Durch die jüngst in Kraft getretene EU-Offenlegungspflicht für die Nachhaltigkeitsrisiken von Investments kommt eine weitere Dynamik hinzu. Allerdings könnte es kurzfristig zu einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage kommen. Auf der einen Seite steht die Finanzindustrie, die regulatorisch dazu angehalten wird, in immer größerem Umfang nach fest definierten Nachhaltigkeitskriterien zu investieren. Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeit dokumentarisch nachweisen und bis Ende 2021 ein entsprechendes Reporting erstellen müssen.

Schon heute ist ein gewisses Missverhältnis festzustellen: Aktuell erfüllen weniger als fünf Prozent der Unternehmen die von der sogenannten Taxonomie EU-weit geforderten Nachhaltigkeitsbedingungen, aber rund neun Prozent der aktuell in Fonds gehaltenen Assets unterliegen den Nachhaltigkeitsanforderungen. Besteht also die Gefahr einer "grünen" Blase?

Die Betrachtung der Momentaufnahme greift zu kurz. Sicherlich gibt es einige Unternehmen, besonders auch aus der bekanntermaßen CO2-armen Technologiebranche, die stark überbewertet sind. Entscheidend ist aber, dass dank der Regulierung auch heute noch nicht nachhaltig wirtschaftende Unternehmen nachziehen müssen, wenn sie weiter am Kapitalmarkt bestehen möchten.

Wichtig ist auch, sich nicht nur auf den Umweltaspekt zu fokussieren. Nachhaltigkeit muss gesamtheitlich betrachtet werden. Sich nur auf Unternehmen zu konzentrieren, die bereits in grünen Sektoren aktiv sind, birgt tatsächlich die Gefahr einer Blase. Und ist zudem nicht zielführend. Denn der Best-in-Class-Ansatz ermöglicht es auch in Firmen zu investieren, die in überhaupt nicht grünen Branchen tätig sind. Ein Beispiel ist die extrem CO2-intensive Zementherstellung. Zement werden wir in zehn, 20 und 30 Jahren noch brauchen. Was ist jetzt die E-Komponente bei Zement? Auf den ersten Blick gar keine. Instinktiv würde man die Branche eher komplett ausschließen, weil sie sehr CO2-lastig ist. Aber auch dort finden sich Unternehmen, die innerhalb ihrer Branche zu den Vorreitern gehören, weil sie es geschafft haben, ihre Entwicklungsprozesse CO2-reduziert umzugestalten und so einen viel niedrigeren CO2-Footprint als Wettbewerber haben.

Wir befinden uns also erst am Anfang eines immensen Transformationsprozesses, in dessen Verlauf kontinuierlich weitere Unternehmen investierbar werden - und das zu guten Einstiegspreisen. Unternehmen, die in Zukunft weiter existieren wollen, müssen heute in die Bereiche E, S und G investieren und Verbesserungsprozesse anstoßen. Und wenn sie das nicht tun, werden sie verschwinden. Wie andere Unternehmen früher auch schon verschwunden sind. Das ist weniger die Gefahr einer Blasenbildung als ein Trend in die richtige Richtung. Das führt auch dazu, dass gewisse Standards, die wir jetzt erreichen wollen, in Zukunft selbstverständlich sind.

Jetzt ist die Zeit des Stock-Pickings. Denn das Angebot an nachhaltig wirtschaftenden Firmen wird steigen. Gerade auch mittlere und kleinere Unternehmen haben ein enormes Entwicklungspotenzial. Hinzu kommt das aktive Engagement der Asset-Manager im Dialog mit den Unternehmen, das langfristiges Wachstum befördert. Ein Beispiel aus unserem Haus: Aktuell ist der Clartan Ethos ESG Europe Small & MidCap zu etwa 96 Prozent in Aktien investiert (Stand: 31.03.2021). Davon rund 40 Prozent in Unternehmen, die einen positiven Impact aufweisen. Neue Positionen wurden beispielsweise bei Aquafil, einem italienischen Akteur in der Polyamidproduktion, und im französischen Labor Biomérieux aufgebaut. Der im September 2020 aufgelegte Fonds ist im Nachhaltigkeitsranking von Morningstar seit Auflage im oberen Perzentil positioniert.

Über Guillaume Brisset


Brisset ist Fondsmanager des Clartan Ethos ESG Europe Small & MidCap. Seit mehr als 30 Jahren verwaltet die unabhängige Vermögensverwaltungsgesellschaft Clartan Associés (ehemals Rouvier) Aktien- und Anleiheportfolios für Privat- und institutionelle Kunden sowie Multi-Asset-Verwaltungsmandate für Privatkunden. Das verwaltete Vermögen beträgt derzeit rund 1,1 Milliarden Euro.