"Ohne Einheit gibt es keinen Frieden, nur Verbitterung und Rage. Kein Fortschritt, nur erschöpfende Empörung. Keine Nation, nur Chaos." Das gegenseitige Anfeinden müsse aufhören. "Dies ist unser historischer Augenblick der Krise und Herausforderung. Und Einheit ist unser Pfad nach vorne."
Nach vier turbulenten Jahren unter Bidens Vorgänger Donald Trump ist die amerikanische Gesellschaft so gespalten wie selten zuvor. Besonders in den zweieinhalb Monaten seit der Präsidentenwahl haben sich die Gräben noch einmal vertieft. Trump behauptete unzählige Male, dass bei der Wahl betrogen worden sei. Belege lieferte er dafür keine, doch schürte er so die Wut seiner Anhänger. Vor zwei Wochen stürmten diese das Kapitol, als die Kongressmitglieder dabei waren, Bidens Wahlsieg zu bestätigen. Fünf Menschen starben.
Ein "gewalttätiger Mob" habe versucht, den Willen des Volkes zum Schweigen zu bringen, erklärte Biden. Das sei nicht gelungen. Demokratie und Wahrheit hätten sich durchgesetzt. Bewusst schlug der neue Präsident dabei einen deutlich anderen Ton an als Trump, der zum Auftakt seiner Präsidentschaft in einer düsteren Rede dazu aufgerufen hatte, das "amerikanische Gemetzel" zu beenden. Biden, der älteste US-Präsident aller Zeiten, streckte die Hand dagegen betont auch denen entgegen, die ihn nicht gewählt haben. "Politik muss nicht ein rasendes Feuer sein, das alles in seinem Weg zerstört. Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Anlass für einen totalen Krieg sein."
In der Corona-Pandemie stehe die vielleicht "härteste und tödlichste" Phase an, warnte Biden. Die Krise müsse endlich "als eine Nation" angegangen werden. Dem Ausland sicherte Biden zu, "Allianzen zu reparieren". Die USA würden sich der Welt wieder zuwenden.
Die Vereidigung von Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und von Kamala Harris als seine Stellvertreterin war in vielerlei Hinsicht anders als frühere Amtseinführungen. So fand die Zeremonie wegen der Corona-Pandemie nicht vor einem Massenpublikum statt, sondern in deutlich kleinerem Rahmen. Statt Hunderttausender Zuschauer, die normalerweise zu Vereidigungen von Präsidenten kommen, säumten die Fläche vor dem Parlament dieses Jahr stellvertretend fast 200.000 US-Fahnen. Aus Sorge vor gewaltsamen Ausschreitungen galten zudem besonders strikte Sicherheitsvorschriften. Wegen der angespannten Lage wurden allein Zehntausende Nationalgardisten nach Washington beordert, um bei der Absicherung der Amtseinführung zu helfen. Das Kapitol wurde weiträumig abgesperrt. Fernsehsender im In- und Ausland übertrugen die Vereidigung live.
TRUMP VERSPRICHT RÜCKKEHR - "IN IRGENDEINER FORM"
Beratern zufolge wollte Biden unmittelbar nach seiner Vereidigung mit der Arbeit beginnen und mindestens 15 Erlasse und Anordnungen unterzeichnen, die zum Teil Beschlüsse seines Vorgängers rückgängig machen sollen. Sie betreffen die Virus- und Rassismusbekämpfung, die Wirtschaft und die Klimapolitik. So sollen etwa die Weichen gestellt werden für eine Rückkehr der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen, aus dem das Land unter Trump ausgetreten war.
Trump verzichtete bis zuletzt darauf, Signale der Versöhnung zu senden. Entgegen der Tradition nahm er an der Vereidigung seines Nachfolgers nicht teil, sondern verließ Washington bereits einige Stunden vor der Zeremonie. In einer kurzen Abschiedsrede auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews kündigte Trump an, er werde das Geschehen weiter verfolgen. Biden erwähnte er erneut namentlich nicht, wünschte der neuen Regierung aber Glück. Er denke, dass sie erfolgreich sein werde, da seine Administration dafür das Fundament gelegt habe. Seinen Anhängern versicherte Trump, immer für sie da zu sein. "Wir lieben euch. Wir werden wiederkehren - in irgendeiner Form." Anschließend machte er sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Melania an Bord der Präsidenten-Maschine Air Force One auf den Weg nach Florida, wo er ein Luxusanwesen besitzt.
rtr