Mit der Amtseinführung von Joe Biden haben die USA in Bezug auf Umwelt, Soziales und Governance (ESG) eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen. Würde man Donald Trumps Amtszeit anhand von ESG-Kriterien beurteilen, gäbe es zweifelsohne eine sehr schlechte Note. Im Bereich Umwelt wären etwa der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen oder die Umsetzung umstrittener Energieinfrastrukturprojekte zu nennen. Würde man die persönliche CO2-Bilanz von Donald Trump analysieren, würde man feststellen, dass seine wöchentlichen Flüge zwischen Washington und seinem Golfclub in Mar-a-Lago in Florida für die Umwelt von vornherein verheerend waren.

Auch auf sozialer Ebene konnte die republikanische Regierung nicht glänzen, denn die Einkommensungleichheit zwischen den ethnischen Gruppen hat zugenommen: Die Weißen als wohlhabendste Gruppe steigerten ihr Einkommen zwischen 2017 und 2019 um 13,3 Prozent, während die Afroamerikaner als am stärksten benachteiligte Gruppe eine Steigerung um elf Prozent erzielten. Auch wenn die Daten für 2020 noch nicht vorliegen, ist es gut vorstellbar, dass diese Schere im Zuge der Gesundheitskrise, die vor allem die wirtschaftlich schwächsten Minderheiten traf, noch weiter auseinandergegangen ist. Im Bereich Governance war die Zahl der Kontroversen und Personalrochaden in der Regierung geradezu schwindelerregend hoch.

Eine kleine Revolution ist bereits im Gange - vor allem symbolisch. Denn Joe Biden, auch "Amtrak-Joe" ("Der Mann im Zug") genannt, nutzt gewöhnlich für die Reise von Washington zu seinem Wohnsitz in Wilmington, Delaware, seit 1976 den Zug. Die Umweltfrage steht darüber hinaus im Zentrum seines Programms, und die ersten ergriffenen Maßnahmen sind drastisch: Rückkehr in das Pariser Abkommen und Abkehr vom umstrittenen Pipelineprojekt Keystone XL.

Im sozialen Bereich macht sich die Rolle Joe Bidens als Einiger bereits durch eine beispiellose Beteiligung der Minderheiten sowie eine zunehmende Parität innerhalb der Regierung bemerkbar. Auch sein Ansatz zur Pandemiebewältigung scheint viel mehr auf Prävention und Schutz zu setzen als jener seines Vorgängers. Bei der Governance ist nun das Ende der entsetzlichen Twitter-Gewitter gekommen. Die Machtausübung hat allem Anschein nach wieder zur Normalität in einem klar umrissenen institutionellen Rahmen zurückgefunden. In nichtfinanziellen Belangen schlägt Joe Donald k. o.

Neben diesen nichtfinanziellen Fragen ist die Börsenbilanz differenzierter zu sehen. Als Joe Biden von 2009 bis 2017 Vizepräsident unter Obama war, stieg der S & P 500 um durchschnittlich 16,3 Prozent pro Jahr. Während Trumps Präsidentschaft war die Wertentwicklung der Börsen rechnerisch mit einer annualisierten Wertentwicklung von 16,3 Prozent völlig identisch. Hier steht es also unentschieden. In der Wirtschaftspolitik erscheint der Ansatz der beiden ebenfalls gegensätzlich - bei dem gleichen Ziel, Vollbeschäftigung und nachhaltiges Wachstum zu erreichen. Aber die Wege dorthin sind sehr unterschiedlich. Trump hat getreu seinem Motto "America First" eine Politik verfolgt, die auf Relokalisierung der Produktion, Aggressivität in Handelsfragen und Deregulierung ausgerichtet war.

Die Ausrichtung seines Nachfolgers ließe sich mit "Americans First" beschreiben. Nur zwei Buchstaben sind anders, doch dies hat eine große Wirkung. Joe Biden dürfte eine keynesianische Konjunkturpolitik betreiben, die auf starken staatlichen Konjunkturanreizen aufbaut, um die Ungleichheit zu verringern und die Erderwärmung zu bekämpfen. Wird Amtrak-Joe die USA wieder auf den Wachstumspfad zurückbringen, ohne die Zukunft kommender Generationen zu gefährden? 2025 wird Bilanz gezogen.


Über Olivier de Berranger

De Berranger ist Anlagechef, Direktor der Vermögensverwaltung und Mitglied der Geschäftsführung der französischen Fondsboutique La Financière de l’Echiquier (LFDE) mit Sitz in Paris. LFDE hat sich seit ihrer Gründung 1991 zu einer der bedeutendsten und dynamischsten Fondsgesellschaften Frankreichs entwickelt und ist auch in Deutschland, Spanien, Italien, der Schweiz und in den Beneluxländern vertreten.