Wann realisieren Aktionäre bei kurz vor der Pleite stehenden AGs Verluste, die das Finanzamt akzeptiert? Der Bundesfinanzhof hat einen wichtigen Streitpunkt entschieden. Von Brigitte Watermann
Bei Verkaufsgewinnen von Wertpapieren ist der Fiskus schnell und gerne mit von der Partie: Anleger, die ihren Sparerpauschbetrag von 801 Euro pro Jahr ausgeschöpft haben, werden bei ab 2009 gekauften Wertpapieren um ein Viertel ihres Gewinns erleichtert. Doch an Verlusten will sich der Fiskus möglichst wenig beteiligen. Umstritten ist daher bis heute in manchem Detail, wann und wie Anleger denn nun einen steuerlich verwertbaren Verlust "produzieren" können.
Der Bundesfinanzhof (BFH), Deutschlands höchstes Steuergericht, weist die Steuerverwaltung immer wieder in ihre Schranken - wie mit einem gerade veröffentlichten Urteil (Az.: VIII R 20/18 vom 17.11.2020): Wird eine Aktiengesellschaft (AG) infolge einer Insolvenz aufgelöst, abgewickelt und im Register gelöscht und erlischt daher das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs, dann entsteht ihm ein steuerlich verwertbarer Verlust, wenn er seine Einlage ganz oder zum Teil nicht zurückbekommt. Wenn Aktien von solchen Unternehmen schon vor der Löschung der AG im Register aus dem Depot eines Anlegers ausgebucht werden, dann entsteht ein steuerlich verwertbarer Verlust bereits zum Zeitpunkt der Ausbuchung, entschied der BFH. Gleichzeitig stellten die Richter klar, dass es für die Anerkennung als Verlust nicht ausreicht, wenn die Notierung der Aktien an der Börse eingestellt, die Börsenzulassung widerrufen werde oder mit Auszahlung von Vermögen der AG nicht mehr zu rechnen sei.
"Planwidrige Lücke"
Im konkreten Fall hatte ein Anleger im Jahr 2009 Aktien einer Gesellschaft gekauft, über die 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Aktien lagen Ende 2013 noch mit einem Stückpreis im Depot. Der Anleger wollte aber bereits für 2013 einen Totalverlust geltend machen und mit Gewinnen verrechnen. Das Finanzamt verweigerte das. Dem stimmten die BFH-Richter zwar zu: Die bloße Insolvenzeröffnung reicht demnach nicht aus, dass ein Verlust als realisiert gilt. Die Richter bemängelten aber, dass das Einkommensteuergesetz in der damals gültigen Fassung eine "planwidrige Lücke" aufwies. Denn damals galt es nicht als steuerlich verwertbare Veräußerung, wenn Aktien aufgrund von Insolvenz gelöscht oder von der Depotbank ausgebucht wurden - zu Unrecht, so die BFH- Richter. Nach Expertenmeinungen bestätigt das Urteil erneut, dass der Fiskus Verluste gerade auch bei wertlosen Anlageinstrumenten umfassend anerkennen muss. Klar ist auch, dass der BFH den Begriff der "Veräußerung" sehr weit auslegt.
Die Gerichtsentscheidung ist wichtig für fehlgeschlagene Aktiendeals, die in die Zeit ab Start der Abgeltungsteuer 2009 bis Ende 2019 fallen, dürfte aber auch auf die neue Rechtslage ausstrahlen. Seit 2020 gilt per Gesetz: Verluste aus der Ausbuchung wertloser Aktien oder eines sonstigen Ausfalls von Aktien werden anerkannt. Sie dürfen aber nur bis 20 000 Euro pro Jahr mit Kapitaleinkünften verrechnet werden. "Fraglich ist, ob die neuen Verlustverrechnungsbeschränkungen überhaupt zu- lässig sind", sagt Daniel Hoffmann, Direktor Steuern beim Bundesverband deutscher Banken.