Die Idee war aus der Not geboren. Weil Seife knapp war, benutzten Amerikaner im Bürgerkrieg ersatzweise sogenanntes Wasserglas zum Waschen. Die wasserlösliche Schmelze von Natrium- und Kaliumsilikat war zweite Wahl, hatte aber einen wunderbaren Effekt: Sie verhinderte, dass Wäsche vergilbte. Auch Fritz Henkel aus Deutschland hörte von dieser Eigenschaft und nutzte sie. 1876 entwickelte er zusammen mit zwei Kompagnons auf Basis von Wasserglas ein Universalwaschmittel, das er in praktischen kleinen Päckchen verkaufte.

Das Waschmittel wurde zum Grundstein für ein Firmenimperium, das heute für Marken wie Persil, Pril, Schwarzkopf oder Pritt-Klebestifte steht. Henkel-Produkte gibt es längst weltweit, Anlegern sollte das seit 1985 an der Börse notierte Unternehmen mit 50 000 Mitarbeitern ohnehin ein Begriff sein. Mit 50 Milliarden Euro Börsenwert ist Henkel ein Schwergewicht am deutschen Aktienmarkt. Trotzdem hat die Gründerfamilie weiter großen Einfluss auf die Geschicke des Konsumgüterriesen. 2009 wurde mit Simone Bagel-Trah eine Urenkelin des Firmengründers Vorsitzende des Aufsichtsrats - übrigens als erste Frau in einem DAX-Konzern. Zudem hält die Henkel-Familie über die Hälfte der stimmberechtigten Stammaktien.

Besser als die breite Masse



Henkel ist eines der bekanntesten Beispiele für ein erfolgreiches Familienunternehmen. Aber es ist bei Weitem nicht das einzige. Familienunternehmen sind mehr als der ums Überleben kämpfende Mittelständler aus der Provinz, der antiquierte Produkte herstellt und bei dessen Chef Verwandtschaft vor Kompetenz geht. Unter ihnen finden sich milliardenschwere Weltkonzerne, schnell wachsende Aufsteiger und etablierte Spezialisten, die in ihrer Nische Weltmarkführer sind. Und sind diese an der Börse notiert, sind sie für Anleger immer einen Blick wert.

Die Unternehmensberater von Bain & Company aus Boston haben 2016 bei einer Untersuchung des US-Aktienmarkts festgestellt, dass unternehmergeführte Firmen für ihre Aktionäre die höchsten Erträge erwirtschaften. Das deckt sich mit Erkenntnissen aus anderen Teilen der Welt. In Deutschland hängte der maßgebliche Aktienindex für Familienunternehmen - der von der Deutschen Börse berechnete DAXPlus Family 30 Index - den Leitindex DAX in den vergangenen zehn Jahren weit ab (siehe Grafik). Und sein jüngst aufgelegtes europäisches Pendant - der von der Euronext kalkulierte Family Business Index - lief in den vergangenen zwölf Monaten ebenfalls besser als Europas Aktienmarkt.



Als wichtigen Grund für die höheren Kursgewinne haben die WHU Otto Beisheim School of Management und die Beratungsgesellschaft PWC in einer 2013 erschienenen Analyse den Emissionspreis der Aktien ausgemacht. Die Forscher haben sich 153 Börsengänge aus den Jahren 2004 bis 2011 angesehen und festgestellt, dass Familienunternehmen ihre Aktien im Schnitt mit zehn Prozent Abschlag ausgegeben haben. Die Gründer lassen sich dabei nicht von gewieften Großanlegern über den Tisch ziehen, sondern folgen offenbar einem Kalkül: Sind die Aktien billig, bewerben sich bei der Erstnotierung mehr Anleger.

Das macht die Aktionärsbasis breiter, weshalb die Familie, die in der Regel große Aktienpakete hält, ihre Interessen später leichter durchsetzen kann. Der für Anleger günstige Nebeneffekt: Weil die Aktien unter Wert starten, steigen die Kurse in den Jahren danach umso stärker.

Dieses "Mispricing" sei aber nur einer der Gründe, weshalb diese Papiere überdurchschnittliche Renditen abwerfen, sagt Birgitte Olsen. Die Norwegerin leitet für die Schweizer Fondsboutique Bellevue gleich vier Fonds, die ausschließlich in Familienunternehmen investieren. Ihr Eindruck: "Das sind stolze und traditionsbewusste Firmen, bei denen die Gründer mit ihrem eigenen Kapital, vor allem aber mit Herz und Seele voll dabei sind." Sie seien engagiert, risikobereit und innovativ, gleichzeitig jedoch kostenbewusst, effizient und solide finanziert. Das größte Plus sei indes ihr Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Firma, Kunden und Mitarbeitern. "Wer ein Familienunternehmen führt, denkt nicht in Quartalen, sondern in Generationen", glaubt Olsen. Das zahle sich langfristig aus - auch für die Aktionäre.

Auf Seite 2: Vom Optiker bis zur Brauerei





Vom Optiker bis zur Brauerei - Spezialisierte Favoriten



Die Großinvestorin warnt jedoch davor, alle Unternehmen über einen Kamm zu scheren. "Familienunternehmen sind sehr heterogen", erklärt Olsen, "da ist alles dabei" - jede Größe, jede Branche, jedes Land. Zudem sind die Gründer noch in verschiedensten Positionen aktiv.

Der Börsenbetreiber Euronext zählt zum Beispiel Corticeira Amorim aus Portugal ebenso zu ihnen wie Heinecken aus den Niederlanden. Der portugiesische Korkhersteller hat rund eine Milliarde Euro Börsenwert, der Amsterdamer Brauereikonzern etwa das 50-Fache. Und die deutsche Börse rechnet neben dem Konsumgüterhersteller Henkel unter anderem den Autoverleiher Sixt oder die Optikerkette Fielmann zu dieser Gruppe. Dort sind Günther Fielmann und Erich Sixt nach wie vor die Firmenchefs, bei Henkel sitzt die Gründerfamilie jedoch nur noch dem Aufsichtsrat vor.

Investoren behelfen sich deshalb meist mit bestimmten Kriterien, mit denen sie ein Familienunternehmen definieren. Für Fondsmanagerin Birgitte Olsen von Bellevue müssen mindestens 20 Prozent der stimmberechtigten Aktien im Besitz der Gründerfamilie sein, die gleichzeitig mindestens einen Sitz im Aufsichtsrat haben muss. Nimmt man weitere Parameter, beispielsweise eine hohe Liquidität und einen Unternehmenswert über 200 Millionen Euro dazu, bleiben ihr etwa 600 investierbare Aktien aus Europa, von denen sie je zwischen 30 und 50 in den Portfolios ihrer Fonds hat.

Spezialisierte Favoriten



Zu Olsens Lieblingsaktien gehört zum Beispiel Corticeira Amorim. Der Korkhersteller wird seit seiner Gründung 1952 von der alteingesessenen Amorim-Dynastie kontrolliert. Das blieb auch nach dem Börsengang im Jahr 1991 so. Die Firma aus Mozelos bei Porto macht den Großteil ihres Umsatz mit Weinkorken und ist dort Weltmarktführer. Das klingt unspektakulär, allerdings ist diese Bastion nur schwer zu erobern. Korkeichen kann man erstmals nach 25 Jahren schälen und ein Drittel des weltweiten Korks kommt aus Portugal. Das sichert Corticeira eine langfristige Vormachtstellung innerhalb der Branche.

Andere Unternehmen in Olsens Fonds sind hingegen erst kurz an der Börse. Vor allem jene in ihrem Nebenwertefonds, der in den vergangenen fünf Jahren rund 150 Prozent Gewinn einfuhr (siehe Tabelle). "Der Bewertungsunterschied ist dort noch am höchsten", sagt Olsen, die Risiken seien es jedoch auch. Das zeigt exemplarisch die Aktie von Asetek, die in Olsens Fonds hoch gewichtet ist. Das Unternehmen stellt Flüssigkühlsysteme für PCs her. Firmengründer André Eriksen baute es 1998 in seinem Keller auf, brachte es 2013 an die Börse und sitzt noch heute auf dem Chefsessel. "Weil plötzlich viel mehr Tablets und dafür weniger PCs verkauft wurden, war das Unternehmen kurz nach dem Börsengang fast pleite und die Aktie stürzte ab", erinnert sich Olsen. "Die Wende kommt jetzt aber, schließlich brauchen auch Serverfarmen und Datenzentren Kühlung." Heute ist Asetek wieder hochprofitabel, erobert Marktanteile und schützt seine Technik durch zahlreiche Patente.



Wie lange ein Familienunternehmen seinen Teilhabern Freude machen kann, zeigt eine Firma aus Oberbayern, die auf den ersten Blick sogar eine nicht gerade aktionärsfreundliche Politik verfolgt: die Rational AG. Sie baut Dampfgarer und Kombi-Dämpfer für Profiküchen. Die Geräte stehen im Weißen Haus, im Buckingham Palace, aber auch in Restaurants, Hotels, Kantinen, Supermärkten und Altenheimen weltweit. Unternehmensgründer Siegfried Meister errichtete 1973 die erste Produktionshalle in einem Gewerbegebiet in Landsberg am Lech, heute hat Rational 54 Prozent Marktanteil, besitzt 504 Patente und täglich werden 120 Millionen Essen mit ihren Geräten gekocht. Das Management hat eine klare Prioritätensetzung: Der Kunde kommt zuerst, das Wohl der Aktionäre erst ganz zum Schluss (siehe Interview Seite 3). Die Börsenbilanz der Bayern ist trotzdem erstaunlich. Rational ging am 31. März 2000 aufs Parkett - am selben Tag wie Infineon. Die Aktie des Chipherstellers hat seither die Hälfte an Wert verloren, die von Rational hat sich hingegen mehr als verzehnfacht.

Auf Seite 3: Interview Peter Stadelmann





Interview Peter Stadelmann, Firmenchef von Rational: "Der Kunde hat oberste Priorität"





BÖRSE ONLINE: Sie sind seit 2012 Chef von Rational, einem Familienunternehmen, das im MDAX notiert ist. Familienunternehmen unterstellt man einen langfristigen Ansatz, Aktionäre wollen hingegen schnelle Gewinne sehen. Wie passt das zusammen?


Peter Stadelmann: Familienunternehmen haben ja auch Aktionäre. Die Frage ist, worauf ein Aktionär Wert legt. Wer nur auf schnelle Gewinne aus ist, ist bei uns falsch. Unser Unternehmen hat eine klare Prioritätensetzung: Erst der Kunde, dann das Unternehmen, dann die Mitarbeiter und erst dann die Aktionäre. Der Kunde kommt also an erster Stelle, selbst der Gewinn ist zweitrangig.

Über diese Prioritäten werden die Aktionäre aber manchmal meckern.


70 Prozent der Aktien sind im Besitz von Unternehmensgründer Siegfried Meister, seiner Familie und der Familie Kurtz. Deren Einstellung ist klar: Nicht dem schnellen Geld nachrennen, sondern die Kunden zufriedenstellen. Der Rest kommt von ganz allein. Wir stellen Kombi-Dämpfer her, mit denen Profiköche arbeiten. Stellen Sie sich vor, ein Koch muss einer Braut sagen, dass es bei ihrer Hochzeit kein Essen gibt, weil der Dampfgarer kaputt ist. Der kauft nie wieder ein Produkt von Rational.

Wie sehen denn die restlichen Investoren Ihr Firmencredo?


Bei uns sind viele Privatanleger aus der Region investiert, aber auch Fonds, Pensionskassen oder Staatsfonds. Die meisten sind seit Jahren dabei und teilen unsere Einstellung, aus der wir kein Geheimnis machen.

Unternehmensgründer Siegfried Meister sitzt noch im Aufsichtsrat. Wie präsent ist er im Unternehmen?


Sein Büro ist in Werk 1, wo alles angefangen hat. Er arbeitet jeden Tag hier und isst auch im Betriebsrestaurant.

Mal ehrlich: Wie oft tritt er Ihnen auf die Füße, wenn er eine Ihrer Entscheidungen für falsch hält?


Würden Vorstand und Aufsichtsrat streiten, wäre Rational nicht so erfolgreich. Wir treffen uns regelmäßig und können uns immer anrufen. Natürlich kommt manchmal Kritik, aber das ist normal. In der Führung eines Unternehmens muss man andere Meinungen hören. Wie wir im Detail zusammenarbeiten, tragen wir aber nicht nach außen.

Rational ist jetzt seit 17 Jahren an der Börse. War der Börsengang im Rückblick eine gute Entscheidung?


Das Kapital hätten wir gar nicht gebraucht, der Börsengang hatte trotzdem Vorteile. Wir sind kritischen Fragen ausgesetzt und zu Transparenz und Disziplin gezwungen. Das macht uns besser, denn es hilft uns, gesund und profitabel zu bleiben. Außerdem hat uns der Börsengang bei potenziellen Mitarbeitern und Kunden bekannter gemacht. Wissen Sie: Früher hat man uns manchmal mit dem Medikamentenhersteller Ratiopharm verwechselt. Passiert das heute, können wir selbstbewusst sagen: Nein, wir sind Rational, bauen Dampfgarer und sind übrigens im MDAX gelistet.