Wer Joghurt liebt, sollte Agrana kennen. Der Wiener Konzern liefert die Früchte für jeden dritten Becher der Welt. Doch die Österreicher verarbeiten nicht nur Obst. Daneben gewinnt das Unternehmen aus Mais, Getreide oder Kartoffeln Industrie- oder Speisestärke und raffiniert außerdem Zucker.
Doch obwohl das alles Lebensmittel sind, geht die Kundschaft weit über die Nahrungsmittelindustrie hinaus. Agrana-Stärke findet von der Zementverdickung bis zur Deckkraft in Kosmetika Anwendung. Der Zucker geht in die Getränkeindustrie und unter eigener Marke in die Supermärkte, während aus Getreide auch Bioethanol und aus den Reststoffen Tierfutter und Dünger wird.
Trotz der breiten Palette bringen Anleger das Unternehmen meist nur mit dem weißen Süßstoff in Verbindung. Weil der Zuckerpreis von 2011 bis Ende 2015 stetig fiel, kannte auch der Kurs der Aktie lange nur eine Richtung. Dass der Umsatzanteil der Fruchtsparte fast doppelt so hoch und der operative Gewinn gar dreimal höher ist als im Zuckersegment, wird von den Börsianern gern vergessen.
Nicht nur auf Zucker gebaut
Im zum März abgelaufenen Geschäftsjahr 2016/17 steuerte die Obstverarbeitung rund 45 Prozent zu den Gesamteinnahmen und gut 42 Prozent zum Ebit bei. "Viele Investoren betrachten Agrana vorwiegend als ein auf Zentral- und Osteuropa fokussiertes Zuckerunternehmen. Dabei sind das weltweite Fruchtgeschäft und die Stärkesparte die wichtigsten Profittreiber", erklärt Berenberg-Analyst Fintan Ryan.
Dennoch bleibt das zu gut 42 Prozent von Südzucker gehaltene Unternehmen zu Teilen weiterhin Spielball der Rohstoffpreise. Wie deutlich sich die starken Preisschwankungen bei Zucker und Ökosprit in der Bilanz niederschlagen, zeigt das jüngste Quartal. Der Sprung im operativen Ergebnis von März bis Mai um gut 49 Prozent auf rund 70 Millionen Euro gelang maßgeblich dadurch, dass für Bio-ethanol und Zucker wieder mehr bezahlt wird. Das Stärkegeschäft erzielt etwa ein Fünftel der bei gut 734 Millionen Euro liegenden Jahreseinnahmen.
Aufgrund der besseren Rohstoffpreise schraubte Agrana-Chef Johann Marihart die Jahresprognose nach oben. Wurde zuvor bei einem leichten Umsatzanstieg mit einem um fünf bis zehn Prozent höheren Ebit gerechnet, soll der operative Gewinn nun um mehr als zehn Prozent zulegen. Im vergangenen Jahr erreichten die Einnahmen 2,5 Milliarden und der Nachsteuergewinn 117,8 Millionen Euro.
Der alte Ausblick zeigt, dass Agrana auch bei weniger guten Rohstoffnotierungen das Ergebnis verbessern wollte. Wichtige Stütze: das 2003 als drittes Standbein gestartete Fruchtgeschäft. Heute betreiben die Österreicher 26 Werke auf allen Kontinenten und sind mit gut 30 Prozent Marktanteil die globale Nummer 1 unter den Obstverarbeitern.
Lohn der Mühe ist die seit dem Geschäftsjahr 2014/15 von 4,9 Prozent auf 6,7 Prozent gestiegene Gruppenmarge. Ungeachtet der Expansion verkauft Agrana aber erst ein Viertel seiner fruchtigen Zutaten an Kunden in Schwellenländern. Um die Präsenz auf diesen Wachstumsmärkten auszubauen, wurde vergangenen Dezember ein neues Werk in Argentinien gekauft, die Kapazitäten in China wurden erweitert und der indische Markt mit einem ersten eigenen Standort betreten.
Daneben will Chef Marihart mit Fruchtpürees, -saucen oder -garnituren nach der Molkerei- auch den Bäckerei-, Eis- und Fast-Food-Sektor beliefern. Doch die Fruchtsparte ist aber nicht der einzige Investitionsbereich.
Auch seine traditionell starke Stellung bei Zucker in Zentral- und Osteuropa will der Konzern festigen. In Serbien übernimmt der Lebensmittelzulieferer dazu gleich drei Zuckerraffinerien. Der größte Zukauf ist die geplante Mehrheitsbeteiligung an Sunoko, einem der größten Rübenzuckerproduzenten auf dem Westbalkan. Allein diese Akquisition könnte ab dem kommenden Jahr das operative Ergebnis der Zuckersparte verdoppeln.
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Rückkehr der Preisschwankungen
Ein Risiko für den Zuckermarkt ist allerdings der Wegfall der EU-Quoten Ende September dieses Jahres. Weil dann jeder in der Europäischen Union investieren kann und hiesige Produzenten auch auf den Weltmarkt exportieren dürfen, rechnen Branchenkenner mit sinkenden Zuckerpreisen. Allerdings sind die Märkte für die weißen Kristalle regional, da zu lange Transporte den Gewinn auffressen. Weil Agranas Märkte strukturell unterversorgt sind, glaubt Analyst Ryan, dass der Wegfall der Schutzmechanismen den Konzern deutlich weniger betrifft als etwa seinen Großaktionär Südzucker.
Ohne Übernahmen soll der Stärkebereich seine Produktion am Standort Pichelsdorf verdoppeln. Die Erhöhung ist nötig, da der boomende Onlinehandel die Nachfrage der Papier- und Pappehersteller steigen lässt.
Finanzieren kann Marihart seine allein für dieses Jahr 140 Millionen Euro teuren Investitionspläne dank einer Anfang des Jahres durchgeführten Kapitalerhöhung über 142 Millionen Euro sowie dem starken Cashflow. Die Barmittel aus dem operativen Betrieb lagen im vergangenen Geschäftsjahr bei 258 Millionen Euro. Auch nach Investitionsausgaben von gut 115 Millionen wuchsen die Finanzmittel damit auf knapp 200 Millionen Euro an. Mit einer Eigenkapitalquote von 56 Prozent ist die Bilanz auch über den Kassenbestand hinaus sehr solide.
Aktionäre profitieren davon seit 1997 über eine stabile und regelmäßig steigende Dividende. Mit der breiten Aufstellung im Zucker-, Stärke- und Fruchtbereich und der finanziellen Kraft könnten nach Joghurtfans auch Aktionäre den Konzern lieb gewinnen.