In der Dieselaffäre hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Führung von Volkswagen Anklage wegen Marktmanipulation erhoben. Angeklagt sind neben dem früheren Chef Martin Winterkorn und dem heutigen Chefkontrolleur Hans Dieter Pötsch auch der amtierende Chef Herbert Diess. Ihnen wird vorgeworfen, den Kapitalmarkt zu spät über die finanziellen Folgen der Affäre informiert zu haben. Das Landgericht Braunschweig entscheidet nächste Woche über die Zulassung der Anklage, wovon auszugehen ist.
Die Anklage trifft den Konzern mitten in der Neuausrichtung auf Elektromobilität. "Mit Vorstandschef Herbert Diess ist die entscheidende Triebfeder betroffen, die den Konzern gerade auf die Zukunft einstellt", erläutert Analyst Marc-Rene Tonn von Warburg Research. "Auf der anderen Seite könnte ein mögliches Fehlverhalten des Vorstands auch Folgen für die Erfolgschancen von Schadensersatzprozessen von Anlegern - Aktionären wie Anleihegläubigern - haben." Diese Anleger haben Schäden in Milliardenhöhe geltend gemacht aus ihrer Meinung nach verspäteten Ad-hoc-Mitteilungen des Unternehmens.
Für die VW-Aktie selbst war die Anklageerhebung zunächst nur ein vorübergehender Belastungsfaktor. Nach einem Minus von bis zu 2,8 Prozent am Dienstag hatte sich das Papier am Mittwoch stabilisiert und lag am Vormittag 0,4 Prozent im Plus. Analyst Tonn hat die VW-Aktie unverändert auf Kaufen eingestuft, bei einem Kursziel von 210 Euro.
Für Vorstandschef Diess könnte es eng werden
Der Frankfurter Anlegeranwalt Klaus Nieding sieht in der Anklageerhebung eine Chance für Aktionäre, zusätzliche Argumente für zivilrechtliche Schadensersatzanforderungen zu bekommen. Nieding vertritt Anleger, die im Zuge des Dieselskandals Schadensersatz-Forderungen von zehn bis zwölf Milliarden Euro gegen Volkswagen gestellt haben. "Wir begrüßen das. Die Anklageerhebung zeigt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig eine unabhängige Behörde ist - und dass es gravierende Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten gibt", sagte Nieding gegenüber boerse-online.de.
Für Vorstandschef Herbert Diess könnte es laut Nieding im Fall einer Verurteilung "schwierig werden, das Amt weiter auszuüben", so Nieding. "Zunächst gilt aber die Unschuldsvermutung." Der Aufsichtsrat von VW beschäftigt sich heute in Wolfsburg mit dem Thema. Schon am Dienstag hatte das Gremium erklärt, an Diess und Pötsch festzuhalten, weil man kein Fehlverhalten erkennen könne. Insbesondere sei der Kapitalmarkt nicht vorsätzlich fehlinformiert worden. Auch Diess und Pötsch selbst hatten die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.
Wird das Verfahren tatsächlich zugelassen, könnte es sich in die Länge ziehen, möglicherweise über Jahre, glaubt Nieding. Mit Urteilen sei frühestens Mitte nächsten Jahres zu rechnen. "Wenn es ganz dick kommt und die Führungsriege verurteilt wird, dann müsste man bei Volkswagen über einen kompletten Neuanfang im Management nachdenken", glaubt der Anwalt. Aber auch ein laufendes Verfahren könnte für Diess und Pötsch zu einer großen zeitlichen Belastung werden, so dass sie ihre eigentliche Tätigkeit nur noch eingeschränkt ausüben können. Ein zwingender Grund, das Amt aufzugeben, sei ein laufendes Verfahren aber noch nicht, sagt Nieding mit Blick auf die Deutsche Bank. Dort hatte sich der frühere Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen 2015 im sogenannten Kirch-Verfahren wegen angeblich vorsätzlicher Falschaussage vor Gericht verantworten müssen. Fitschen hatte seine Vorstandstätigkeit weiter ausgeübt und war am Ende freigesprochen worden.