Geoffroy Goenen: Ganz einfach: Weil man die Herkunft eines Unternehmens nicht mit seinem Absatzmarkt verwechseln darf. Einerseits haben Sie mit Ihrer Betrachtung Recht. Verglichen mit den Schwellenländern und den USA ist das Wirtschaftswachstum in Europa niedrig. Deshalb haben Unternehmen, die ihre Geschäfte vor allem in Europa machen, teils große Probleme, weil sie in einem stagnierenden Markt um Anteile kämpfen müssen. Das gilt etwa für Versorger, die Finanzindustrie aber auch für die Telekombranche. Als Fondsmanager geht es uns erst einmal darum, alle diese Aktien auszuklammern, mit denen man Geld verliert. Erst dann kommt die Suche nach Aktien, mit denen man Gewinn macht. Und die gibt es. Denn die Produkte diverser europäischer Konzerne sind überall auf der Welt sehr gefragt. Genau in deren Aktien investieren wir.
Wie viele Firmen klammern Sie aus, bevor Sie eine Aktie finden, in die es sich lohnt, zu investieren?
Wir gehen sehr selektiv vor. Der europäische Aktienindex Stoxx Europe umfasst 600 Aktien. Davon halten wir vielleicht 15 Prozent für spannend.
Das heißt, 85 Prozent der europäischen Aktien sind Müll?
So drastisch würde ich es nicht formulieren. Aber ja: 85 Prozent der Europa-Aktien sind für uns uninteressant.
Und welche Aktien sind für Sie interessant?
Aktien von Konzernen, die etwas bieten, das man in den USA oder Asien nicht findet - die also ein Alleinstellungsmerkmal und damit einen Wettbewerbsvorteil haben. In der Regel haben diese Firmen entweder eine starke Marke oder sind sehr innovativ.
Zum Beispiel?
Weltweit bekannte europäische Marken mit langer Tradition findet man zum Beispiel bei Luxusgütern oder in der Getränkebranche. Und Firmen mit hoher Innovationskraft kommen aus ganz verschiedenen Branchen. Der Bereich Duftstoffe, Aromen und Nahrungszusätze ist so ein Beispiel. Hier gibt es sehr innovative Firmen. Ein anderes Beispiel ist die Kosmetikindustrie, die seine Produkte im Internet mitunter sehr geschickt und fortschrittlich vermarktet - denken sie etwa an die Influencer mit ihren Schminktipps. Auch in der Medizintechnik gibt es tolle Firmen.
Welche Aktien, die solche Kriterien erfüllen, sind in den Europa-Fonds von Candriam?
Zum Beispiel den Duftstoffhersteller Symrise, die Lebensmittelkonzern Kerry Group und CHR Hansen, den Kosmetikhersteller L’Oreal oder den Diagnostikspezialisten Biomérieux.
Sie haben auch einen Fonds, der explizit in innovative Firmen investiert.
Ja, den Candriam Equities Europe Innovation (siehe unten). Er zeigt, dass man in Europa den Markt mit Aktien von innovativen Firmen deutlich schlagen kann.
An die mehr als 90 Prozent, die US-Aktien erzielten, kommt aber auch ihr Fonds nicht ran. Bremst da doch die europäische Herkunft? Schließlich ringt Europa mit Problemen wie dem Brexit oder der Frage, wie man mit Defizitsündern wie Italien umgeht.
Da haben Sie zwei verschiedene Dinge angesprochen. Das Erste ist die starke Wertentwicklung von US-Aktien. Die hängt an bestimmten Sektoren, vor allem der Technologiebranche. Da ist Europa schwächer aufgestellt als die USA. Das Zweite sind die politischen Probleme auf dem Kontinent. Die Krise in Griechenland hat vor ein paar Jahren aufgedeckt, dass die Europäische Union schlecht organisiert ist. In den USA hätte man so eine Schieflage in einem Monat gelöst. An der schlechten Organisation hat sich wenig geändert, wie die Probleme mit Italien oder der Brexit im Moment zeigen. Die halten US-Investoren tatsächlich davon ab, im großen Stil in europäische Aktien zu investieren. Das ist ein Rückschlag für Europa, denn in Amerika gibt es weltweit die größten Summen an Anlagekapital. Weil dieses Geld an den Börsen in Frankfurt, London oder Paris fehlt, entwickeln sich auch die Kurse von europäischen Aktien schwächer.
Auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise im Jahr 2012 konnte die Europäische Zentralbank (EZB) alle Probleme mit viel billigen Geld überdecken, weshalb plötzlich wieder Anleger aus aller Welt in Europa investieren wollten. Vor kurzem hat die EZB die Zinsen noch einmal weiter in den negativen Bereich gesenkt. Lockt das erneut US-Investoren an?
Nein, denn die extremen Minuszinsen haben auch ihre Schattenseiten. Außerdem ist das Innovationstempo in den USA und Asien so hoch, dass es für Amerikaner derzeit keinen zwingenden Grund gibt, ihr Geld in Europa anzulegen. Was wieder Geld aus den USA anlocken könnte, wäre eine mutige wirtschaftliche Vision für Europa.
Die EU-Kommission verfolgt dieses Ziel mit dem Juncker-Plan, einem 650 Milliarden Euro schweren Programm, mit dem strategische Investitionen in die Wirtschaft gefördert werden sollen. Reicht das?
Der Plan geht in die richtige Richtung. Auch länderübergreifende Unternehmen wie Airbus, wo Deutschland und Frankreich zusammenarbeiten, sind der richtige Ansatz, um konkurrenzfähig zu sein. Leider kommuniziert die EU ihre Ideen aber oft schlecht. Insgesamt müssen aber vor allem die einzelnen Staaten viel mehr tun, um beste Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen zu schaffen und so wettbewerbsfähig zu werden.
Wie genau?
Hier sind nicht nur Förderprogramme gefragt sondern auch Investitionen in die Infrastruktur, etwa in schnelles Internet oder alternative Transportsysteme. Ein Beispiel: Wer täglich auf dem Weg in die Arbeit mit dem Auto eine Stunde im Stau steht ist weniger produktiv als jemand, der nur kurz mit dem Zug unterwegs ist, dort schnelles Internet hat und so unterwegs schon arbeiten kann. In Sachen Effizienz können wir uns hier viel von China abschauen - auch wenn es die Chinesen zugegebenermaßen leichter haben: Die Europäischen Städte sind über Jahrhunderte gewachsen, in China kann man hingegen ganze Metropolen samt Verkehrssystem auf dem Reisbrett planen.
Die Große Koalition hat gerade ein Klimapaket verabschiedet, um den deutschen CO2-Ausstoß zu senken. Dieses Paket sieht höhere Abgaben für Benzin und Flüge vor, im Gegenzug sollen verschiedene grüne Projekte mit insgesamt 54 Milliarden Euro gefördert werden. Ist dieses Paket eine Chance oder ein Hemmschuh für die Wirtschaft?
Das Geld ist zu wenig, aber immer noch besser als nichts. Es gibt viel zu tun, um Deutschland klimafreundlicher zu machen. Deutschland wäre reich genug, um das zu stemmen. Dass so ein Umbau durchaus auch eine Chance für die Wirtschaft ist, sieht man im Norden Belgiens. Dort dominierten lange der Bergbau, die Stahlindustrie und die Kohleförderungen die Wirtschaft. Nach dem Niedergang dieser Branchen setzte man zum Beispiel massiv auf Logistikdienstleister, die heute das deutlich zukunftsfähigere Geschäftsmodell haben.
Über Geoffroy Goenen:
Geoffroy Goenen ist Anlagestratege für europäische Aktien bei der Fondsgesellschaft Candriam. Goenen hat Jura an der Université Catholique de Louvain in Belgien und internationales Recht an der Universität Leiden in den Niederlanden studiert.
Über den Fonds:
Beim Candriam Equities Europe Innovation (ISIN: LU0344046155) geht das Fondsmanagement davon aus, dass Innovationen für ein Unternehmen due beste Voraussetzungen für eine hohe Gewinne und damit steigende Aktienkurse sind. Dabei kann es sich um ein besonders innovatives Produkt, smartes Strategien bei Marketing und Vertrieb oder um neuartige Produktionsprozesse handeln. Der Fonds hat relativ wenige Aktien im Portfolio, allein in die zehn Top-Positionen ist über ein Drittel des Fondsvermögens investiert. Darunter sind zum Beispiel das Medizintechnikunternehmen Biomérieux, das Softwareunternehmen Dassault Systèmes sowie ASML, ein Anbieter von Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie. Neben dem Innovation-Fonds bietet Candriam weitere Fonds für europäische Aktien, unter anderem einen für Nebenwerte (LU1293438260) und einen mit Fokus auf nachhaltige Aktienauswahl (LU1313771856).