Doch die Große Koalition betrachtet Wirtschaft als Veranstaltung im Sonnenschein. Das Atmungspotenzial, mit dem deutsche Unternehmen zuletzt die Wirtschaftskrise 2007/08 noch gut meisterten, hat die GroKo in den vergangenen vier Jahren massiv eingeschnürt. Und Martin Schulz will bei der befristeten Beschäftigung noch stärkere Einschränkungen. Dabei ist unsere erfolgreiche deutsche Wirtschaft längst in eine schwierige strategische Sandwichposition geraten zwischen Unbeweglichkeit und Innovationsstarre. Betroffen sind nicht nur große Konzerne, sondern zunehmend mittelständische Unternehmen, häufig auf dem Land. Viele müssen sich von Grund auf neu aufstellen, um in der digitalen Welt bestehen zu können.
Für solche Transformationsaufgaben benötigen sie Nerds, ausgebuffte Softwareentwickler, leidenschaftliche Techies. Doch auch die wollen meist weder eine Festanstellung noch dauerhaft aufs Land. Sie lieben Unabhängigkeit, Freiraum und den richtigen Mix aus mobiler und ortsgebundener Arbeit. Solche Freiheiten geraten nun pauschal unters Rad, weil Nahles & Co die Selbstständigkeit ausmerzen wollen. Selbstbewusste Free-lancer als Kollateralschaden des berechtigten Adressierens menschenunwürdiger Arbeitspraktiken in Schlachtereien und Speditionen. Damit das klar ist: Wer auf der Baustelle, im Supermarkt oder am Fließband tätig ist, soll weder Schutzrechte verlieren noch durch die Hintertür länger arbeiten. Aber wer der Wissens- und Kreativarbeit das Korsett "industrieller Normal-arbeit" anlegt - egal ob Freelancern oder betrieblichen Wissensarbeitern -, schneidet sich in der Ära der Digitalisierung ins eigene Fleisch.
Schon 2006 in meiner Conti-Zeit forderten unsere Entwicklungsingenieure in Markdorf am Bodensee zum Ärger der IG Metall die Freiheit, bei gutem Wetter nachmittags zu segeln und abends zu Hause am PC zu arbeiten: Vertrauensarbeitszeit und -ort. Ich werbe außerdem für eine neue, innovative Führungskultur: Quereinsteiger von außen, Digital-Erfahrene mit Experimentierfreude, die Arbeitswelten reformieren.
Was wir jetzt benötigen: eine Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes für digitale Arbeit, Öffnungsklauseln oder Freiheiten, um selbstverantwortlich Arbeitszeit und Arbeitsort festzulegen oder auf Augenhöhe zu verhandeln. Damit gekoppelt die Option der Abkehr vom sogenannten Normalmodell der Fünf-Tage-Woche mit Sieben- bis Acht-Stunden-Tag und sogenannten Mindestruhezeiten und dafür die flexible Vereinbarung von Arbeitszeit im Rahmen eines Monatskontingents. Eine Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsschutzregeln, die die weite Verbreitung mobiler Arbeit anerkennen, die Verantwortung des Einzelnen stärken, Eingriffe in die Privatsphäre zur Überwachung ausschließen. Und natürlich müssen die ganzen Reglementierungen der Werksverträge und Zeitarbeit an die Bedingungen innovativer Freelance-Arbeit angepasst werden.
Thomas Sattelberger
Der diplomierte Betriebswirt absolvierte seine Ausbildung bei Daimler-Benz, wo er von 1972 bis 1982 arbeitete. Bei MTU war er ab 1982 zuständig für Führungskräfteentwicklung, ab 1994 war er Leiter der Personalentwicklung bei Lufthansa, Personalvorstand bei Continental (2003 bis 2007) und der Deutschen Telekom (2007 bis 2012). Er ist Direktkandidat der FDP für den Bundestag im Wahlkreis München-Süd.