Beim Schutz besonders zukunftsträchtiger Branchen will Altmaier nun kurzfristig im Einzelfall entscheiden und keinen Fonds für staatliche Beteiligungen mit viel Geld ausstatten. Er bezeichnete Großkonzerne wie Siemens, Thyssenkrupp und die Deutsche Bank auch nicht mehr explizit als schützenswert. Dafür forderte er - zum Unmut des Koalitionspartners SPD - Steuersenkungen und einen Deckel für Sozialausgaben. Offen ist damit, ob die Industriestrategie auch offizielle Regierungsposition wird.

Altmaier sagte, im Falle von ungewünschten Übernahmen müsse in der Regel schnell gehandelt werden. Dafür solle ein ständiger Ausschuss auf Ebene der Staatssekretäre eingerichtet werden. Er sprach - statt wie bisher von einem Staatsfonds - von einer "nationalen Rückgriffoption", die nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden soll und zwar in Zusammenarbeit mit der staatlichen Förderbank KfW. Konkrete Überprüfungen in diese Richtung gebe es momentan nicht.

Der Punkt ist nach wie vor sehr umstritten. Der Präsident des Industrieverbandes BDI, Dieter Kempf, lehnt die Maßnahme weiter ab. Die Rückgriffoption sei nur schwer mit den Grundprinzipien der deutschen Wirtschaftsordnung in Einklang zu bringen. DIHK-Präsident Eric Schweitzer ergänzte, Eingriffe müssten auf Fälle beschränkt bleiben, bei denen es um die Sicherheit des Landes gehe. "Einen schleichenden Einstieg in eine staatlich gelenkte Industriepolitik muss die Politik vermeiden." Noch kritischer äußerte sich die FDP: "Die staatliche Züchtung von europäischen Champions schadet dem Mittelstand und den Verbrauchern", warnte der wirtschaftspolitische Sprecher der Liberalen im Bundestag, Reinhard Houben. "Wer die Industrie vor internationaler Konkurrenz schützt, macht sie langfristig schwach und verstärkt den zunehmenden Protektionismus in der Weltwirtschaft."

Altmaier versicherte, den Staatssektor nicht ausweiten zu wollen. "Wir wollen Spielregeln, die wir ablehnen, nicht kopieren." Deutsche Unternehmen müssten aber in anderen Märkten eine faire Chance haben. Die SPD-Fraktion im Bundestag hatte zuletzt in einem Positionspapier - ähnlich wie Altmaier - einen Staatsfonds gefordert, um einen Ausverkauf wichtiger Technologien ins Ausland zu verhindern. Dagegen lehnen die Sozialdemokraten ab, dass in der Industriestrategie nun auch Steuersenkungen prominent gefordert werden. Das ist offensichtlich eine Reaktion auf unionsinterne Kritik an Altmaier. CDU-Fraktionsvize Carsten Linnemann sagte nun, Altmaier zeige auf, was der Wirtschaftsstandort dringend brauche - eine Steuerreform, einen flexibleren Arbeitsmarkt und niedrigere Stromkosten. Das lobten auch der BDI und der Verband der Chemieindustrie.

FALL KUKA SOLL SICH NICHT WIEDERHOLEN

Die Industriestrategie ist vor allem eine Reaktion auf die Expansion chinesischer Konzerne. So ging beispielsweise der Augsburger Roboter-Hersteller Kuka an einen Investor aus der Volksrepublik. Auch das Beispiel Huawei zeige, dass es Schnittstellen zwischen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik gebe, sagte Altmaier. Der chinesische Netzwerkausrüster könnte beim Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes in Deutschland eine Rolle spielen. Die USA werfen dem Unternehmen eine zu enge Verbindung zur kommunistischen Regierung in Peking vor und befürchten ein Einfallstor für Spionage und Sabotage.

Konkret geplant ist vom Wirtschaftsministerium eine Novelle der Außenwirtschaftsverordnung. Der Staat soll dabei mehr Prüfmöglichkeiten bekommen - in kritischen Bereichen wie Künstlicher Intelligenz, Robotik, Halbleitern, Biotechnologie und Quantentechnologie. Dort soll es künftig eine Meldepflicht und eine Prüfmöglichkeit ab einem Erwerb von zehn Prozent der Firmenanteile geben.

BDI-Präsident Kempf sagte, der Erfolg der Industriestrategie hänge davon ab, wie schnell die große Koalition sie umsetze - vor allem die Steuerpolitik und die Bereitstellung von Wagniskapital müssten sofort auf die Tagesordnung. Größeren Steuersenkungen hat Finanzminister Olaf Scholz (SPD) allerdings eine Absage erteilt. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet nicht damit. Altmaier äußerte Zweifel, dass das Papier des Wirtschaftsministeriums auch eine Position der gesamten Regierung wird. "Ich muss das nicht haben", sagte er. Eine Abstimmung innerhalb der Regierung werde es nur geben, wenn das Papier mit seinen wichtigsten Punkten auch durchkommen könne.

rtr