War es Wagemut oder Übermut? Am 29. Dezember
1989 schlug sich ein Haufen junger Leute durch
die vom Wind zerzauste Weihnachtsdekoration
am Münchner Maximiliansplatz, um vom Notar Rüdiger
Graf von Stosch die Gründung einer "MD Finanzbeteiligungsgesellschaft
mbH & Co. Verlags KG" beurkunden zu
lassen. Doris Apell-Kölmel, Susanne Weger, Thomas
Döbel, Michael Kölmel, Ronny Kohl, Valentin Kraemer,
Klaus Meitinger, Ralf Rockenmaier, Gerd Weger, Frank-
B. Werner und Peter Willeitner beschlossen,
fortan eine Firma zu betreiben, deren
"Gegenstand das Beschaffen, die Auswertung
und die Weitergabe von Finanzinformationen
im weitesten Sinne und die Ausübung
aller damit zusammenhängenden
Verlagsgeschäfte sowie die Beteiligung an Unternehmen"
sein sollte. Noch am selben Tag wird der Finanzen Verlag
gegründet.
Auf Seite 2: Der Businessplan
Der Businessplan besteht aus Kostenschätzungen und
Erlöshoffnungen. Kein Wunder, dass die Banken verlangen,
dass die beiden Geschäftsführer, Kölmel und Werner,
für die Kreditlinien des Newcomers persönlich bürgen.
Und auch sonst hätten sich gestandene Verlagsmanager
die Haare gerauft. Zwar gab es einen Mietvertrag für ein
kleines Büro in der Münchner Orffstrasse, ein paar Schreibtische,
Telefone, ein Reuters-Terminal sowie das Konzept
für ein Monatsmagazin und viel, viel Begeisterung. Doch
schon die Begehung durch die Gewerbeaufsicht brachte
die ernüchternde Erkenntnis, dass zum Unternehmerdasein
mehr gehört als schlaue journalistische Ideen. "Wo
ist hier bitte der Damenabort", wollte der freundliche Herr
Huber wissen. Ach so, in Firmen sind für Männlein und
Weiblein getrennte Toiletten vorgeschrieben?
Trotzdem ließ sich das Team (neben den Gesellschaftern
noch Iris Deuber, Gabriele Hoffmann, Dieter Fischer, Matthias
Gross und Jörg Lang) nicht kirre machen. Es hatte
schließlich für den Markt&Technik Verlag zwei Jahre lang
die Redaktion für die Wochenzeitschrift "Börse Online" gestemmt.
Am 26. Januar 1990, vier Wochen nach der Verlagsgründung,
lag das erste Heft "Finanzen" an den Kiosken.
An diesem Tag ging auch die Deutsche Terminbörse (DTB)
an den Start - praktisch, so hatte man gleich ein Titelthema.
Schon das Geschäft mit standardisierten Terminkontrakten
war in Deutschland neu, die DTB war auch die erste
Börse in Deutschland, bei der Händler ihre Abschlüsse am
Computer tätigen, statt sich auf dem Parkett zu treffen. In
bester journalistischer Bedenkenträger-Manier orakelte
das neue Blatt, "dass die neue Form des Computerhandels
den Händlern an den Terminbörsen Probleme machen
wird: Anonymität und mangelnde soziale Kontrolle sind
hier nur zwei Stichworte".
Ansonsten war man mächtig stolz auf ein Exklusiv-Interview
mit Porsche-Chef Heinz Branitzki, stellte VIAG und Nissho
als Aktie beziehungsweise Optionsschein des Monats vor,
prophezeite der IVG eine großartige Zukunft, listete die besten
Investmentfonds des Jahres auf, porträtierte den Unternehmer
Rainer Pilz, der das erste Joint-Venture mit einem
DDRKombinat gegründet hatte, und testete die vermeintlich
besten Skigebiete Europas - inklusive Helikopter-Skiing
im Kaukasus. Sogar ein paar Anzeigen hatte die Erstausgabe. Danke! Barings, Bethmann Bank, Citi bank, Commerzbank,
Julius Bär, M.M. Warburg und Uto Baader.
Auf Seite 3: Erste Bewährungsprobe
Am 2.August 1990 lässt Saddam Hussein seine Truppen in
Kuwait einmarschieren. Der Ölpreis explodiert, die Börsenkurse
wackeln, die Anzeigenkunden werden unsicher. Der
junge Verlag hat seine erste Bewährungsprobe zu überstehen
und sichert seine finanzielle Basis mit Lohnaufträgen.
Die umfangreiche Datenbank des Verlags, aus der auch Newsletter
zu Fonds und Optionsscheinen gespeist werden, wird
Grundlage für die Finanzseiten des Pro Sieben Videotextes.
Schnellschreiber unter den Redakteuren produzieren Kundenzeitschriften
ür Banken. Als die Lage sich beruhigt,
ziehen auch die Vertriebs- und Anzeigenumsätze wieder
an und der Verlag geht in den Expansionsmodus über.
1995 wird die "GELDZEITUNG" gestartet, ebenfalls ein Monatstitel,
aber auf Zeitungspapier gedruckt, um Wirtschaftseinsteigern
den Zugang zu erleichtern. Das Blatt verkauft sich
überraschend gut und sorgt dafür, dass der Finanzen Verlag
bei den großen Playern allmählich wahrgenommen wird.
Auf Seite 4: Der Hype am Neuen Markt führt zu Auflagenrekorden
Im Oktober 1996 beteiligt sich der Axel Springer Verlag an
der Münchner Nachwuchstruppe. Die gemeinsame Idee: Aus
der "GELDZEITUNG" einen Wirtschaftstitel für den Sonntag
machen, um Springers "Bild am Sonntag" und "Welt
am Sonntag" zu ergänzen. Für Finanzen-Verleger Michael
Kölmel ergibt sich aus dem Deal eine Doppelchance. Zum einen geht im Oktober 1998 "€uro am Sonntag" an den
Start. Sie bricht mit dem Hype am Neuen Markt in den Jahren
1999 und 2000 einen Auflagenrekord nach dem anderen
und kann sich auch vor Anzeigen kaum retten, die mehrere
Hundertschaften von Unternehmen schalten, die ihre
Pläne zum Börsengang publik machen wollen. Zudem
steckt Kölmel - immer schon Filmliebhaber und nebenbei
kleiner Verleiher und Kinobetreiber - seinen Anteil am Verkaufserlös
in die Finanzierung des "Englischen Patienten".
Der Film gewinnt neun von zwölf Oskars, wird zum Kassenschlager
und legt den Grundstein für die Kinowelt AG, mit
der Michael Kölmel dann selbst an den Neuen Markt geht.
Auf Seite 4: Börsencrash und Auflageneinbruch
Im Februar 2001 erwirbt Axel Springer die bei Kölmel und
Frank-B. Werner verbliebenen restlichen 25,1 Prozent des
Finanzen Verlages. Werner bleibt als Geschäftsführer und
Chefredakteur von "€uro am Sonntag" an Bord. Das Schiff
muss er nun allerdings durch unruhige Gewässer steuern.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gehen die
Börsen in die Knie. Bis zum Einmarsch der USA im Irak im
Frühling 2003 dritteln sich die breiten Indizes wie Dow
Jones und DAX. Selbst die Telekom, 1996 als rosarote Volksaktie
mit plakativen Versprechungen an die Börse gebracht,
ist in den Miesen. Da sich die Banken plötzlich bei der Vergabe
von Anschlusskrediten zieren, geht zahlreichen Börsenlieblingen
die Luft aus. Der Nemax, der Index des Neuen
Marktes, kollabiert auf ein Zehntel. Anleger verlieren riesige Summen und ziehen sich frustriert von der Börse
zurück. Wer nicht mehr investiert, braucht auch keine Finanzinformationen.
Die Auflagen fallen.
Die Wirtschaftspresse, die gerade noch einen Boom von
Neugründungen erlebt hat (Financial Times Deutschland,
BIZZ, Telebörse, Focus Money, Aktienresearch, Business 2.0,
Econy und viele mehr), schlittert unvermittelt in die Krise.
Weil auch die Anzeigen wegbrechen, sind überall Sanierungsprogramme
gefragt. Der Finanzen Verlag handelt im Branchenvergleich
am konsequentesten, konzentriert sich auf
seine Kernaktivitäten, stellt kleinere Titel ein oder verkauft
sie - wie den "Artinvestor" - im Zuge eines Management Buyout.
Die Internetaktivitäten (finanzen.net) werden bei einer
anderen Springer-Beteiligung, der Smarthouse GmbH in
Karlsruhe, zusammengeführt. München liefert nur noch Inhalte.
Ungefähr ein Drittel der Stellen gehen bei diesem
Schrumpfungsprozess in den Jahren 2002 und 2003 verloren;
erstmals bildet sich im Finanzen Verlag ein Betriebsrat.
Auf Seite 5: Neue Beteiligungen und Lehman-Pleite
2006 und 2007 herrschen wieder gute Zeiten an den Märkten.
Doch die Hausse geht an vielen Privatanlegern vorbei.
So belebt sich zwar das Anzeigengeschäft, aber die Auflagen
stagnieren. Eine Entwicklung, die nicht nur die Wirtschafts-
und Finanzpresse trifft, sondern mehr oder weniger
alle gedruckten Zeitungen und Zeitschriften. Der Springer-
Konzern reagiert mit einer Schwerpunktsetzung bei
digitalen Medien und erwirbt für den Finanzen Verlag
Beteiligungen
an den börsennotierten digitalen Inhalteanbietern
wallstreet online AG, wallstreet online capital AG
und Zertifikatejournal AG.
Als die neue Formation (Axel Springer Financial Media)
durchstarten will, erschüttert im September 2008 der Zusammenbruch
der Investmentbank Lehman Brothers die Weltfinanzmärkte.
Banken und Versicherungen rund um den Globus
können nur durch beherzte Interventionen der Notenbanken
und Regierungen gerettet werden, viele Institute werden (teil)verstaatlicht. Banker, eben noch Traumberuf jedes BWL-Studenten,
werden nun landauf, landab gebashed. Die ambitionierten
Pläne der Axel Springer Financial Media lassen sich in
diesem desaströsen Umfeld jedenfalls nicht realisieren.
Auf Seite 6: Umbruch in der Verlagsbranche
Auch jetzt handelt der Konzern wieder konsequent. Die drei
Beteiligungen werden zurückverkauft. Nach zahlreichen Bereinigungen
seines Zeitungs- und Zeitschriftenportfolios in den
Jahren zuvor stellt Springer nun auch "€uro", "€uro am Sonntag",
den Newsletter "€uro fondsxpress" und die Spezialzeitschrift
für Finanzintermediäre "Fonds & Co." zum Verkauf.
Trotz der Turbulenzen in der Finanzwelt finden sich zahlreiche Interessenten aus dem In- und Ausland. Am Ende konkurrieren
noch ein US-Private-Equity-Unternehmen und
Geschäftsführer Werner mit einer Schweizer Beteiligungsgesellschaft.
Werner erhält im Mai 2010 den Zuschlag und
positioniert sich als kleiner Mittelständler im Wettbewerb
mit den Medienriesen Verlagsgruppe Handelsblatt und
Gruner+ Jahr. "Fonds & Co." erwirbt kurz darauf der Chefredakteur
Ludwig Riepl. Um mit "€uro" und "€uro am Sonntag"
im Internet präsent zu bleiben, schließt der Finanzen
Verlag mit dem Portal "finanzen.net", das Springer behalten
hat, einen langfristigen Kooperationsvertrag. Er setzt die erfolgreiche
Zusammenarbeit der vergangenen zehn Jahre fort.
Alle Marken bleiben im Netz präsent.
Auf Seite 7: Der Finanzen Verlag übernimmt Börse Online
An den Märkten jagt derweil eine Krise die andere. An Lehmann
schließt lückenlos das Griechenland-Debakel an.
2011 beschäftigt Menschen die Frage, was sie tun sollen,
wenn der Euro zerbricht. Gut ür die Auflagen. Der kleine
Verlag nutzt das und engagiert sich mutig wieder beim
"Artinvestor", einem Zweimonats-Titel für den Kunstmarkt.
2012 geht dann plötzlich Marktführer Gruner+Jahr auf
Konsolidierungskurs. Die Financial Times Deutschland
wird eingestellt, verschiedene Titel zum Kauf angeboten.
Der Finanzen Verlag nutzt die Gelegenheit und erwirbt im
Januar 2013 die Zeitschrift "Börse Online" und das Internetportal
"boerse-online.de". Dadurch wird er über Nacht
nach der Verlagsgruppe Handelsblatt zur neuen Nummer 2
der deutschen Finanzpresse. Wie es weitergeht? Da halten
es Frank-B. Werner und seine Mannschaft mit Perikles:
"Es ist nicht unsere Aufgabe, die Zukunft vorherzusagen,
sondern auf sie gut vorbereitet zu sein."