Das Wohl und Wehe der hart von Corona getroffenen Reisebranche ist eng mit dem Auf und Ab der Infektionszahlen in der globalen Seuche verknüpft. Reisebeschränkungen als Teil staatlicher Abwehrmaßnahmen haben Airlines und Tourismus in ihre historisch schwerste Krise gestürzt. Viele Länder haben in Reaktion auf die Omikron-Variante ihre erst vor wenigen Monaten gelockerten Auflagen jüngst wieder verschärft, und die Reisebranche hofft nun erneut auf eine Erholung im Sommer. Doch Experten warnen, die Unternehmen könnten enttäuscht werden. "Wir sind weit davon entfernt, hier durch zu sein", sagte Peter Harbison vom Centre for Aviation (CAPA) kürzlich bei einer Konferenz der Denkfabrik.
Der Ausbruch der Omikron-Virusvariante, die noch ansteckender als die bisher dominierende Delta-Mutante ist, führe zu einem Chaos an Reiserestriktionen in Europa und dämpfe die Nachfrage erneut, schrieben die Analysten der Investmentbank HSBC. Die Politik richte sich momentan vorsichtshalber nach dem schlechtesten Szenario. Doch die Unvorhersehbarkeit von Reiseregeln schrecke die Menschen vom Reisen ab aus Sorge, im Ausland festzusitzen und nicht mehr nach Hause zu kommen. "Der Feind ist die Unsicherheit", erklärte Analyst Andrew Lobbenberg.
PANDEMIEJAHR ZWEI SOLL DEUTLICH BESSER LAUFEN
In diesem Jahr konnten sich die Airlines in Europa noch nicht weit aus dem Tief des ersten Corona-Jahres 2020 herausarbeiten: Nach Daten der europäischen Luftfahrtbehörde Eurocontrol belief sich die Zahl der Flüge (Passagiere und Fracht) auf 56 Prozent des Vorkrisenniveaus von 2019 nach nur 45 Prozent 2020. Die Öffnung der Transatlantik-Routen in die USA Anfang November habe nicht so viel gebracht wie erhofft, erklärte Eurocontrol-Generaldirektor Eamonn Brennan. Mit dem Auftauchen von Omikron Ende November brach das im Frühsommer begonnene Wachstum von Passagierflügen ab.
Die Lufthansa und ihre Schwester-Airlines schneiden mit einem Minus von 60 Prozent und mehr im Vergleich zu 2019 schwächer ab als viele andere Fluggesellschaften nach den Daten von Eurocontrol. Europas größte Airline, der Billigflieger Ryanair, büßte nur 45 Prozent ein. Für das kommende Jahr erwartet Eurocontrol 89 Prozent des Niveaus von 2019 oder 9,8 Millionen Flüge in Europa. Die Prognose bezieht allerdings den Omikron-Effekt noch nicht ein. Nachdem Weihnachten dem Luftverkehr nicht den erhofften Lichterglanz bringe, hoffe die Branche als nächstes auf Ostern, sagte Brennan. "Der Osterhase könnte die Industrie retten."
Auch die deutschen Flughäfen bleiben optimistisch, obwohl sie mit Flugstreichungen im Januar rechnen. "Wir sind überzeugt, dass die Nachfrage von Privat- und Geschäftsreisenden weiter steigt, sobald die Reisebeschränkungen fallen", erklärte die Arbeitgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV). Im zu Ende gehenden Jahr hätten sich nicht alle Erwartungen an eine Erholung erfüllt. Die Flughäfen zählten weniger als 80 Millionen Gäste, nur rund ein Drittel des Vorkrisenniveaus von 2019. Für 2022 prognostizierte der Verband knapp 180 Millionen Passagiere oder gut 70 Prozent des Volumens von 2019.
VIELE URLAUBER - WENIG GESCHÄFTSREISENDE
Die Planungen der Airlines spiegeln das bekannte Muster der Genesung vom Corona-Schock wider: Direktflüge in Europa heben schneller wieder ab als Langstreckenflüge im internationalen Luftverkehr. Während Nordamerika sich vorsichtig öffnet, schotten sich nämlich große Teile Asiens, vor allem China, mit scharfen Quarantäneauflagen weiter ab. Sonnenhungrige Urlauber kommen in Scharen zurück, Geschäftsreisende machen sich in kleiner Zahl auf den Weg. Die stark von Geschäftsreisen und Langstreckenflügen abhängige Lufthansa-Gruppe kalkuliert daher vorsichtig mit einer Kapazität von 80 Prozent im Sommer und 70 Prozent im Gesamtjahr.
Ferienflieger trauen sich mehr zu: Die Lufthansa-Tochter Eurowings und der britische Konkurrent Easyjet wollen im Sommer fast wie in normalen Zeiten abheben, denn das planen auch die großen Reiseveranstalter wie TUI und DER Touristik. Ryanair peilt für das nächste Geschäftsjahr eine Steigerung der Passagierzahl sogar über den Stand von 2019 von 149 Millionen an auf 165 Millionen nach rund 100 Millionen im laufenden Jahr. Der aufstrebende ungarische Billigflieger Wizz will seine Flotte um fast die Hälfte vergrößern auf 170 Maschinen. Das Omikron-Risiko bewertete George Michalopoulos, Chief Commercial Officer von Wizz, als nicht so hoch. "Ich glaube, als Gesellschaft werden wir lernen, mit der Pandemie zu leben."
rtr