Für eine erfolgreiche Geldanlage in Aktien bedarf es Geduld. Jedenfalls bekommen das Neulinge an der Börse von Anfang an eingetrichtert. Verbunden ist dieser Rat mit der Annahme, dass Unternehmen nur langfristig ihre Stärken ausspielen können. Gelingt das und die Gewinne sprudeln, belohnt die Börse dies dann im Idealfall mit Kursgewinnen.

Nicht eindeutig definiert ist allerdings, wie geduldig man als Anleger sein muss. Zwei Jahrzehnte sollten eigentlich locker reichen. Ereignisse des Jahres 1998, wie der EU-Beschluss zur Einführung des Euro sowie die Ablösung von Bundeskanzler Helmut Kohl durch Gerhard Schröder, kommen einem jedenfalls vor, wie vor einer halben Ewigkeit geschehen.

Wer auf die seitdem verbuchte Entwicklung der großen europäischen Standardwerte schaut, der muss aber feststellen, dass viele dieser Aktien die Geduld der Anleger seit 20 Jahren auf eine sehr harte Probe stellen. Bestes Beispiel hierfür sind die Kursindizes von Euro Stoxx 50 und Stoxx 50. Diese Standard-Börsenbarometer spiegeln die Wertentwicklung von 50 großen und bedeutenden Unternehmen im Euroraum respektive in ganz Europa wider, und die notieren aktuell in etwa gerade mal so hoch wie vor 20 Jahren - eine erschreckend dürftige Bilanz!

Viele Branchen mit vielen Problemen



Doch woran liegt’s? Ein Faktor, der das Trauerspiel zumindest mit erklärt, ist die nach wie vor relativ große Zahl an Großkonzernen aus problembehafteten Branchen, etwa den Sektoren Auto, Finanzen, Versorger und Telekommunikation. Im Gegensatz dazu fehlt es in der Top-50-Riege an Unternehmen aus dynamischeren Branchen. Dazu passt, dass laut Bloomberg-Daten die Gewinne je Aktie im Betrachtungszeitraum ebenfalls oft nicht vorwärtsgekommen sind. Norbert Keimling, Leiter Kapitalmarktforschung beim Vermögensverwalter StarCapital AG, erklärt dazu: "Tatsächlich haben wir noch lange nicht das Gewinnniveau von vor der Finanzkrise wieder erreicht. Trotz der erfreulichen Entwicklung der letzten Jahre. Das gilt auch für Deutschland. Die vielerorts wenig wirtschaftsfreundliche Politik und eine in Europa zum Teil mangelnde Wettbewerbs- und Innovationsstärke hat hieran sicher auch ihren Anteil."

Ein weiteres Problem der Indizes: Bei beiden werden die Dividenden nicht mit einberechnet - wie das im Gegensatz etwa beim DAX üblich ist. Index-ETFs sind daher also wenig interessant. Denn bei einer Einberechnung der Dividenden wäre eine etwas bessere Wertentwicklung möglich gewesen. Auch aktuell ist die geschätzte Dividendenrendite beim Euro Stoxx von rund vier Prozent recht gut.

Neben regelmäßigen Dividenden ist es aber zusätzlich ratsam, bei der Suche nach interessanten europäischen Standardwerten auf Aktien zu setzen, bei denen vor allem die Gewinnaussichten stimmen. Statt zum reinen Index-Investment raten wir also ganz klar zu Stockpicking!

Vier Tipps aus zwei Indizes



Dafür muss man allerdings höhere Bewertungen in Kauf nehmen. Denn kommen als weitere Kriterien die Aussicht auf ebenfalls weiter steigende Dividenden sowie eine bessere historische Kursentwicklung als die Stoxx-Indizes hinzu, dann sind die interessanten Kandidaten derzeit noch nicht so optisch günstig bewertet wie der Schnitt des Index.

So bewegt sich etwa bei Adidas das geschätzte KGV für 2019 bei gut 22. Der Analystenkonsens traut dem Sportartikelhersteller aber von 2017 bis 2022 eine Ergebnisverbesserung von 6,63 Euro auf 12,53 Euro je Aktie zu. Stimmt diese Rechnung, relativiert sich die optisch hohe Bewertung. Wobei Analysten im Schnitt auch die Dividende je Aktie von 2017 bis 2022 kontinuierlich von 2,60 Euro auf 4,89 Euro steigen sehen.

Als Industriegasehersteller ist Air Liquide, der zweite Mitfavorit aus dem Euro Stoxx 50, in einem ganz anderen Betätigungsfeld aktiv als Adidas. Ähnlichkeiten gibt es aber bei der Bewertung und den Gewinn- und Dividendenaussichten sowie hinsichtlich der Tatsache, dass auch dieser Wert den Index langfristig deutlich geschlagen hat. Können die Franzosen die Schätzung der Analysten einhalten, die das Ergebnis je Aktie von 2017 bis 2022 von 5,16 Euro auf 8,08 Euro steigen sehen, wäre das eine nette Wachstumsstory. Gut liest sich auch, dass die Experten im genannten Zeitraum davon ausgehen, dass die Dividende von 2,65 Euro auf 3,98 Euro je Anteilschein steigt.

Auch AstraZeneca und Nestlé sind aussichtsreich. Die Anteilscheine des erstgenannten britischen Pharmakonzerns sind im schwierigen Börsenjahr bereits auf neue Bestmarken vorgerückt, und der Schweizer Nahrungsmittelhersteller ist dicht dran an neuen Rekordhochs. Die Börse honoriert offenbar die Fitnesskuren, der sich beide Unternehmen derzeit unterziehen. Bei AstraZeneca soll laut Analysten der Gewinn je Aktie von 2017 bis 2022 von 3,03 Pfund auf 5,38 Pfund steigen und die Dividende von 2,00 Pfund auf 2,51 Pfund. Bei Nestlé geht man von bei einem Ergebnisanstieg von 3,55 Franken auf 5,15 Franken aus und einer Ausschüttungserhöhung von 2,35 Franken auf 2,84 Franken.



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