Hamilton war eines der ersten
und berühmtesten Beispiele für
das Versprechen des "American
Dream". Jenes Glaubens, dass
jeder, der hart arbeitet und für seine Ziele
kämpft, Erfolg haben und ein gutes Leben
führen kann.
Hamilton kam 1755 auf der Karibikinsel
Nevis als uneheliches Kind zur Welt. Seine
Mutter war die Tochter eines hugenottischen
Auswanderers, der Vater ein schottischer
Glücksritter, der seine Familie verließ,
als Alexander zehn Jahre alt war. Kurz
darauf starb die Mutter an einem tropischen
Fieber. Der mittellose Junge, der von
Pflegeeltern aufgezogen wurde, besuchte
nie eine reguläre Schule. Aber er war intelligent,
ehrgeizig und sehr belesen.
Sehr früh zeigte Hamilton unternehmerisches
Geschick. Bereits als Zwölfjähriger
arbeitete er für eine Handelsfirma und
übernahm vier Jahre später sogar die Leitung
des Unternehmens. Er soll - so zeigen
es Dokumente aus jener Zeit - erstaunliche
Managementfähigkeiten bewiesen haben.
Sogar der Gouverneur der Insel und ein
paar reiche Kaufleute wurden auf den begabten
Jungen aufmerksam. Sie sammelten
Geld für ein Stipendium. Hamilton schiffte
nach New York ein - er sollte nie wieder in
die Karibik zurückkehren.
Er schrieb sich in New York am King’s
College ein, aus dem später die Columbia
Universität hervorging, und studierte
Rechtswissenschaften. Als die amerikanische
Revolution ausbrach, kämpfte er für
die Unabhängigkeit von der britischen
Krone, brillierte bei Massenkundgebungen
als polemischer Propagandist und schloss
sich mit 20 Jahren einer der zahlreichen
Milizen an.
George Washington, der Führer der Unabhängigkeitsbewegung,
war schon früh auf Hamilton aufmerksam geworden. Als 1775 der Krieg zwischen den 13 nordamerikanischen
Kolonien und den Truppen der
britischen Krone losbrach, ernannte Washington,
jetzt Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee,
ihn zu seinem Stabschef.
Nach Kriegsende wurde Hamilton einer
der prominentesten Rechtsanwälte Amerikas,
einer der Wortführer in der verfassungsgebenden
Versammlung und Autor
der "Federalist Papers". Sie gehören zu den
bedeutendsten Texten der modernen westlichen
Demokratie. Die 85 Artikel, welche
1787 erschienen und die zur Abstimmung
anstehende Verfassung verteidigten, sind
ein Plädoyer für die repräsentative Demokratie
und ein Gründungsdokument heutiger
pluralistischer Gesellschaften.
Als George Washington zum ersten Präsidenten
ernannt wurde, berief er Hamilton
als Finanzminister in sein Kabinett.
Der trug nicht nur maßgeblich zum Aufbau
des Bankensystems bei, er beseitigte auch
geschickt das Finanzchaos nach der Gründung
der Vereinigten Staaten. Denn nach
dem Unabhängigkeitskrieg und den daraus
resultierenden Kriegsschulden war Amerika
mehr oder weniger bankrott.
Fast wäre die Union am Geld gescheitert
25 Millionen Dollar Schulden hatten die
13 Kolonien an der Ostküste aufgehäuft.
Damals sehr viel Geld. Hamiltons Strategie
zur Lösung der Finanzkrise: Der Bund solle
die Schulden der Einzelstaaten übernehmen
und sich im Gegenzug mit der Verfügungsgewalt
über die Zölle entsprechende
Einnahmen schaffen. Aber damit stieß er
zunächst auf den erbitterten Widerstand
jener Staaten, die einen Teil ihrer Schulden
bereits aus eigener Kraft getilgt hatten. Der
Süden war nämlich aus dem Unabhängigkeitskrieg
sehr reich hervorgegangen,
während der Norden arm war. Vor allem
Virginia, der wichtigste und reichste Südstaat,
weigerte sich, den notleidenden Partnern
zu helfen. Der Streit ums Geld schien
die noch junge Union zu sprengen.
Jetzt schlug die große Stunde Hamiltons.
Er wollte unbedingt einen Zahlungsausfall
von Teilstaaten vermeiden, weil er um die
Kreditwürdigkeit der jungen
Republik fürchtete. Und er sah
seinen Kampf auch als Mittel,
den Zusammenhalt der ehemaligen
Kolonien durch die Schaffung einer
machtvollen Zentralregierung zu stärken.
Der geniale Redner Hamilton argumentierte
mit Werten wie Gerechtigkeit, Patriotismus
und nationale Ehre, so sein Biograf
Ron Chernow. Die Schulden seien
durch die Revolution verursacht worden.
Und von ihr hätten schließlich alle Amerikaner
gleichermaßen profitiert. Also müssten
sie jetzt auch gemeinsam für die Verbindlichkeiten
einstehen.
Geschickt verstand es der kühle Realpolitiker
Hamilton, die Schuldenfrage mit der
Hauptstadtfrage zu verbinden. Allzu gern
hätte er sein New York zur neuen Hauptstadt
gemacht. Beim "berühmtesten
Abendessen der amerikanischen Geschichte",
so Chernow, im Privathaus seines
wichtigsten Gegenspielers James Madison,
verhandelte Hamilton erfolgreich
einen Kompromiss: Er bot Madison, der
aus Virginia stammte, an, die neu zu gründende
Hauptstadt direkt an der Grenze zu
dem Staat anzusiedeln.
Es war ein genialer Schachzug. Madison
gab seinen Widerstand auf und so kam es
doch noch zum Bail-out der 13 Staaten
durch die US-Regierung. Der Bund übernahm
ihre sämtlichen Verbindlichkeiten
und brachte sie in einen Altlastenfonds ein.
Zugleich führte Hamilton Zölle ein und
erhob Luxussteuern, etwa auf Spirituosen.
Mit diesen Einnahmen zahlte der Finanzminister
dann die Altlasten zurück.
"Ohne die Kehrtwende jenes Abends
hätte es die spätere Weltmacht Amerika
nicht gegeben. Erst die Zentralisierung der
Haushaltspolitik, die Erschließung eigener
Einnahmequellen für den Gesamtstaat
schubste den Staatenbund der Kolonie in
Richtung jenes Bundesstaats, wie wir ihn
kennen", schrieb später die "FAZ".
Der Historiker Sean Wilentz von der
Princeton-Universität lobt Hamilton sogar
als "visionären Architekten der modernen,
liberal-kapitalistischen Wirtschaft und
Bild: interTOPICS/ddp images, 123RF, United Archives/mauritius images
einer dynamischen Zentralregierung mit
einer energischen Exekutive an der Spitze".
Wirtschaftswissenschaftlern wie Hans-
Werner Sinn vom Ifo-Institut fallen erstaunliche
Parallelen zwischen den Problemen
der heutigen Eurozone und den
frühen USA auf. Die Gründerjahre der USA
seien ein "attraktiver Präzedenzfall für das
Europa von heute", zitierte "Der Spiegel"
den Ifo-Chef. "Auf lange Sicht und in Analogie
zu Hamiltons System wäre eine
grundsätzlich reformierte Fiskalordnung
erforderlich, die eine gemeinsame Verwaltung
der Zolleinnahmen oder der Mehrwertsteuer
vorsieht."
Hamiltons Stern begann zu sinken, nachdem
George Washington sich aus der Politik
zurückgezogen hatte. Sein Leben sollte
tragisch enden: Bei einem Pistolenduell
mit seinem politischen Rivalen, dem Vizepräsidenten
Aaron Burr, wurde er am
11. Juli 1804 tödlich verletzt.
PEB