Die Tricksereien um Aktiengeschäfte ("Cum-Ex") hätten in der Finanzbranche einen "industriellen Charakter" angenommen, sagte Martin S. am Mittwoch vor dem Landgericht Bonn: "Cum-Ex umfasste ein weites Netzwerk von Unternehmen, Personen und Körperschaften." Es sei darum gegangen, "eine maximale Profitoptimierung zu erzielen". Ein Werkzeug dazu sei die "Steuer-Optimierung" gewesen. Teil des Cum-Ex-Karussells sei neben anderen Großbanken auch die Deutsche Bank gewesen, sagte S. Die Deutsche Börse- Tochter Clearstream habe eine wichtige Rolle für die Transaktionen gespielt.
Er frage sich oft, ob er etwas anders machen würde, wenn er die Gelegenheit dazu hätte, sagte der Angeklagte. "Mit meinem heutigen Kenntnisstand ist die Antwort eindeutig: Ich wäre nicht Teil der Cum-Ex-Industrie geworden."
Vor der 12. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn müssen sich die beiden britischen Investmentbanker Martin S. und Nicholas D. verantworten, die in der Vergangenheit unter anderem bei der HVB tätig waren. Sie sollen den deutschen Staat laut Anklage mit "Cum-Ex"-Geschäften zwischen 2006 und 2011 um rund 447 Millionen Euro gebracht haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Beteiligung an 34 Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung vor. Bei einem Fall sei es beim Versuch geblieben. Es sei bei den Deals "um Profit aus der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern" gegangen, hatte Staatsanwältin Anne Brorhilker gesagt.
Den Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren. Wenn sie zur Aufklärung der komplexen Geschäfte beitragen, können sie eventuell auf Milde des Gerichts hoffen. Dem Gericht zufolge will auch der zweite Angeklagte, Nicholas D., aussagen.
MIT "CUM-EX" IN DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT
Der studierte Ingenieur S. hatte seine Karriere als 23-Jähriger im Jahr 2002 bei Merill Lynch in der Londoner City begonnen. Mit 26 wechselte S. dann zur HVB - dort seien "steuer-attraktive Trades" erwartet worden. S. und andere Händler arbeiteten mit Cum-Ex-Trades - und erzielten dem Angeklagten zufolge allein 2007 einen Gewinn von rund 40 Millionen Euro. 2008 machte sich S. mit einem Kollegen selbstständig. Das Geschäft nahm dann weiter Fahrt auf.
Mit seiner Aussage am Mittwoch versuchte S. Klarheit über die komplexen Konstruktionen schaffen, mit denen die Angeklagten und vor allem mit ihnen verbundende Gesellschaften in Geschäften rund um den Dividenden-Stichtag illegal Millionen-Gewinne eingestrichen haben sollen. Hierbei ließen sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragssteuer auf Aktiendividenden mit Hilfe von Banken mehrfach erstatten. Dazu verschoben sie um den Stichtag der Dividendenzahlung herum untereinander Aktien mit (lateinisch: "cum") und ohne ("ex") Dividendenanspruch.
Der Angeklagte versuchte, dem Gericht die Strukturen auch mit Hilfe komplexer Schaubilder und Excel-Tabellen zu erklären, die an die Wand des Gerichtssaals projiziert wurden. Dabei nannte er die Namen zahlreicher Großbanken und Broker, auch US-Pensionsfonds sollen sich an den Geschäften beteiligt haben. Deutsche Landesbanken waren nach seinen Worten in die Cum-Ex-Deals verwickelt, die auf Überweisungen durch die Referenz-Nummer "KD 111" zu erkennen gewesen seien. Die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream sei zentral für die Abwicklung der Geschäfte gewesen, fügte S. hinzu. Ein Sprecher der Deutschen Börse unterstrich, das Unternehmen arbeite mit den Behörden zusammen. Im August hatte es wegen "Cum-Ex" eine Razzia bei Clearstream gegeben.
Dass gegen die Deutsche Bank, die S. ebenfalls nannte, ebenfalls ermittelt wird, ist seit längerem bekannt. Anfang Juni weitete die Staatsanwaltschaft Köln, die bei der Aufklärung der Cum-Ex-Transaktionen eine Schlüsselrolle spielt und bei der S. umfassend ausgesagt hat, die Ermittlungen gegen weitere ehemalige und aktuelle Mitarbeiter aus - bis hin zur damaligen Vorstandsebene. Die Deutsche Bank betonte damals, sie habe nicht an einem organisierten Marktplatz zur Steuervermeidung teilgenommen, weder als Käufer noch als Verkäufer.
Im nun laufenden Bonner Prozess müssen fünf Geldhäuser den Richtern Rede und Antwort stehen. Laut Richter Roland Zickler handelt es sich dabei um die Holdinggesellschaft der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, deren Tochter Warburg Invest, Fondshäuser der französischen Bank Societe Generale und des US-Instituts BNY Mellon sowie die Hamburger Kapitalverwaltungsgesellschaft Hansainvest. Als Ausgleich für den mutmaßlich entstandenen Schaden kann das Gericht Vermögen von den Banken einziehen.
rtr