Im September 2021 ist der DAX auf 40 Werte angewachsen. Wir analysieren was das gebracht hat und wie die Neulinge heute dastehen. Von Jörg Lang

Das Flaggschiff der deutschen Börse ist der DAX. Der Bluechip-Index misst seit dem 1. Juli 1988 die Performance der inländischen Aktien mit dem größten Börsenwert. Die Entwicklung und besonders auch die Zusammensetzung in mehr als 30 Jahren sind ein Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte.

Am 20. September vergangenen Jahres erfolgte nun die bisher größte Reform des Börsenbarometers: Der DAX wurde von 30 auf 40 Werte erweitert, und es wurden neue Zugangsbedingungen kreiert. Das sollte dem DAX mehr Dynamik verleihen. Die gab es auch, aber nach unten. Nach einem Jahr zeigt sich, dass nicht alle Newcomer DAX-Format haben. Setzt man etwa die Durchschnittsentwicklung aller zehn Aufsteiger an, ergibt sich ein Minus von fast 26 Prozent. Der DAX selbst hat im selben Zeitraum rund zwölf Prozentpunkte besser abgeschnitten. Hat sich die Qualität durch die Erweiterung wirklich verschlechtert, wie vielfach behauptet wird?

Über viele Jahre hinweg war die Zusammensetzung des DAX recht stabil. Es gab Jahre, in denen sich gar nichts tat. Das änderte sich mit dem Wirecard-Skandal. Der Zahlungsdienstleister war 2018 für die Commerzbank in den Index gekommen. Später stellte sich heraus, dass das Zahlenwerk gefälscht war, die Firma ging pleite. Peinlich: Die Indexkommission der Deutschen Börse hatte lange keine Handhabe, um den Wert aus dem DAX zu entfernen. Deshalb wurden für die Neuaufnahme zusätzliche Regeln geschaffen. Seither müssen die Betriebsergebnisse eines potenziellen Aufsteigers zwei Jahre in Folge positiv sein. Zudem kann die Indexkommission Unternehmen sofort eliminieren, wenn Zahlen (wie bei Wirecard der Fall) nicht rechtzeitig vorliegen.

Hellofresh muss schon wieder gehen

Im Zuge der Neuordnung wurde der Index um zehn Werte erweitert. Gleichzeitig hat die Deutsche Börse auch den Pool, aus dem die Firmen kommen können, erweitert. Unternehmen mit Sitz im Ausland konnten zuvor nicht in den DAX aufsteigen. Nun zählt vor allem der Handelsschwerpunkt der Aktie. Dadurch schafften es etwa die Aktien von Flugzeughersteller Airbus und Gendiagnostiker Qiagen in den DAX. Auch die Aktien aus dem General Standard, also einem Börsensegment mit etwas weniger rigiden Zulassungsvorschriften, kommen nun infrage, was der Vorzugsaktie von Porsche zum Aufstieg verhalf.

Nach der Neuausrichtung hat es schon fünf Veränderungen im Index gegeben. Davon ist mit Hellofresh nur einer der Newcomer betroffen, die im Rahmen der Erweiterung aufstiegen. Nach mehr als 70 Prozent Kursverlust seit der Indexaufnahme ist das Gastspiel im DAX schon wieder beendet. Oft wird auch Delivery Hero in die Gruppe der Flops nach der Neuordnung eingeordnet. Das stimmt aber nicht ganz. Der Essenslieferant stieg als Ersatz für Wirecard bereits im August 2020 auf. Interessanterweise wäre das nach neuen Regeln nicht infrage gekommen, weil das Unternehmen seit seinem Börsengang nie ein positives Betriebsergebnis erreichte.

Trotz der teilweise grottenschlechten Performance haben die Neulinge den DAX selbst allerdings kaum belastet. Die meisten Aufsteiger haben eine Indexgewichtung von deutlich unter einem Prozent. Da bewegt sich die Indexnadel selbst bei massiven Kursverlusten kaum.

DAX 40

Fahrstuhlaktie Beiersdorf

Eine logische Folge der Indexumstellung ist, dass es künftig häufiger Änderungen geben wird. Die Hürden wurden gesenkt, der Kreis potenzieller Kandidaten vergrößert. Das kann zu Jo-Jo-Bewegungen führen, wie etwa die Aktie von Beiersdorf zeigt. Der Nivea-Konzern war seit 2008 Mitglied im DAX, wurde aber vor der Umstellung von Siemens Energy verdrängt, rückte nach der Umstellung wieder für Deutsche Wohnen auf, weil die Immobilienfirma nach der Übernahme durch Vonovia aus dem Index ausschied. Dann mussten Beiersdorf und auch Siemens Energy für Daimler Truck und Hannover Rück Platz machen. Beiersdorf kehrte kurz danach aber erneut zurück und ersetzte im Juni Delivery Hero. Siemens Energy ist ebenfalls seit der Abspaltung von Siemens vor rund zwei Jahren nun schon zum dritten Mal DAX-Mitglied. Die Aktie hat bei der jüngsten Umstellung Hellofresh abgelöst.

Trotz des Schlingerkurses können Experten der Erweiterung auf 40 Werte aber auch eine Reihe positiver Aspekte abgewinnen: „Mit der Indexumstellung werden mehr Industrien abgedeckt. Der Anteil der Wachstumsfirmen nimmt zu, es gibt mehr Innovationen“, sagt Manfred Piontke, Chef der Kapitalanlagegesellschaft MPPM: „Das ist vor allem mit Blick auf internationale Investoren wichtig, die ja einen Markt oft über den größten Index abbilden.“ Ausländische Investoren sind wichtig, um etwa auch die Finanzierungsmöglichkeiten von Unternehmen zu erhöhen. Eine DAX-Mitgliedschaft ist dabei ganz klar von Vorteil. Siemens Healthineers etwa könnte die dadurch gewonnene Popularität in die Wachstumsstrategie einbauen. Das Medizintechnikunternehmen will auch durch Übernahmen wachsen. Wird das über die Ausgabe neuer Aktien finanziert, schmilzt die Beteiligungsquote der Mutter Siemens (75 Prozent) ab. Damit steigt der Streubesitz und auch die Gewichtung im DAX.

Buchtipp

Neulinge als Bereicherung

Ein Wachstumsmodell, das gut in den DAX passt, verfolgt Brenntag. Das Unternehmen ist auf den Vertrieb von chemischen Produkten spezialisiert und dürfte unter den unabhängigen Anbietern mit Abstand globaler Marktführer sein. Allerdings ist der absolute Marktanteil noch nicht sehr hoch, der Markt ist stark fragmentiert. Schon seit Jahren verfolgt das Unternehmen deshalb erfolgreich eine Buy-and-Build-Strategie. Dabei werden Firmen erworben, die das Produktspektrum erweitern oder die Präsenz regional ergänzen. Darüber hinaus entstehen sogenannte Cross-Selling-Effekte, weil die Produkte der zugekauften Unternehmen im ganzen Konzern vermarktet werden oder Brenntag in den Stammmarkt der neuen Tochter vordringen kann. Dieser Weg ist für Brenntag noch lange nicht zu Ende.

Vergleichbare Wachstumsambitionen hat die Spezialchemiefirma Symrise. Das Unternehmen zählt neben dem Schweizer Wettbewerber Givaudan zu den Marktführern bei Aromen und Duftstoffen, die in Nahrungsmitteln oder Kosmetika eingesetzt werden. Symrise versucht, sein Betätigungsfeld kontinuierlich zu erweitern, zuletzt etwa auf den Heimtiermarkt. In den vergangenen beiden Jahren gab es drei Zukäufe. Alle Geschäftsbereiche sind eigenständig aufgestellt und bieten dadurch Punkte zum Andocken für die zugekauften Einheiten, die sich mit der DAX-Zugehörigkeit auch leichter finanzieren lassen.

Gemessen an der Wertentwicklung seit dem DAX-Aufstieg am 20. September 2021 war Aufsteiger Puma eine Enttäuschung. Die Anteilscheine des Sportartikelherstellers verloren knapp 36 Prozent. Mit einem Minus von über 50 Prozent schnitt aber der große Wettbewerber Adidas noch schlechter ab. Und auch in der operativen Entwicklung scheint der kleinere Herausforderer die Nase im Moment vorn zu haben.

Die rote Laterne hält DAX-Novize Zalando, dessen Aktien um gut drei Viertel an Wert einbüßten. Es könnte gut sein, dass auch der europaweit größte Onlinemodehändler bei der nächsten Indexumstellung seinen Platz in der ersten Börsenliga verliert. Nach dem Auf und Ab der vergangenen beiden Jahre beäugen Investoren E-Commerce-Modelle besonders skeptisch. Werden die Konsumenten wegen höherer Ausgaben in anderen Bereichen künftig weniger bestellen? Nicht auszuschließen. Zudem werden die Kosten für Logistik und Energie steigen. Die Börse honoriert auf jeden Fall im Moment nicht, dass Zalando innerhalb von zwei Jahren seinen Kundenkreis um gut 50 Prozent auf 49,2 Millionen und seine Erlösbasis um über 60 Prozent auf über zehn Milliarden Euro ausgebaut hat.

Dieser Artikel erschien zuerst in BÖRSE ONLINE 37/2022. Werfen Sie hier einen Blick ins Heft.