Vielflieger nehmen kaum Notiz, wenn über ihnen das Anschnallzeichen aufleuchtet. Bei Reisenden, die nicht so häufig im Flugzeug sitzen, kann die Aufforderung, die Sicherheitsgurte anzulegen, das Blut dagegen in Wallung bringen. "Fasten your seat belts", zu Deutsch "Bitte anschnallen!" - auch an der Börse sah sich die Luftfahrtindustrie 2018 häufig mit diesem Appell konfrontiert. Nachdem der Stoxx Europe TMI Airlines Index im Januar noch ein Allzeithoch erreicht hatte, drehte die Sektor-Benchmark markant nach unten (siehe Chart Seite 2).

Dabei ist das strukturelle Wachstum des Flugverkehrs trotz Handelskonflikt und Zweifeln am globalen Wirtschaftswachstum intakt. Europas Marktführer Lufthansa und Ryanair erhöhten das Passagieraufkommen in den ersten zehn Monaten des Jahres jeweils deutlich (siehe Grafik Seite 2). Der Kurssturz hat andere Ursachen. Zu schaffen machte den Airline-Managern eine unerwartet hohe Zahl an Flugausfällen und -verspätungen. Gerade während der Hauptreisezeit bekam die Branche ihre Grenzen in Form von Streiks, Engpässen bei Sicherheitskontrollen und Flugsicherung, Wetterkapriolen oder Planungsfehlern schonungslos aufgezeigt. Allein bei der Lufthansa waren bis Ende August 18 000 Flüge betroffen. "Das entspricht einer zweiwöchigen Schließung unseres größten Drehkreuzes in Frankfurt", erklärte Vorstandsmitglied Harry Hohmeister in einem Interview.

Als weiterer Ballast entpuppten sich die Kerosinkosten. Der Ölpreisanstieg von nahezu einem Viertel schlug in den ersten drei Quartalen voll auf die Gewinn- und Verlustrechnung der Airlines durch. "Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Kostenanstieg von mehr als einer Milliarde Euro allein durch Treibstoffkosten und Sonderbelastungen durch Flugausfälle und Verspätungen", brachte Lufthansa-Chef Carsten Spohr die Lage Ende Oktober auf den Punkt. Zwar hatte der Ölpreis zu diesem Zeitpunkt bereits nach unten gedreht. Allerdings dürfte Spohr kaum damit gerechnet haben, dass sich das schwarze Gold gegenüber dem Jahreshoch um mehr als 30 Prozent verbilligt.

Günstig bewertete Kranich-Linie



Mit dem Ausverkauf am Ölmarkt kehrte das Vertrauen der Investoren in die Airlines zurück. BÖRSE ONLINE hat die Lufthansa-Aktie Anfang November auf "Kaufen" heraufgestuft. Einen Monat später notierte der DAX-Titel bereits 13 Prozent über dem Empfehlungskurs, ehe die Börsenkorrektur das Papier zurück auf die Startposition drückte. An der fundamentalen Argumentation hat sich wenig geändert. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von weniger als fünf hebt sich das Unternehmen sowohl vom DAX als auch von der europäischen Konkurrenz ab. Sofern die Welt nicht in die Rezession schlittert, stehen die Chancen gut, dass die Lufthansa 2019 ein hohes Gewinnniveau hält. Gleichwohl sollten angesichts der Gefahr von weiteren Turbulenzen nur "schwindelfreie" Anleger in den Sektor investieren.

Diese Einschränkung gilt auch für Air France-KLM. Bei dem Carrier überlagern die "Gelbwesten"-Proteste in Frankreich gerade die solide operative Entwicklung der vergangenen Monate: Sowohl im zweiten als auch im dritten Quartal hatte Air France-KLM mehr verdient als erwartet. Für Kursfantasie sorgt der neue Chef, Ben Smith. Mit dem Kanadier übernahm im Herbst erstmals ein Nichtfranzose den Steuerknüppel bei Air France-KLM. Diese Tatsache spricht laut Kepler Cheuvreux-Analystin Ruxandra Haradau-Doser dafür, dass die Politik eine wettbewerbsorientierte Ausrichtung des Konzerns unterstützt. Mitte November hat die Expertin Air France-KLM auf "Kaufen" hochgestuft und zum Sektor-favoriten gekürt.

Derweil erhält Ryanair von KeplerCheuvreux den Status "Least Preferred" samt einem "Reduzieren"-Rating. Diesem Urteil schließen wir uns an. Die lange Zeit erfolgsverwöhnte Billigairline ist 2018 mit einem Kursminus von 25 Prozent regelrecht abgestürzt. Vor allem die zahlreichen Streiks und damit einhergehende Flugausfälle zwangen Vorstandschef Michael O’Leary dazu, die Prognose für das Geschäftsjahr 2018/19 (per 31. März) zu kappen. Möglicherweise kommt der Dauerzank mit der Belegschaft das Unternehmen noch teurer zu stehen. Gerade hat die britische Luftverkehrsaufsicht CAA rechtliche Schritte gegen Ryanair angekündigt, weil das Unternehmen betroffene Passagiere nicht entschädigen möchte.

Brexit als Bremsklotz



Die Probleme beim Branchenprimus haben Easyjet offenbar in die Karten gespielt. Jedenfalls meldete der zweitgrößte Billigflieger in Europa für das am 30. September abgeschlossene Geschäftsjahr 2017/18 ein Umsatzwachstum von 16,8 Prozent. Den Gewinn vor Steuern verbesserten die Briten überproportional um 41,4 Prozent. Vor allem über dem nordostdeutschen Himmel sind die Flieger mit dem orangefarbenen Heck öfter unterwegs. Durch die Übernahme der Aktivitäten von Air Berlin am Flughafen Tegel baute der Konzern die Kapazitäten am deutschen Markt um knapp die Hälfte aus. Insgesamt stockt das Management das Angebot gerade weiter auf. Ein ungeordneter EU-Ausstieg könnte die Pläne jedoch ziemlich durchkreuzen. Die für den 11. November geplante Brexit-Abstimmung im Unterhaus wurde verschoben. Die Chefetagen von Easyjet und Ryanair werden sich diesbezüglich noch gedulden müssen. Bei einem "No" des Parlaments droht bei beiden Unternehmen rasch das Anschnallzeichen aufzuleuchten.



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