Ariel Lüdi kam 1959 in Wettingen zur Welt. Sein Vater war Betriebsleiter eines Wasserkraftwerks. Er wuchs als "behütetes Mittelstandskind" auf und entdeckte bereits mit 17 Jahren seine Leidenschaft für das Fallschirmspringen. Nach dem Abitur stellte er sich die Frage: Was soll ich jetzt tun? Er hatte keinen Karriereplan. Deshalb ging er erst mal für ein Jahr in die USA, nahm Gelegenheitsjobs an, sammelte auf Flugplätzen die Fallschirme ein oder arbeitete als bewaffneter Sicherheitsbeamter. Alles für einen Hungerlohn. Aber er lernte interessante Menschen kennen: Navy Seals, FBI-Beamte, Sheriffs und Drogenhändler. Er ging sogar eine Scheinehe ein, um länger in den USA bleiben zu können.

Rund 4000 Fallschirmsprünge stehen heute in seinem Logbuch. Und an gefährlichen Zwischenfällen mangelte es nicht: Siebenmal in seiner Karriere als Sky Diver musste er den Reservefallschirm auslösen. "Ohne einen Reservefallschirm wäre ich siebenmal gestorben", sagt er und nennt das seinen "Plan B". Aber in Virginia hätte ein Sprung beinahe mit dem Tod geendet. Sein Fallschirm verhedderte sich mit dem Schirm eines anderen Springers, worauf dieser den Hauptfallschirm kappte und seinen Reserveschirm aktivierte. Lüdi hatte weniger Glück: "Ich konnte nichts tun, weil die beiden halb offenen Fallschirme ineinander verschlungen waren. Deshalb konnte ich auch meinen Reserveschirm nicht öffnen. Mir war klar, dass ich jetzt sterben würde." Er trudelte in die Tiefe, knallte seitlich auf die Betonpiste und kam wie durch ein Wunder mit ein paar Knochenbrüchen davon.

1981 kehrte er in die Schweiz zurück und entschloss sich, an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich Physik zu studieren. Nach drei Semestern war ihm klar, dass das wohl nicht die richtige Entscheidung war. Er rief deshalb seinen Kumpel Urs Frischknecht an, der in Locarno eine Fallschirmspringerschule betrieb, und sagte ihm: "Du musst mir helfen, ich muss hier raus, ich will bei dir als Ausbilder arbeiten."

Abenteuerliches Leben

Lüdi zog nach Locarno, unterrichtete im "Para Centro" jeweils Klassen von meist 25 Schülern. Es war auch seine erste Führungserfahrung. "Ich war halt ein typischer Schweizer", erklärte er später dem Wirtschaftssender "CNN Money". "Ich war eher schüchtern und hatte Mühe, vor einer größeren Gruppe zu sprechen." Hier im "Para Centro" musste er Menschen dazu bringen, ihm zu vertrauen, musste ihnen die Angst vor dem ersten Sprung nehmen und ihnen die Gewissheit geben, dass sie dabei nicht sterben würden.

Gleichzeitig wurde Lüdi zu einem gefragten Stuntman. Für Filmaufnahmen im südafrikanischen Kruger-Nationalpark sprang er zum Beispiel samt einem Klavier aus einer Höhe von 8000 Metern aus einer Transportmaschine. Auch als Sportler erzielte er Erfolge: Er spielte schon im Gymnasium Feldhockey, gewann mit seinem Team 1986 die Schweizer Meisterschaft und war mehrere Jahre lang Torhüter der Schweizer Nationalmannschaft.

Er genoss das abenteuerliche Leben. Aber irgendwann fühlte er sich als Fallschirmausbilder intellektuell unterfordert. Er heuerte bei IBM an, schließlich hatte er damals an der ETH im Nebenfach Programmieren studiert. 1988 wechselte er zu der damals noch unbedeutenden amerikanischen Softwareschmiede Oracle, einem Unternehmen, das 1977 im Silicon Valley von Larry Ellison gegründet worden war. Ellison wurde später zu einem der erfolgreichsten Tycoons in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte - und Oracle zu einem der weltweit größten Softwarehersteller. Lüdi stieg schließlich bei Oracle bis in die Geschäftsleitung auf.

2004 war das Jahr, in dem sich sein Leben verändern sollte. Lüdi setzte auf einen Deal, der ihn schließlich berühmt und reich machen sollte: Ein Schweizer Risikokapitalist investierte damals in das kleine Softwareunternehmen Hybris in Zug und bot Lüdi einen Vorstandsposten an. Doch nach all den Jahren in Kaderpositionen strebte Lüdi jetzt nach mehr: "Ich komme nur, wenn ich CEO werde. Wenn einsteigen, dann richtig." Er hatte den Job und investierte nun sein ganzes Geld in die Firma, die damals zwölf Mitarbeiter hatte und sich auf die Entwicklung von E-Commerce-Plattformen spezialisierte.

Die Geschäfte liefen anfangs nicht gut. Dreimal konnte Lüdi mit Mühe eine Insolvenz verhindern. Aber fünf Jahre später war Hybris Weltmarktführer. Konzerne wie Nespresso, Migros, Carlsberg, Chanel, Nikon, Samsung, Goodyear oder VW nutzen die Software für den Onlineverkauf. "Wir hatten eine Vision, wie sich E-Commerce entwickelt", erklärte Lüdi der Schweizer "Handelszeitung". "Damals dachten alle nur an Websites. Wir setzten früh auf die Integration von Onlineshops, stationären Läden und mobile." 2013 verkaufte Lüdi das Unternehmen, das jetzt bereits 700 Mitarbeiter beschäftigte, für 1,5 Milliarden Schweizer Franken an den Softwareriesen SAP. Der Deal machte Lüdi zu einem der reichsten Schweizer. Er erinnert sich gern an den Moment, als er in Zürich vor dem Einkaufszentrum Globus stand und wusste, dass nun der Transfer des Geldes auf sein Konto bald abgeschlossen sein müsste. "Es war ein ziemlich surrealer Moment, als ich auf meinem Handy im Bankkonto den dreistelligen Millionenbetrag sah."

Start-up-Unterstützer

In der malerisch am See gelegenen Kleinstadt Cham im Kanton Zug fand er ein Landgut aus dem 17. Jahrhundert, in das er sich beim ersten Anblick verliebte. "Für mich ging damit ein Traum in Erfüllung", gestand er später. Ein Ensemble, bestehend aus einer Villa im Stil des französischen Barocks, einem Mühlenhaus, einem Waschhaus, einer Orangerie mit Indoor-Pool, einer Kegelbahn, Pferdestallungen, alles umgeben von einem riesigen, 10 000 Quadratmeter großen Park mit altem Baumbestand, idyllisch am Fluss Lorze gelegen.

Lüdi renovierte nun das Landgut und baute es zu seinem Unternehmenszen­trum und zu einer Wagniskapital-Anlaufstelle für Softwareprojekte aus. Er wurde zu einem der bedeutendsten Schweizer Start-up-Investoren und investierte 30 Prozent seines Vermögens in 21 junge Software-Unternehmen, die er unter dem Brand "Hammer Team" zusammenschloss. Oft bieten ihm große Venture Capitalists Projekte an, die zwar aussichtsreich, für diese aber zu klein sind.

Lüdi, der Abenteurer, der so viel Glück hatte in seinem Leben, fühlt sich dennoch als typischer Schweizer. "Ich lebe zwar in einem schönen Haus, aber ich habe keine teuren Autos, und ich esse nach wie vor liebend gerne Cervelats und Kartoffelsalat." Und er könnte auch heute noch so leben wie damals, als er noch keine Millionen auf dem Konto hatte.