DAS IST LOS BEI AIRBUS:
"Wir befinden uns mitten in der schwersten Krise, die die Luftfahrtbranche jemals erlebt hat", sagte Airbus-Chef Guillaume Faury schon im April. Wegen der Corona-Pandemie mussten Airlines rund um die Erde ihren Flugverkehr weitgehend einstellen. Die Zahl der Passagiere sackte auf ein Minimum zusammen. Das Niveau von 2019 werde allenfalls im Jahr 2023 oder gar erst 2025 wieder erreicht, schätzen Branchenvertreter. Viele Airlines kommen derzeit nur dank staatlicher Finanzhilfen in Milliardenhöhe über die Runden.
Angst vor Ansteckung, Maskenpflicht und Hygieneregeln an Bord und am Zielort verunsichern viele Kunden - auch wenn etwa der europäische Urlaubsreiseverkehr ans Mittelmeer inzwischen wieder anläuft. Für Langstreckenflüge sind die Beschränkungen weiterhin hoch. So dürfen Menschen aus vielen Ländern - darunter den USA - kaum in die EU einreisen. Ähnliches gilt umgekehrt.
In dieser Lage fahren Airlines ihr Flugangebot nur schrittweise hoch. Lufthansa -Chef Carsten Spohr schätzt, dass sein Konzern auch in den nächsten beiden Jahren eine dreistellige Zahl von Flugzeugen am Boden lässt. Die inzwischen staatlich gestützte Lufthansa will bestellte Jets erst später abnehmen, Lufthansa-Großkunde Easyjet ebenso. Vielen Airlines fehlt derzeit schlicht das Geld, um neue Maschinen zu bezahlen.
Angesichts dessen kam Airbus bisher glimpflich davon. Während der einzige Konkurrent Boeing bereits einige Stornierungen von Fluggesellschaften kassiert hat, wies der europäische Hersteller für die Monate April bis Juni die Abbestellung von lediglich einem Jet aus.
Die Verkehrsflugzeugproduktion hat der Konzern wegen der Krise allerdings um rund ein Drittel gekappt, weitere Kürzungen sind in Arbeit. Und wegen der Verschiebung vieler Auslieferungen in kommende Jahre befinden sich nicht nur tausende Airbus-Mitarbeiter in Kurzarbeit. Bis Sommer 2021 will Airbus-Chef Faury weltweit rund 15 000 der 90 000 Jobs in der Verkehrsflugzeugsparte streichen und drängt die Politik zu einer Verlängerung der Kurzarbeitsregeln. Die Rüstungs- und Raumfahrtsparte ist von den Kürzungen nicht betroffen. Allerdings läuft dort ohnehin bereits der Abbau von mehr als 900 Jobs. Insgesamt beschäftigt Airbus weltweit rund 135 000 Mitarbeiter.
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Faury zeigte sich allerdings überzeugt, dass die Nachfrage in einigen Jahren wieder anzieht - wenn auch nicht so schnell auf das alte Niveau. "Wenn wir langfristig 40 Prozent weniger Produktion erwarten würden, würden wir nicht so viele Mitarbeiter im Unternehmen behalten."
Er rechnet damit, dass sich zuerst das Geschäft auf der Kurz- und Mittelstrecke erholt - und damit auch die Nachfrage nach entsprechenden Jets. Airbus ist in diesem Segment mit seiner Modellfamilie A320neo vertreten, die den Konkurrenten Boeing vor einigen Jahren zur Modernisierung seines Konkurrenzmodells 737 trieb. Diese "737 Max" genannte Neuauflage darf nach zwei tödlichen Abstürzen seit mehr als einem Jahr nicht mehr abheben. Die Wiederzulassung zieht sich weiter hin.
Zudem ist Boeing mit seiner Flugzeugpalette stärker im Langstreckensegment vertreten als Airbus. Und die Nachfrage nach Interkontinentalflügen dürfte sich Branchenvertretern zufolge deutlich langsamer erholen. Airlines könnten verstärkt auf kleinere Langstreckenjets setzen.
Faury sieht den Airbus-Konzern mit seiner Modellpalette daher gut gerüstet - gerade mit der neuen Langstreckenversion des Mittelstreckenjets A321neo. Sollten Airlines nach der Krise ihre Großraumjets mangels Nachfrage nicht vollbekommen, könnte die A321XLR etwa bei Flügen über den Atlantik eine rentable Alternative sein. Boeing hat in diesem Segment nichts im Angebot und seine geplante Neuentwicklung NMA angesichts der 737-Max-Krise gestoppt.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Ähnlich wie für die Mitarbeiter ist der Höhenflug für die Aktionäre von Airbus erst einmal vorüber. Noch im Januar hatte der Kurs der Airbus-Aktie mit 139,40 Euro den höchsten Stand seiner Geschichte erreicht. Doch im Februar ging es für das Papier steil nach unten - bis auf 48,12 Euro Mitte März. Seither hat er sich lediglich wieder etwas erholt und lag nach erneuten Kursverlusten vom Freitag zuletzt bei rund etwas mehr als 64 Euro. Damit ist das Papier an der Börse noch nicht einmal halb so viel wert wie zum Jahreswechsel.
Denn während Kurzarbeitergeld und ähnliche staatliche Hilfsprogramme die Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigten und den Airbus-Konzern derzeit noch abmildern, nimmt der Aktienkurs die erwartete Geschäftsentwicklung der kommenden Jahre voraus.
Wurde Airbus an der Börse im Januar zeitweise mit mehr als 109 Milliarden Euro bewertet, liegt die Marktkapitalisierung derzeit nur noch bei rund 50 Milliarden Euro. Dass viele Branchenexperten Airbus' Produktpalette für die kommenden Jahre mehr Erfolg voraussagen als den Modellen des gebeutelten Rivalen Boeing, spiegelt sich im Börsenwert kaum wider. Mit knapp 100 Milliarden US-Dollar (86 Mrd Euro) wird der US-Konzern immer noch deutlich höher gehandelt als sein Konkurrent aus Europa.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Obwohl sich die Airbus-Führung und die Luftfahrtbranche in aller Welt in der schwersten Krise ihrer Geschichte sehen, sind Finanzanalysten der Aktie des Flugzeugbauers aus Toulouse weiterhin zugetan. Von den zwölf im dpa-AFX-Analyser seit April erfassten Branchenexperten empfiehlt nur einer den Verkauf der Aktie, vier tendieren zum Halten. Diejenigen sieben Analysten, die ihre Einschätzung seit Anfang Juli erneuert haben, raten hingegen zum Kauf.
Der positive Trend zeigt sich auch bei den Kurszielen. Bezieht man alle Analysten ein, liegt das durchschnittliche Kursziel bei rund 76 Euro und damit bereits rund 10 Euro über dem jüngsten Kursniveau. Diejenigen Experten, die sich seit Anfang Juli geäußert haben, rechnen im Schnitt hingegen mit einem Kurs von mehr als 83 Euro.
Airbus sei am besten positioniert, um als Marktführer aus der Corona-Krise hervorzugehen, schrieb UBS-Analystin Celine Fornaro vor wenigen Tagen. Dies sei im Aktienkurs noch nicht berücksichtigt. Mit 103 Euro hat Fornaro unter ihren Kollegen das derzeit höchste Kursziel auf ihrem Zettel.
Sie begründet das auch damit, dass fast die Hälfte des Airbus-Auftragsbestands von Billigfluggesellschaften stammt. Diese seien im Vergleich zu klassischen Fluggesellschaften besser gerüstet, um von einer Erholung der Ticketnachfrage zu profitieren. Zugleich entfalle der Löwenanteil der Airbus-Produktion in den nächsten Jahren auf die Mittelstreckenjets der A320neo-Familie.
Analyst David Perry von der US-Bank JPMorgan hatte sich Anfang Mai von dem Abschmelzen der Geldmittel beim Airbus-Konzern erschrocken gezeigt und sein Kursziel von 59 auf 51 Euro gesenkt. Und auch Fornaro hält es für notwendig, dass der Konzern seine laufenden Kosten senken muss. Denn wenn Boeing seine Jets mit noch größeren Rabatten anbiete, müsse Airbus mithalten können.
Für das zweite Quartal rechnen von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragte Experten im Schnitt mit tiefroten Zahlen bei Airbus. Vor allem wegen der gebremsten Flugzeug-Auslieferungen dürfte der Umsatz um mehr als die Hälfte auf 8,7 Milliarden Euro eingebrochen sein, während das Geschäft mit Hubschraubern, Rüstung und Raumfahrt das Ergebnis gestützt haben dürfte. Vor Zinsen, Steuern und Sondereffekten (bereinigtes Ebit) erwarten sie einen Verlust von gut einer Milliarde Euro. Unter dem Strich sagen sie einen Fehlbetrag von 654 Millionen Euro voraus.
Für das Gesamtjahr gehen sie trotz der schweren Krise im Schnitt von schwarzen Zahlen aus. So dürften die Auslieferungen und damit auch der Geldbestand im Konzern im dritten und vierten Quartal wieder zunehmen, schätzt UBS-Analystin Fornaro. Im Schnitt rechnen die befragten Experten mit einem Umsatzeinbruch um ein Drittel auf 47,2 Milliarden Euro und einem bereinigten Ebit von 1,2 Milliarden Euro. Unter dem Strich dürfte ein Gewinn von 216 Millionen Euro herauskommen.
rtr