Müssen Anleger vor Anleihen geschützt werden? Angesichts der Probleme, die Privatleute beim Bondkauf haben, könnte fast dieser Eindruck entstehen. Da die Auslegung der seit 2018 geltenden Verbraucherschutzregeln in den vergangenen Monaten sogar noch verschärft wurde, können Anleger inzwischen eine Vielzahl an Anleihen nicht mehr ordern. Der Zugang wird ihnen vor allem auch bei nachrangigen und variabel verzinsten Bonds verwehrt, die in Niedrigzinszeiten besonders interessant sind. Dies liegt nicht nur an den Banken, sondern auch an vielen Emittenten, die kaum Interesse an einer Lösung der Probleme zu haben scheinen.
Damit ein Anleger den Kaufauftrag für eine Anleihe bei seiner Bank abgeben darf, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens: Privatanleger gehören zum Zielmarkt der Anleihe, den die Bank gemäß Mifid II (siehe Glossar) für jedes Papier festlegen muss. Zweitens: Handelt es sich bei der Anleihe um ein verpacktes Anlageprodukt, ein PRIIP, muss der Emittent ein Basisinformationsblatt (BIB) dafür zur Verfügung stellen - gibt es dieses nicht, wird die Anleihe von der Bank mit einer Kaufsperre für Privatanleger versehen. Vor allem wegen dieser zweiten Bedingung scheitern Anleger beim Anleihekauf oft.
Umstrittene Einstufung
Welche Anleihe ist aber überhaupt ein PRIIP? Bei der Einstufung vertrauen die Banken auf die Angaben des Datendienstleisters WM-Gruppe. Weil detaillierte Vorgaben des Regulierers fehlen, hat der Dienstleister mit Banken und Emittenten einige Kriterien zur Einordnung erarbeitet. Die Angabe im Stammdatenblatt für eine Anleihe kann sich aber auch ändern - was Mitte 2018 kein PRIIP war, kann heute ein PRIIP sein. So sind Nachranganleihen von Unternehmen wie Volkswagen, Bayer oder Otto Group erst seit einigen Monaten als PRIIP eingestuft. Diese Papiere laufen sehr lange oder unendlich, können aber vom Emittenten nach einigen Jahren gekündigt werden, was die Unternehmen in der Regel auch zum erstmöglichen Termin machen. Nach dem ersten Call-Datum wird aus dem fixen Kupon üblicherweise ein variabler Satz, der sich aus einem Kapitalmarktzins plus einem Aufschlag errechnet. Wegen dieser Abhängigkeit der Erträge von externen Referenzzinssätzen werden Nachrangbonds nun als PRIIP eingestuft. Ebenso wie Floater-Anleihen, die zwar erstrangig sind, deren Zins jedoch während der gesamten Laufzeit variabel ist.
Für die Einordnung als PRIIP genügt auch schon eine weit verbreitete Klausel in den Anleihebedingungen - die Make-Whole-Call-Option. Das Unternehmen hat damit das Recht, die Anleihe jederzeit zum Nennwert zu kündigen, muss dann aber alle bis Endfälligkeit noch ausstehenden Kupons sofort zahlen. Diese werden auf den heutigen Wert abgezinst - als Referenzsatz dient der Zins einer Staatsanleihe aus dem Land der Anleihewährung plus festgelegter Aufschlag. Ziel ist Flexibilität für den Emittenten, zugleich soll der Anleger bei vorzeitiger Tilgung nicht schlechter gestellt werden als bei normaler Laufzeit. Anleihen mit dieser Klausel werden nicht nur von ausländischen Firmen wie dem US-Flugzeughersteller Boeing emittiert, sondern auch von vielen deutschen Unternehmen wie K + S oder Fresenius.
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Erhebliche Einschränkung
Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) als Interessenvertretung der Banken nennt Bonds mit Make-Whole-Klausel als Beispiel für Papiere, die ihrer Einschätzung nach nicht als PRIIPs einzustufen seien. In einer im März ans Finanzministerium gerichteten Stellungnahme zum Änderungsbedarf bei der neuen Regulierung heißt es zudem: "Der Anwendungsbereich der PRIIP-Verordnung ist nach wie vor unklar." Dies führe zu Unsicherheit bei den Marktteilnehmern - und zu Beschränkungen des Angebots für Kleinanleger. Die DK verweist auf eine Studie der Ruhr-Universität Bochum, bei der rund zwei Drittel der Banken angegeben haben, das Anleiheangebot zunehmend einzuschränken. "Entgegen der intuitiven These, dass Einschränkungen vornehmlich komplexere und erklärungsbedürftigere Produkte, nicht aber Aktien oder Anleihen beträfen, zeigen die Ergebnisse, dass ein derartiger Zusammenhang nicht existiert", sagt Professor Stephan Paul. "Anleihen sind die am stärksten betroffene Produktform."
Bei einer Umfrage der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) haben 94 Prozent der Anleger die neuen Regeln als "negativ" bewertet und neben Informationsflut und fehlender Möglichkeit, sich von Informationspflichten befreien zu lassen, die Einschränkungen bei Bonds kritisiert.
Die in der PRIIPs-Verordnung selbst festgeschriebene Überprüfung der Regeln soll Ende 2019 kommen, ursprünglich war sie für Ende 2018 vorgesehen. Für eine rasche Verbesserung beim Anleihehandel könnten derweil die Emittenten sorgen - indem sie BIBs für Bonds bereitstellen, die von den Banken als PRIIPs behandelt werden. Bei VW will man aber zusätzliche Haftungsrisiken vermeiden, weshalb kein BIB zur Verfügung gestellt wird. Bei Bayer werden die Einschränkungen zwar bedauert: "Wir als Emittent müssen aber abwägen, welchen administrativen Kosten und rechtlichen Risiken wir auf der einen Seite und welchem positiven Einfluss auf die Finanzierungskosten wir auf der anderen Seite ausgesetzt sind."
Dass es anders geht, zeigt der Hamburger Versandhändler Otto Group, der die Probleme bei seinen Anleihen pragmatisch gelöst hat - damit Kleinanleger nicht ausgeschlossen werden. Der Investorenkreis bei Otto-Anleihen setzt sich etwa je zur Hälfte aus institutionellen und privaten Anlegern zusammen.
"Wir haben uns 2018 intensiv mit dem Thema beschäftigt und entschieden, BIBs für betroffene Anleihen wie den Nachrangbond zur Verfügung zu stellen", sagt Fabian Kunick, bei der Otto Group verantwortlich für Kapitalmarktfinanzierung. "Zuvor waren Anleger auf uns zugekommen, die bestimmte Anleihen plötzlich nicht mehr ordern konnten." Ob man selbst die Bonds als PRIIPs einschätze, sei letztlich nicht wichtig. "Wenn wir vor einigen Jahren gefragt worden wären, ob Anleihen der Otto Group strukturierte Finanzprodukte sind, hätten wir das aber sicherlich verneint", stellt Kunick fest.
Einfache Lösung
Bei den BIBs arbeitet Otto mit einer Anwaltskanzlei und einer Softwarefirma zusammen. "Es gibt spezialisierte Dienstleister und etablierte Prozesse, da etwa im Zertifikatebereich sehr viele solcher BIBs erstellt werden", sagt Kunick. Einen gewissen Aufwand erfordere das Ganze: Die BIBs müssten mindestens einmal im Jahr aktualisiert und etwa bei signifikanten Kursbewegungen auch sofort angepasst werden. Das Ziel des Regulierers, dass der Anleger über ein Produkt und die damit verbundenen Risiken aufgeklärt werde, bevor er die Anlageentscheidung treffe, sei grundsätzlich richtig, meint Kunick. "Aber man muss die Frage stellen, ob dieses Ziel mit einem solchen stark standardisierten BIB erreicht werden kann." Diese Vorschriften seien ursprünglich auch kaum für Unternehmensanleihen gedacht gewesen, sondern beispielsweise für Hebelzertifikate. "Die Auswirkungen auf den Anleihemarkt waren deshalb nicht absehbar", sagt Kunick. "Auch die Regulierungsbehörden erkennen inzwischen, dass eine Überarbeitung der Regeln nötig ist."
Glossar:
Mifid II steht für zweite europäische Finanzmarktrichtlinie (Markets in Financial Instruments Directive), nach der die Banken seit Anfang 2018 unter anderem einen Zielmarkt für ein Finanzprodukt nennen müssen.
PRIIP steht für Packaged Retail Investment and Insurance-based Product, also verpacktes Anlageprodukt für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukt.
BIB steht für Basisinformationsblatt, das vorliegen muss, damit ein als PRIIP eingestuftes Produkt an Privatanleger verkauft werden darf.
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Investor-Info
Einzeltitel für Privatanleger
Welche Bonds zu kaufen sind
Um zu prüfen, ob eine Anleihe erhältlich ist, auf www.consorsbank.de/ev/-?docId=5248286 die ISIN eingeben. Steht dort, dass der Bond ein PRIIP ist und kein Basisinformationsblatt (BIB) vorliegt, kann die Anleihe nicht geordert werden - weder bei der Consorsbank noch bei anderen Banken, weil auch diese auf die PRIIP-Einstufung der WM-Gruppe verweisen. Der unten genannte Nachrangbond der Bayern LB ist kein PRIIP und bei Banken wie Consors oder Comdirect erhältlich, da Privatanleger dort auch zum Zielmarkt der Anleihe zählen. Ebenso ist es bei der Nachranganleihe der Deutschen Bank. Dagegen ist die Nachranganleihe der Otto Group ein PRIIP. Weil ein BIB dafür vorliegt, ist sie aber orderbar. Wer meint, eine Systematik bei der PRIIP-Einordnung zu erkennen, freut sich zu früh: Beim Nachrangbond von W & W wird nach dem ersten Call-Termin 2024 aus dem fixen ein variabler Zins, als PRIIP ist der Bond jedoch nicht eingestuft.
Emittent | ISIN | Rendite in % 1) | Laufzeit 2) |
---|---|---|---|
BayerLB | DE000BLB6TU6 | 2,43 | 17.10.28 |
Deutsche Bank | DE000DB7XJJ2 | 2,65 | 17.02.25 |
Otto Group | XS1853998182 | 3,33 | 17.07.25 |
W&W | XS1064049767 | 2,66 | 15.07.24 |
1) bis First Call bzw. Fälligkeit; 2) erster Call-Termin bzw. Fälligkeit bei Deutscher Bank; Stand: 26.04.2019; Quelle: Börse Stuttgart
Aramea Rendite Plus
Fonds für Nachrangbonds
Einen einfachen und bewährten Weg, um breit gestreut in Nachranganleihen zu investieren, bietet der Fonds von Aramea. Auf Sicht von drei Jahren brachte dieser im Schnitt eine Rendite von circa drei Prozent per annum.
Nordea 1 - Europ. Financ. Debt
Bankanleihen im Paket
Mit dem Fonds aus dem Hause Nordea setzen Anleger auf Anleihen, die von Banken oder Versicherern emittiert wurden, vor allem nachrangige Papiere. Binnen drei Jahren gab es im Schnitt rund sieben Prozent Plus per annum.