Indiens neuer Regierungschef Narendra Modi, Spitzenmann der national-konservativen Bharatiya Janata Party (BJP), hat sich ein hehres Ziel gesetzt: den Komplettumbau der indischen Wirtschaft. Einen Monat nach seiner Amtseinführung am 26. Mai 2014 ist es noch zu früh für eine historische Einordnung des Gujaratis, der in Indien selbst vorsorglich schon einmal mit Großreformern wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher verglichen wird. Sicher ist aber: Modi hat bei der Modifizierung der drittgrößten Volkswirtschaft in Asien bislang nichts falsch gemacht, den passenden Ton gefunden, die richtigen Akzente gesetzt.

Die Liste der Großtaten, die die neue Regierung in Angriff nehmen will, ist lang und ambitioniert - geht es doch, anders als bei den meisten Vorgängerregierungen, nur am Rande um Verteilungsfragen, sondern um angebotsseitige Reformen. Modi und seine Ministerriege planen umfassende Infrastrukturmaßnahmen, zu Wasser (Häfen), zu Lande (Straßen und Schienennetz) und in der Luft (Flugverkehr). Sie wollen dem Energie- und Rohstoffsektor, bislang von Indiens Bürokratenheer kontrolliert und dementsprechend effizient, umkrempeln. Indien soll für Touristen gastfreundlicher und sicherer werden - was eine Herkulesaufgabe ist, wie Zeitungsleser und Besucher der indischen Konsularämter wissen. 100 oder so neue Städte sollen entstehen. Der ebenso heilige wie bakteriell verseuchte Ganges im Norden Indiens, in dessen Einzugsbereich 500 Millionen Menschen leben, soll ein sauberer Fluss werden. Und so weiter. Mehr Vision war nie.

Große Pläne mit nichts dahinter? Eher nicht. Bisher deutet alles darauf hin, dass Modi seine zu Beginn der sechs Wochen dauernden Wahlphase präsentierte To-Do-Liste tatsächlich zielstrebig angeht. Onno Ruhl, der für Indien zuständige Direktor der Weltbank, glaubt, dass Indien seine Wachstumrate verdoppeln könnte, indem es die "supply side" reformiert. Zurzeit liegt das Wachstum der Volkswirtschaft mit 1,25 Milliarden Menschen knapp unter fünf Prozent.

Sofern nichts dazwischen kommt - und bislang deutet nichts darauf hin -, werden zahlreiche Unternehmen in Indien und weltweit von diesem Aufbruch profitieren. An den Aktienmärkten zeigt sich das längst. Die großen Leitindizes Sensex (Bombay Stock Exchange) und Nifty (National Stock Exchange) notieren nahe am Rekordniveau. Die Bewertungen sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2015 jenseits der 15 nicht mehr billig. Aktieninvestoren sind aber noch "in der Honeymoon-Phase" mit der Regierung, wie Shankar Sharma, Vize-Chairman und Managing Director bei First Global Securities, es vor wenigen Tagen ausdrückte. "Die könnte sechs Monate bis ein Jahr anhalten."

Auf Seite 2: Marktführer

In Indien sind aktuell vor allem jene Unternehmen am Zug, die sich in den vergangenen Jahren eine starke Ausgangsposition und eine führende Marktstellung erarbeitet haben. Wenige dürften für den erwarteten Aufschwung besser positioniert sein als Reliance Industries, in Indien auch als RIL bekannt. Der gigantische Mischkonzern, das umsatzstärkste Börsenunternehmen des Landes, legt seinen Schwerpunkt traditionell auf Energie und Öl, erobert zügig aber weitere Branchen. Die Führung unter Mukesh Ambani zieht nach Modis Wahl alle Register und hat angekündigt, in den nächsten drei Jahren annähernd 20 Milliarden Euro zu investieren - das mit Abstand größte Investitionsprogramm der Unternehmensgeschichte. Zum Teil geschieht dies auf Pump. Da RIL bislang allerdings fast schuldenfrei ist und auf Barreserven von mehr als vier Milliarden Euro sitzt, ist dies problemlos möglich. Ambani, reichster Mann Indiens, expandiert massiv in den Einzelhandel und in Telekommunikation, wo der 4G-Betreiber Reliance Jio ab 2015 etwa 90 Prozent der Städte und viele Landbezirke abdecken soll.

Ähnlich gute Ausgangspositionen haben beispielsweise Larsen & Toubro, das größte Bauunternehmen des Landes, und State Bank of India, das größte Kreditinstitut (und trotz des Namens börsennotiert).

Auf Seite 3: Telekomsektor

Für ausländische Investoren ist die Verbesserung des Investitionsklimas in Indien entscheidend - das in den vergangenen Jahren derart miserabel war, dass es eigentlich nur angenehmer werden kann. Die größte Signalwirkung kommt dabei dem Telekommunikationssektor zu. Die indische Regierung hatte in den vergangenen Jahren ausländische Telekomkonzerne rückwirkend mit massiven Steuern belegt - ein Akt bürokratischer Willkür, der seinerzeit verständlicherweise eine Schockwelle unter potenziellen Investoren auslöste. Allein Vodafone, der zweitgrößte Telekomkonzern der Welt mit 152 Millionen Mobilkunden in Indien, sah und sieht sich Nachforderungen in Höhe von gut 2,4 Milliarden gegenüber, die nach Ansicht der Verwaltung nachträglich für die Übernahme von Hutchison Essar im Jahr 2007 abzuführen seien. Wenn man ausländische Investoren abschrecken will, ist das Infragestellen der Rechtssicherheit stets der Königsweg. Indes: Die neue Regierung ist auf Verständigungskurs und signalisiert vorsichtig, dass dieses Problem aus der Welt geschafft werden sollte. Modi selbst, dessen Heimat Gujarat in seiner Amtszeit als Chief Minister extrem viele ausländische Firmen anlockte, scheint die Angelegenheit peinlich zu sein - ein gutes Zeichen.

Auch Norwegens Telenor, auf dem Subkontinent seit Jahren stark, könnte von einer Bereinigung des kafkaesken Regelwerks profitieren. Soeben hat das Unternehmen angekündigt, die 26 restlichen Prozent am Telekombetreiber Uninor zu übernehmen. 100-Prozent-Töchter sind in Indien im Telekombereich erst seit 2013 rechtlich möglich. Japans NTT DoCoMo wiederum zog sich vor kurzem frustriert aus dem indischen Markt zurück - was nach einem unglücklichen Timing aussieht.

Auf Seite 4: Energie- und Rohstoffsektor

Nicht weniger als ein "Big Bang", ein Rundum-Befreiuungsschlag, ist im indischen Energie- und Rohstoffsektor erforderlich. Indien hat gigantische Kohlereserven und das größte Kohleunternehmen der Welt (Coal India), schafft aber nicht einmal die Eigenversorgung. Die Stromversorgung, zu rund 60 Prozent von Kohle abhängig, ist in weiten Teilen des Landes folglich unzuverlässig. Ausländische Erzeuger, beispielsweise Frankreichs GDF Suez, ziehen zurzeit weitere Deals an Land - wobei es für konkrete Anlageempfehlungen in dieser Branche noch zu früh ist. Anleger sollten aber ein in Deutschland eher unbekanntes Unternehmen, das seit Jahren in Indien tätig ist, auf dem Radar behalten: CLP (China Light & Power) aus Hongkong. Die indische Tochter war lange CLPs Sorgenkind; allerdings schaffte der Versorger 2013 aus eigener Kraft die Trendwende und kehrte im indischen Markt in die schwarzen Zahlen zurück.

Auf Seite 5: Einzelhandelssektor

Dringender Reformbedarf besteht auch im Einzelhandel. Bislang haben die verschiedenen Regierungen in Neu-Delhi stets ausgeschlossen, dass große ausländische Händler wie Walmart oder Tesco im Land ernsthaft Fuß fassen. Zu groß sei das Risiko, so die Logik der Regierung, dass die globalen Branchengiganten die vielen Millionen Klein- und Kleinsthändler - alle natürlich mit Stimmrecht bei Wahlen - aus dem Markt drängen würden. (Dass Indiens Verbraucher mündig sind und selbst entscheiden können, wo und wie und zu welchen Preisen sie einkaufen, war dem lange sozialistisch angehauchten Staat stets egal.) Im Ergebnis gibt es bis heute nur wenige Supermärkte im Land, die in der Regel nach westlichen Maßstäben alles andere als super sind. Modi scheint um dieses Thema noch einen Bogen zu machen, aber es gibt erste Anzeichen, dass sich etwas tut.

Walmart, der größte Einzelhändler der Welt, betreibt heute lediglich 20 Cash-and-Carry Großhandelsmärkte in Indien, will aber 50 weitere öffnen. Das Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Arkansas hatte zuvor jahrelang versucht, Indiens Regierung zu einer Öffnung des Sektors zu bewegen - hat dieses Projekt vorerst aber mangels Perspektive ausgebremst.

Vor allem im Onlinehandel spielt aktuell jedoch die Musik. Bislang kommt dieses Segment lediglich auf einen Umsatz von umgerechnet 2,3 Milliarden Euro in Indien - nicht einmal zwei Euro pro Kopf und Jahr also. Der Umsatz wird sich bis 2018 allerdings versiebenfachen. Hauptproblem bislang: Ausländische Onlinehändler wie Amazon (amazon.in) dürfen bislang nur als Vermittler tätig werden und nicht direkt an Endkunden verkaufen - werden also perfekt ausgebremst. Noch. Schon im Juli könnte sich das ändern.

Auf Seite 6: Tourismussektor

Tourismus sollte in einem Land wie Indien - mit Zehntausenden Kulturstätten, quirligen Weltstädten, fabelhaften Tropenstränden, dem höchsten Gebirge der Welt und einigen der besten Hotels - eigentlich ein Selbstläufer sein, ist es aber nicht. 2012 kamen nach Angaben des Branchenverbands WTTC 6,8 Millionen ausländische Touristen nach Indien, viele mit dem Fazit: einmal und nie wieder. Singapur, ein Drittel so groß wie Indiens Hauptstadt, kam auf 11,1 Millionen Gäste, Thailand auf 22,4 Millionen. Chinas Hauptstadt Peking hatte 2012 nach Angaben des Branchenverbands HVS 129.000 Hotelbetten; Delhi, ähnlich groß, 13.000.

Indian Hotels (IHCL), die börsennotierte Gastgewerbe-Tochter der Tata-Gruppe, ist unangefochtener Marktführer im Land und hat die Zahl der Häuser binnen zehn Jahren von 50 auf zuletzt etwa 140 gesteigert. Etwa jedes achte Hotelbett in Indien wird heute von dem Unternehmen gemacht. Noch vor wenigen Jahren stand die unternehmenseigene Luxusmarke "Taj" ("Krone") vor allem für nostalgischen Palastcharme - zum Beispiel im Rambagh Palace in Jaipur, im Lake Palace von Udaipur oder im Taj Palace in Mumbai, der legendären Hotelikone des Landes. Das Portfolio wurde von Taj-Chef Raymond Bickson jedoch gezielt ausgeweitet und umfasst heute elegante Ferienressorts ("Exotica") ebenso wie die Marken "Vivanta", "Gateway" und "Ginger". Damit deckt das Unternehmen mittlerweile das gesamte Hospitality-Spektrum zwischen einem und fünf Sternen ab.

Dennoch schreibt Indian Hotels chronisch rote Zahlen. Mehr als jeder Wettbewerber würde es jedoch von einer Willkommensinitiative des Landes gegenüber ausländischen Besuchern profitieren - insbesondere von bereits geplanten Visumserleichterungen für Gäste. Dass die indische Mittelschicht, zurzeit vielleicht 400 Millionen Menschen stark, von Jahr zu Jahr rasch wächst, hilft der Reisebranche ebenfalls: Viele indische Familien buchen heute ihre ersten Reisen und erkunden ihr eigenes Land, vor allem in Regionen wie Goa, Kaschmir oder Kerala.