Was der Entzug des US-Spitzenratings für die Börse bedeutet – und warum Value-Investor Hendrik Leber von „Erpressung“ und „Geiselnahme“ spricht.
Ein Schuss vor den Bug, ein Warnsignal, die Sorgen über die US-Finanzstabilität ernst zu nehmen — so lassen sich die Reaktionen auf den Entzug der Spitzenbonität der USA zusammenfassen. Die Ratingagentur Fitch hatte die Kreditwürdigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt in der Nacht zum Mittwoch um eine Stufe von „AAA“ auf „AA+“ herabgesetzt. Begründung: Das endlose politische Gezerre um die Schuldenobergrenze und die hohe Staatsverschuldung der USA. So erreicht der US-Schuldenstand 2023 laut Fitch 112,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (zum Vergleich Deutschland: 65,3 Prozent).
Beängstigende Projektionen
Die Börsen reagierten auf die Nachricht zunächst mit moderaten Kursverlusten. DAX und Wall Street verloren am Mittwoch ein bis zwei Prozent, in den USA erwischte es vor allem Techwerte. Die Märkte blieben auch am Donnerstag unter Druck. Der Vorgang weckt Erinnerungen an das Jahr 2011, als die Ratingagentur S & P den USA bereits das Top-Rating aberkannt hatte. An den Börsen hatte dies schwere Turbulenzen ausgelöst, der DAX büßte damals innerhalb weniger Tage rund 25 Prozent ein.
Das Top-Rating „AAA“ signalisiert Käufern von Staatsanleihen ein sehr sicheres Investment mit einem extrem geringen Ausfallrisiko. US-Finanzministerin Janet Yellen kritisierte das Downgrade scharf. Der Schritt sei willkürlich und basiere auf alten Daten.
„Die Herabstufung ist gerechtfertigt“, sagte dagegen ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann gegenüber €uro am Sonntag. „Die Projektionen für die Entwicklung der US-Verschuldung sind absolut beängstigend. Hinzu kommt die dramatische Polarisierung der US-Politik. Damit sind Zahlungsausfälle nicht mehr auszuschließen.“ Heinemann sieht den Schritt als Warnung. „Das US-Rating ist immer noch gut. Die USA geraten aber als Schuldner unter verschärfte Beobachtung.“
Entzieht nun auch Moody´s das Spitzenrating?
Ähnlich äußerte sich Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, der nun die Ratingagentur Moody’s am Zug sieht. „Eine Besserung zeichnet sich nicht ab. Deshalb sollte es nicht verwundern, wenn nun auch Moody’s den USA die Bestnote entzieht.“ Negative Folgen insbesondere für den US-Kapitalmarkt befürchtet Gitzel kaum. Ein ökonomisch bedingter Zahlungsausfall der Vereinigten Staaten sei auszuschließen. Der US-Kapitalmarkt sei aufgrund seiner Liquidität und globalen Bedeutung alternativlos.
Dennoch werden die Folgen für den Anleihemarkt kontrovers diskutiert. Einige Ökonomen, etwa aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), vertreten die Ansicht, vom Entzug der Top-Bonitätsnote für die USA könnten kleinere Emittenten mit der Bestnote „AAA“ profitieren, unter denen Deutschland der Größte sei. Mit gewissen Umschichtungen zugunsten deutscher Staatsanleihen rechnete auch die europäische Ratingagentur Scope, wobei deren Umfang schwer einschätzbar sei.
Profitiert Deutschland wirklich?
ZEW-Ökonom Heinemann hält derartige Reaktionen für unwahrscheinlich. „Deutschland ist kaum der sichere Hafen, zu dem jemand aus den USA flieht.“ Auf der deutschen Bonität lasteten Demografie-Kosten und schwindende Standort-attraktivität. „Hinzu kommen die offenen und verdeckten Garantien für Südeuropa über die neuen EU-Verschuldungsinstrumente sowie die EZB-Anleihekäufe.“ Die fiskalischen Schief-lagen in Italien und Frankreich nagten an der deutschen Kreditwürdigkeit. Als Alternative zu Staatsanleihen favorisiert Heinemann „gesunde private Unternehmen mit ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Geschäftsmodellen“.
Vermögensverwalter und Acatis-Gründer Hendrik Leber wundert sich unterdessen, dass sich Fitch mit der Herabstufung des Ratings überhaupt so lange Zeit gelassen hat, wie er gegenüber €uro am Sonntag sagte. „Ich denke viel an die Zitterpartien zurück, als bei den Streitigkeiten um die Schuldenobergrenze für kurze Zeit ein Default bevorstand. Bei diesen unverantwortlichen politischen Erpressungen wird der Geldgeber als Geisel genommen. Das ist unverantwortlich, und viele Politiker scheinen nicht zu verstehen, welche Auswirkungen ein solcher Zahlungsausfall hat.“
In früheren Jahren, etwa 2011, 2013 oder 2021, habe die Börse erhebliche Rücksetzer erlebt, so Leber. „Da wir uns daran gewöhnt haben, ist es diesmal nicht so dramatisch.“
Lesen Sie auch:
Commerzbank mit kräftigem Gewinnplus – Erneut hohe Belastungen für die Aktie durch Polen-Engagement