Jürgen Schwarzensteiner zeigt begeistert auf den Bildschirm in seinem Büro in der Poschinger Brayschen Güterverwaltung. "Dieses Feldstück hat über die Jahre lauter Spitzenerträge gehabt. Dann haben wir die digitalen Karten bekommen und da waren Unterschiede da, die ich mit dem Auge vorher nicht gesehen habe: Dass es in einem Teilbereich wesentlich besser war als im anderen", sagt der 41-jährige Agraringenieur. Er ist Leiter des landwirtschaftlichen Großbetriebs im niederbayerischen Irlbach. Direkt an der Donau, unweit des Bayerischen Waldes werden auf 970 Hektar unter anderem Mais, Kartoffen und Getreide angebaut.

Auf dem Bildschirm ist eine digitale Landkarte zu sehen, die in farbige Quadrate unterteilt ist und rund 30 Hektar der Anbaufläche abbildet. Sie offenbart, was selbst für das geübte Auge nicht zu erkennen ist: Es gibt deutliche Unterschiede bei Pflanzenwachstum und Erträgen. Grün steht für hohe Erträge, rote Quadrate kennzeichnen Flächen, auf denen die Pflanzen sich weniger gut entwickeln. Möglich machen das Satellitenkarten und Software, die Schwarzensteiner seit drei Jahren vom Agrarsoftware-Anbieter FarmFacts bezieht, einer Tochter des börsennotierten Agrarhändlers Baywa.

Dieser neue Hit in der Landwirtschaft heißt "Digital Farming". Dass detaillierte Feldbeobachtungen direkt auf dem Computer oder Tablet des Landwirts erscheinen, wird sich nach Einschätzung von Experten als Standard etablieren. Die Folgen für die Hersteller von Dünger, Saatgut und Pflanzenschutzmitteln könnten gravierend sein: Sie müssen sich auf einen verringerten Einsatz ihrer Produkte einstellen und womöglich ihr Geschäftsmodell umkrempeln.

MEHR ERNTEN MIT ALGORITHMEN



Schwarzensteiner etwa fand durch Bodenproben heraus, dass der unterschiedliche Humusgehalt auf dem Flurstück für die unterschiedlichen Erträge verantwortlich war. Außerdem waren einige Stellen überdüngt. Daraufhin reduzierte er den Einsatz von Stickstoffdüngern, schonte damit die Umwelt und sparte Geld. Genau das werde der Trend in der digitalen Landwirtschaft, sagt Agrarchemie-Experte Carsten Gerhardt von der Unternehmensberatung A.T. Kearney. "Mittel- bis langfristig erwarte ich, dass sich der Einsatz von Betriebsmitteln um 30 bis 40 Prozent verringern wird." Das dürfte die ohnehin schon unter Druck stehenden Agrarchemie-Konzerne und Düngemittelhersteller wie Syngenta, Monsanto oder Yara vor neue Herausforderungen stellen. Die Branche leidet darunter, dass die Preise für Agrarprodukte fallen und die Bauern rund um den Globus weniger für Dünger und Pflanzenschutzmittel ausgeben können.

Eine ganze Armada von Start-up-Firmen entwickelt nun Algorithmen für Farm-Management-Software, die den Landwirt anleitet, wie er effizienter und effektiver pflügen, säen, spritzen, düngen und ernten kann. Sie machen die gewaltigen neuen Datenmengen für die Landwirte verständlich und nutzbar. Die Investitionen von Wagniskapitalgebern in solche Unternehmen verdoppelten sich den Marktforschern von AgFunder zufolge im vorigen Jahr auf 4,6 Milliarden Euro. Firmen, die sich auf Präzisionslandwirtschaft etwa mit der Entwicklung von Dronen, Robotern und Software spezialisiert haben, sammelten 2015 insgesamt 661 Millionen Dollar ein, 140 Prozent mehr als vor Jahresfrist.

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LANDWIRTE WOLLEN UNABHÄNGIGKEIT



Die alteingesessenen Pflanzenschutz- und Düngemittel-Konzerne gehören selbst zu den größten Investoren in die digitale Landwirtschaft, um sich gegen mögliche Umsatzausfälle zu wappnen. Bayer etwa übernahm Anfang dieses Jahres den IT-Anbieter proPlant, Monsanto erwarb 2013 für rund eine Milliarde Dollar die kalifornische Climate Corp - der bislang größte Deal im Bereich digitale Landwirtschaft. Noch ist unklar, ob etablierte Unternehmen wie Bayer dieses neue Geschäftsfeld für sich besetzen können oder wie weit ihnen unabhängige Start-up-Firmen in die Quere kommen werden. In Leverkusen ist man sich des Drucks bewusst: "Wenn unser einziges Ziel ist, so viele Liter Chemikalien wie möglich zu verkaufen, dann werden wir ein echtes Problem bekommen", sagte der Leiter der Bayer-Pflanzenschutzsparte, Liam Condon, zu Reuters. Wenn nur die Hälfte des Feldes gespritzt werde, werde man zwar nur halb soviel Absatz machen. "Aber das Wissen, dass man nur diesen Teil des Feldes spritzen muss - das können Sie verkaufen."

Sich als unabhängiger Berater darzustellen, dürfte für die Agrarchemieunternehmen aber schwierig werden, glaubt Analyst Harry Smit von der Rabobank. "Die Landwirte sind misstrauisch, von einem Lieferanten zu abhängig zu werden." Eine Einschätzung, die auch die Finanzchefin des Saatgutherstellers KWS Saat teilt: "Die Landwirte wollen Unabhängigkeit. Sie möchten nicht den Eindruck haben, ihnen wird ein Produkt empfohlen, nur weil der Anbieter etwas daran verdient", sagte Eva Kienle zu Reuters. KWS habe sich deshalb gegen den Einstieg in die digitale Landwirtschaft entschieden.

Inzwischen ist die digitale Landwirschaft auch in vielleicht unerwarteten Regionen auf dem Vormarsch: Agraringenieur Schwarzensteiner hat seine Erfahrung bereits nach Sibirien geführt, wo er einen Mega-Agrarbetrieb mit rund 1000 Quadratkilometern Anbaufläche berät.

Reuters