Die Fondsgesellschaft Deka Investment kündigte bereits an, gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu stimmen. "Wir verstehen dies als ein Warnsignal", sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei dem Sparkassen-Fondshaus, der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Auch die einflussreichen Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis empfehlen den Aktionären, den Vorstand nicht zu entlasten - unter anderem, weil das Management die mit dem Monsanto-Kauf verbundenen Rechtsrisiken unterschätzt habe. Glass Lewis rät sogar dazu, dem Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern. Nach den Ratschlägen der Stimmrechtsberater richten sich viele ausländische Investoren, in deren Händen mittlerweile eine deutliche Mehrheit der Aktien im Dax liegt. Insidern zufolge zählt auch der größte Bayer-Aktionär, der Vermögensverwalter Blackrock, zu den Skeptikern. Dieser wolle den Bayer-Vorstand bei der Abstimmung nicht unterstützen und sich entweder enthalten oder gegen eine Entlastung votieren, sagten zwei mit der vertraute Personen Reuters.
Der größte deutsche Einzelinvestor bei Bayer, die Fondsgesellschaft DWS, will sich noch nicht äußern, wie sie auf der Hauptversammlung abstimmen wird, ebenso nicht die Union Investment. Auch die nach Blackrock größten Bayer-Eigner - Singapurs Staatsfonds Temasek und Norwegens Staatsfonds - nahmen dazu keine Stellung. Die Deka, nach eigenen Angaben auf Platz zehn der größten Geldgeber des Konzerns, steht nach den Worten von Speich zwar noch zum Bayer-Management: "Denn es gibt ja durchaus eine langfristige Logik hinter der Übernahme, nämlich das weltweit führende Unternehmen im Agrarbereich zu schaffen." Ein Austausch des Vorstands zum jetzigen Zeitpunkt sei verfrüht, gleichzeitig bestehe aber die Gefahr, dass dieser wegen der Prozesse das Tagesgeschäft vernachlässige. "Das macht uns große Sorgen."
In den USA sieht sich Bayer mit mehr als 11.200 Klägern wegen des von Monsanto entwickelten Unkrautvernichters Glyphosat konfrontiert. In zwei Fällen wurde der Konzern bereits zu millionenschweren Schadenersatzzahlungen verurteilt. Rund 30 Milliarden Euro Börsenwert gingen seit dem ersten Urteil verloren. Für den Corporate-Governance-Experten und früheren DWS-Chef Christian Strenger ist klar: "Nachdem der nach über zweijähriger Schwangerschaft endlich abgeschlossene Monsanto-Deal binnen drei Monaten zum größten und schnellsten Wertvernichter der Dax-Geschichte wurde, ist es schon kühn, dass der Vorstand seine eigene Entlastung für das Desasterjahr 2018 empfiehlt." Auch er beantragt, Vorstand und Ausichtsrat die Entlastung zu verweigern. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) hat bereits erklärt, gegen die Entlastung zu stimmen.
BAYER IN VERTEIDIGUNGSMODUS
Gegen die Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis geht Bayer auf der Internetseite zur Hauptversammlung in die Offensive. Aufsichtsrat und Vorstand argumentieren in einem gemeinsamen Schreiben an die Eigner, der Vorstand sei seinen Aufgaben und Pflichten in vollem Umfang gerecht geworden. Baumann und Aufsichtsratschef Werner Wenning führen ein von Bayer in Auftrag gegebenes Gutachten der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Linklaters an, das diese Einschätzung bestätigt: Die Vorstandsmitglieder hätten bei der Monsanto-Übernahme ihre aktienrechtlichen Pflichten in jeder Hinsicht eingehalten. "Dies gilt insbesondere für den Umgang mit den Haftungsrisiken aus dem Glyphosatgeschäft von Monsanto", schreibt das Düsseldorfer Linklaters-Büro.
Normal sind bei Hauptversammlungen bei den Abstimmungen über die Entlastung des Vorstands Ergebnisse von mehr als 90 Prozent. Bei Bayer stimmten im vergangenen Jahr noch über 97 Prozent der Aktionäre für eine Entlastung. Rechtliche Folgen hat die Entlastung nicht. Die Voten gelten aber als Indikator dafür, wie viel Vertrauen die Aktionäre in Aufsichtsrat und Vorstand haben. Bei der Deutschen Bank waren die Resultate vor einigen Jahren so verheerend, dass die beiden damaligen Co-Chefs Anshu Jain und Jürgen Fitschen kurze Zeit später ihren Rückzug ankündigten. Nun könnte Bayer-Chef Baumann am kommenden Freitag der erste amtierende Vorstandschef eines Dax-Konzerns werden, dem die Aktionäre das Vertrauen entziehen.
Wenn es denn zur Abstimmung kommt: Denn diese könnte am Ende gar verschoben werden, wie die größte deutsche Aktionärsvereinigung DSW fordert. "Es ist für die Aktionäre schlicht nicht möglich zu bewerten, ob die Übernahme des US-Konzerns Monsanto langfristig wertvernichtend oder - wie die Verwaltung unermüdlich betont - wertschaffend wirken wird", sagte DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. "Selbst eine (knappe) Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat würde automatisch eine Personaldebatte auslösen, die das Unternehmen aktuell nicht führen sollte."
rtr