Vor allem die vom Präsidenten immer wieder kritisierte türkische Notenbank müsse geldpolitisch endlich in die Offensive gehen.

Unicredit-Ökonom Erik Nielsen sagt, Erdogan müsse als erstes den Streit um einen in der Türkei inhaftierten US-Pastor beenden. Der seit dem Sommer über weitreichende Vollmachten verfügende Erdogan scheint im Clinch mit US-Präsident Donald Trump bislang aber hart bleiben zu wollen. So wirft Erdogan Trump vor, einen Wirtschaftskrieg gegen sein Land zu führen. Er hat seine Landsleute aufgerufen, US-Produkte wie Coca-Cola und Apple zu boykottieren. Den Lira-Absturz will Erdogan stoppen, indem Türken Dollar in Lira tauschen sollen. Die Exportunternehmen verpflichtete er, 80 Prozent ihrer Deviseneinnahmen im Ausland in Lira umzuwandeln. Das könnte Exporteure, die etwa Rohstoffe im Ausland einkaufen oder Kredite in fremden Währungen abzahlen müssen, stark belasten.

"Erdogan muss die logischen Grundlagen einer wirtschaftlichen Politik anerkennen, inklusive deutlich höherer Zinsen und strenger Haushaltsdisziplin", fordert Ökonom Nielsen. Das sei vor allem wichtig, wenn das Land seinen Finanzbedarf nur mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds bewältigen könne. Aber ein solches Zugehen auf den IWF lehnt der türkische Präsident ab. "Wann Erdogan seine wirtschaftspolitische Haltung ändern wird, ist nicht absehbar, er könnte versuchen abzuwarten bis die lokalen türkischen Wahlen gelaufen sind, was im März kommenden Jahres sein könnte", so Nielsen. Doch der Druck sei angesichts der hohen Schuldenlast immens, schlimmstenfalls drohten Anfang 2019 Zahlungsausfälle und in Folge eine schwerwiegende Wirtschaftskrise. "Ich nehme an und hoffe, dass es Leute um Erdogan herum gibt, die ihm das erklären können und werden."

Auch der türkische Finanzminister Berat Albayrak konnte die Zweifel bislang nicht zerstreuen. Zwar bekannte sich der Schwiegersohn Erdogans vor Investoren in einer vielbeachteten Telefonkonferenz zu einer strengen Haushaltsdisziplin. Auch werde es nicht zu Kapitalverkehrskontrollen kommen. Doch die Skepsis bleibt. "Er hat die richtigen Sachen gesagt, aber es ist eine Sache darüber zu reden und eine andere, es auch umzusetzen", sagt Analyst Sailesh Lad von der Investmentgesellschaft des französischen Versicherers Axa. "Er sprach von einem Plan, um die Dinge anzugehen, aber wir brauchen Details dazu."

LASCHE ZENTRALBANK-REAKTION KÖNNTE KRISE VERSCHÄRFEN



Investoren sind uneins, ob die Lira ihren Boden bereits gefunden hat oder ob der Absturz nach rund 40 Prozent seit Jahresbeginn weitergehen wird. Eine zentrale Rolle spielt dabei die türkische Zentralbank, die am Donnerstag erneut tagt. "Weitere massive Verluste der Lira sind nahezu unvermeidlich, wenn die Zentralbank nicht auf einen restriktiveren Kurs einschwenkt", sagt Jan Bopp vom Schweizer Bankhaus Sarasin. "Aber das wird nur passieren, wenn Erdogan begreift, dass die Finanzmärkte ihm keine andere Wahl lassen."

Erdogan bezeichnet sich selbst gerne als Gegner von Zinsen, sieht in einer Anhebung einen Wachstumskiller. Investoren sorgen sich deshalb um die Unabhängigkeit der Notenbank und hoffen auf ein klares Zeichen. Im Juli hatten die Zentralbanker die Zinsen nicht angetastet. "Ohne eine angemessene Reaktion - also eine Zinserhöhung um 300 bis 400 Basispunkte - wird die Lira weiter abwerten und sich das Risiko der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen erhöhen", so Commerzbank-Analystin Antje Praefcke. Aktuell liegt der Schlüsselsatz bei 17,75 Prozent.

Auch die Experten der US-Investmentbank Goldman Sachs hoffen auf einen großen Schritt. "Bislang sind wir enttäuscht, was das Ausmaß der Zinsschritte angeht und wir stellen uns darauf ein, wenig beeindruckt zu werden", sagt Marie Cardoen von Goldman Sachs Asset Management. Und fügt mit Blick auf eine Zinserhöhung hinzu: "Je höher, desto besser für Investoren und Wirtschaft."

Am Schicksal der Lira hängen auch andere aufstrebende Schwellenländer wie Brasilien, Argentinien, Indien oder Südafrika. Denn ihre Währungen sind ebenfalls unter Druck geraten, da sich einige Investoren generell aus der Anlageklasse verabschieden. Wegen der Straffung der US-Geldpolitik fließt weniger ausländisches Kapital in die aufstrebenden Volkswirtschaften. "Es ist die übliche Schwellenländer-Geschichte, bei der die Leute aufwachen, eine schlechte Nachricht in einem Land hören und einfach alles verkaufen", sagt Bart Turtelboom, Chef der Investmentfirma APQ Global. Bleibt Erdogan also stur, könnte die Krise noch viel größer werden.

rtr