: Griechenlands Wähler werden am 25. Januar die Möglichkeit haben, den von der EU und der EZB unterstützten Reformkurs abzuwählen. Kaum war der Termin vor Weihnachten bekannt geworden, machten Spekulationen über einen anstehenden Austritt der Griechen aus der Währungsunion ("Grexit") die Runde - obwohl die Reformgegner das gar nicht wollen. Für Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der HSH Nordbank, wäre ein "Grexit" zwar ein Rückschlag. Doch hält er die Furcht vor einem Zerfall der Währungsunion für geringer als noch vor ein paar Jahren.

Andere Experten sind skeptischer. So warnen die Analysten der Metzler Bank vor der Ansteckungsgefahr eines Anti-Euro-Kurses einer neuen Athener Regierung. "Das politische Risiko ist vermutlich der Faktor, der 2015 dazugekommen ist", stimmt Analystin Jane Foley von der Rabobank zu. Schließlich stünden auch in Spanien und Portugal in diesem Jahr Wahlen an. Die Expertin rechnet auf Sicht von zwölf Monaten - wie die meisten ihrer von Reuters Anfang des Jahres befragten Kollegen - mit einem Euro-Kurs von 1,15 Dollar. Im Dezember hatte das Gros der Analysten noch auf 1,18 Dollar getippt.

Reuters