Herr Prof. Heise, im Schuldenstreit mit Griechenland ist der nächste Gipfel gestern Nacht einigungslos verstrichen. Jetzt soll es beim nächsten Treffen der Eurogruppe am Mittwochabend mit einer Vereinbarung klappen. Kommt dann endlich der Durchbruch?
Ich erwarte eine Einigung, weil man jetzt wirklich keine Zeit mehr verstreichen lassen kann, ohne eine ungeordnete Insolvenz Griechenlands zu riskieren. Und die griechische Regierung hat sich im Hinblick auf Reformzusagen ja offenbar bewegt. Ein großer Wurf wird es aber nicht. Allenfalls eine Zwischenlösung, die verhindert, dass Griechenland weiter abstürzt und in Kürze zahlungsunfähig wird. Es wird noch ein langer Weg bis zu einer dauerhaft tragbaren Lösung sein.
Nach dem Fortgang der Gespräche und den Äußerungen von gestern Abend erhält man den Eindruck, die Eurozone wolle eine Einigung um nahezu jeden Preis. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das ist nicht mein Eindruck. Man hat zwar von europäischer Seite u.a. bei den Defizitzielen Griechenlands Zugeständnisse gemacht. Aber die waren aufgrund des Wirtschaftseinbruchs seit der Wahl der neuen Regierung kaum zu vermeiden. Die Grundlinie, dass es keine EWU-Unterstützung ohne Gegenleistung und Reformen gibt, wurde beibehalten. Eine "Einigung um nahezu jeden Preis" würde einen gefährlichen Gesichtsverlust für die Eurozone bedeuten und einen negativen Präzedenzfall für andere Mitgliedsländer schaffen.
Auf Seite 2: Was Heise von den Vorschlägen Athens hält
Nach den bislang bekannt gewordenen Vorschlägen ist Athen nun doch bereit, die umstrittene Frühverrentung einzuschränken. Außerdem will die griechische Regierung u.a. die Mehrwertsteuer für Tavernen oder Restaurants erhöhen, und Sondersteuern bei Reichen und Unternehmen eintreiben. Halten Sie das für ausreichend?
Mit den in Aussicht gestellten Maßnahmen dürfte zumindest ein schrittweiser Haushaltsausgleich möglich werden. Dies ist von zentraler Wichtigkeit für die Gläubiger. Denn bei anhaltender Neuverschuldung fehlt die Basis für weitere Hilfsgelder oder Schuldenerleichterungen. Die griechische Regierung hat im Wahlkampf Versprechungen gemacht, die sie nicht finanzieren kann. Und sie kann nicht vom Ausland erwarten, hierfür die Rechnung zu übernehmen. So wurden nun unrealistische Vorhaben korrigiert.
Auf der Ausgabenseite will Athen offenbar lediglich beim Verteidigungsetat ansetzen. Dort sollen 200 Millionen Euro eingespart werden. Müsste bei den Gesamtausgaben nicht mehr kommen?
An welcher Stelle in welchem Umfang Einsparungen vorgenommen werden, bestimmt die griechische Regierung selbst. Nur sie hat derzeit - so hoffentlich jedenfalls - eine klare Budgetübersicht. Klar ist, wenn für soziale Zwecke mehr ausgegeben werden soll, muss an anderer Stelle stärker gekürzt werden. Der Verteidigungsetat sollte dabei keinesfalls ausgeschlossen bleiben.
Griechenland hat aber weiterhin massive strukturelle Defizite. Es fehlt an einer leistungsfähigen Steuerverwaltung, es gibt kein funktionierendes Katasterwesen. Reichen die genannten Zugeständnisse bei der Mehrwertsteuer oder dem Rentensystem alleine aus, damit Griechenland dauerhaft wieder auf die Füße kommt?
Das Defizit im Staatshaushalt sollte weitestgehend im Griff sein, wenn die geplanten Maßnahmen umgesetzt werden. Trotz der sehr schwachen Wirtschaft wird Griechenland schon in diesem Jahr einen sogenannten Primärüberschuss im Staatshaushalt (ohne Zinszahlungen) erwirtschaften. Ein insgesamt ausgeglichener Staatshaushalt sollte angesichts der niedrigen Zinsbelastung in Reichweite sein. Weitere Kürzungen bei den Staatsausgaben und Steuererhöhungen für die Bevölkerung sind nicht vordringlich. Die Regierung unter Tsipras sollte aber endlich die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Korruption angehen. Fünf Monate nach dem Wahlsieg hapert es allerdings hier noch bei der Umsetzung der Reformpläne. Dies ist bedenklich, denn hier liegen die tieferen Ursachen der Krise.
Also müssten die Institutionen in den laufenden Gesprächen auch auf grundlegende Reformen in der Verwaltung drängen?
Ohne die Bereitschaft Griechenlands zu grundlegenden institutionellen Reformen geht es nicht. Die internationalen Kreditgeber können hier Erwartungen oder Forderungen formulieren und sie können auch bei der Umsetzung unterstützen. Aber letztlich muss Griechenland die Eigenverantwortung für seine Strukturreformen übernehmen. Die Syriza geführte Regierung ist ja als Erneuerungspartei angetreten. Geschehen ist bislang allerdings wenig.
Athen will sich offenbar auch dadurch Luft verschaffen, dass die IWF-Kredite von der Eurozone übernommen werden und Griechenland auf diese Weise den für seine harte Aufsicht bekannten Währungsfonds loswird. Sollte die Eurozone sich auf diese Forderung einlassen?
Nein, keinesfalls. Ohne den IWF dürfte die Verbindlichkeit der griechischen Reformpolitik weiter zurückgehen. Griechenland braucht aber grundlegende Systemreformen, um wieder auf einen grünen Zweig kommen. Bei den Defizitzielen Griechenlands und den einzelnen Sparmaßnahmen hat sich der Fonds im Übrigen durchaus flexibel gezeigt.
Auf Seite 3: Wie Heise die Chancen für ein drittes Hilfspaket einschätzt
Viele Beobachter rechnen angesichts der jüngsten Auseinandersetzung und des Schuldenbergs ohnehin bereits mit einem dritten Hilfspaket für die Griechen, einschließlich eines Schuldenschnitts. Sie auch und falls ja: In welchem Volumen?
Weder ein drittes Programm noch ein Schuldenschnitt werden bei den derzeitigen Verhandlungen entschieden werden. Aber es ist klar, dass die griechische Regierung ihr Verhandlungsziel eines Schuldenverzichts der Gläubigerländer weiter verfolgen wird. Für Griechenland wäre das der Weg, ein drittes Hilfsprogramm zu vermeiden, was ja ein erklärtes politisches Ziel ist. Die Gläubigerländer werden das im Interesse ihrer Steuerzahler aber nur bei sehr klaren und belastbaren Gegenleistungen Athens überhaupt in Erwägung ziehen können. Wenn z.B. auf den Rückkauf der noch im Besitz der EZB befindlichen alten Griechenanleihen durch die europäischen Rettungsfonds eingegangen würde - das wäre eine Art Schuldenschnitt - kann man dann sicher sein, das Griechenland sich auch wirklich an die Verpflichtung zum Haushaltsausgleich in zwei oder drei Jahren hält ? Um das sicherzustellen, müssten Zinsaufschläge auf die neuen Kredite oder sonstige Sanktionen vereinbart werden, wenn das Land den Verpflichtungen nicht nachkommt. Leider hat das Vertrauen in die Verbindlichkeit der neuen Regierung stark gelitten.
Für Beunruhigung bei vielen Beobachtern sorgt auch die EZB. Die Zentralbank hat die ELA-Notkredite für Griechenland in den vergangenen sechs Tagen gleich drei Mal erhöht. Sie sind eigentlich nur als kurzfristige Überbrückung bzw. Nothilfe gedacht. Bewegt sich die EZB hier noch innerhalb Ihres Mandats?
Der Anstieg der ELA-Kredite muss in der Tat beunruhigen. Diese Kredite machen es erst möglich, dass griechische Anleger oder Unternehmen Geld vom griechischen Bankensystem ins Ausland überweisen. Die Kapitalflucht schadet der griechischen Volkswirtschaft. Und für die Gläubigerländern bringen die ELA Kredite immer höhere Forderungen der Europäischen Zentralbank an die griechische Zentralbank mit sich. Die Staatspapiere, die die griechische Zentralbank dabei als Pfand akzeptieren darf, werden im Krisenfalle ziemlich wertlos sein. Das ist sicher im Grenzbereich des EZB Mandats.
Müssten die ELA-Kredite nicht wenigstens und zeitnah mit Kapitalverkehrskontrollen verbunden werden?
Wenn die ELA-Kredite durch die Entscheidung der EZB zurückgeführt oder begrenzt würden, wären Kapitalverkehrskontrollen die automatische Folge. Banken könnten nicht mehr beliebige Auslandsüberweisungen vornehmen, und die Bargeldversorgung wäre eingeschränkt. Der Druck auf die griechische Regierung, wieder eine vertrauenswürdige Politik zu machen, würde dramatisch steigen. Es bleibt zu hoffen, dass eine Einigung am Donnerstag diesen harten Weg überflüssig macht.