Das Berliner Unternehmen Artnet bezeichnet sich als "die führende Online-Informationsquelle für den internationalen Kunstmarkt". Das krisenbedingt schwächelnde Anzeigengeschäft konnte 2020 durch Internetauktionen weitgehend aufgefangen werden. Allein 70 davon hatte Artnet im vergangenen Jahr initiiert, was der Auktionssparte ein Provisionswachstum von 26 Prozent auf 4,9 Millionen US-Dollar bescherte. BÖRSE ONLINE sprach mit Vorstandschef Jacob Pabst.
Börse Online: Herr Pabst, Ihre Aktie hat während der Corona-Pandemie gut abgeschnitten. Hatten Sie das so erwartet?
Jacob Pabst: Im Gegenteil: Im Februar und März vor einem Jahr, als alles begann, waren wir ratlos. Wir wussten ehrlich gesagt nicht, was für eine Prognose wir für 2020 abgeben sollten. Unsere Befürchtung war, dass die Marktteilnehmer in Schwierigkeiten geraten, weil alles geschlossen ist. Galerien und Auktionshäuser mussten ihre Ausstellungsräume schließen, konnten nicht mehr auf Messen gehen. Die traditionellen Wege, Kunst zu verkaufen, gab es nicht mehr. Deshalb war unsere größte Angst, dass sich das stark auf die Liquidität auswirken würde, dass Rechnungen einfach nicht mehr bezahlt werden.
Aber das hat sich nicht bewahrheitet?
Es hat sich dann im Laufe des Jahres gezeigt, dass der Kunstmarkt immer mehr online abgewickelt wird, woran wir schon lange arbeiten. Das hat sich beschleunigt. Notgedrungen. Davon hat unser Galerienetzwerk in gewisser Hinsicht profitiert, weil Galerien begannen, ihre Objekte online anzubieten. Leider ging das einher mit vielen Galerieschließungen, sodass sich der Effekt etwas ausgeglichen hat. Sie hatten große Probleme, was sich auf unser Anzeigengeschäft ausgewirkt hat. Die bekannten Adressen hatten vor Auktionen immer Anzeigen geschaltet.
Wirkte die Krise wie ein Wendepunkt?
Die Leute haben sich daran gewöhnt, online zu handeln. Sie empfinden es als ganz normal. Das war der Schritt, der uns noch fehlte.
Kann sich der Trend wieder umkehren?
Natürlich wird es wieder Messen geben. Vielleicht nicht mehr ganz so viele wie früher. Aber Messen sind sowohl bei Sammlern als auch Profis sehr beliebt. Auch Galerien wird es immer geben. Sie haben eine wichtige Funktion. Sie entdecken Künstler, fördern sie. Dennoch ist der Wandel der Transaktion von offline zu online ein größerer Trend, der nicht aufzuhalten ist und erst ganz am Anfang steht. Hier wollen wir eine große Rolle spielen. Der andere Bereich ist Content, etwa bei Artnet News. Der Traffic hat sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt.
Was sind Ihre Pläne für Artnet News?
Es ist ein Nachrichtendienst für den Kunstmarkt. Wir haben uns ganz bewusst entschieden, den Markt täglich mit Nachrichten zu versorgen. Das gab es vorher nicht. Wir haben gemerkt, dass bestimmte Inhalte von Usern stark gelesen werden. Diese Inhalte werden in Kürze hinter eine Paywall gestellt. Wir werden das beobachten. Besonders beliebt sind unsere Marktberichte, die auf unseren Daten und Erfahrungen beruhen.
Wird Artnet in zehn Jahren eine Art Ebay des Kunstmarkts sein?
Ebay vielleicht nicht, die haben ja sehr stark nachgelassen, eher Amazon. Online-Transaktionen werden das Hauptgeschäft sein, wobei die Daten auch interessant sind. Daten sind der Kern von Artnet. Wir sind diejenigen, die vor 30 Jahren Transparenz im Kunstmarkt eingeführt haben. Eine derartige Datenmenge hat sonst niemand. Darauf aufbauend kann man derivate Produkte entwickeln.
Um in den Kunstmarkt zu investieren?
Sicher. Man braucht Daten, um Kaufentscheidungen zu fällen. Wenn man das Ganze weiterentwickelt, kann man eine Reihe von Produkten schaffen. Wie genau die aussehen könnten, kann ich aber noch nicht sagen.
Sie haben viele Follower, auf Instagram 1,1 Millionen. Können Sie das ausbauen?
Klar. Es gibt ein großes Interesse an Kunst. Eine Million ist doch nichts. Insgesamt erreichen wir mit unserem Angebot pro Monat fünf Millionen Nutzer. Unser Traffic hat im letzten Jahr um 40 Prozent zugenommen. Und wir können die Bereiche, die an Kunst angrenzen, stärker bearbeiten. Dann wird das automatisch noch viel stärker wachsen.
Was würde angrenzen?
Wein, Uhren, Schmuck, Design.
Artnet wird immer wieder als Übernahmekandidat gehandelt. Was tun Sie, wenn ein entsprechendes Angebot kommt?
Ich kann nichts ausschließen. Es kommt darauf an, wer das Angebot abgibt, welches die Ziele und strategischen Pläne sind, ob es die Firma weiterbringen würde. Das hängt von ganz vielen Faktoren ab. Ich kann nur sagen, dass Derartiges im Moment nicht in der Planung ist oder an mich herangetragen wurde.
Aber in Ihrer Aktionärsstruktur hat sich zuletzt einiges getan.
Es gab zwei größere Transaktionen. Herr Rüdiger K. Weng, bereits seit einem Vierteljahrhundert Aktionär, hat seinen Bestand sukzessive aufgebaut. Er hält jetzt 25 Prozent. Er hat selbst ein Kunsthandelsunternehmen, kommt aber eigentlich aus der Frankfurter Kapitalmarktszene. Wir haben eine große Reichweite, daher sind wir für sein Unternehmen interessant.
Arbeiten Sie mit seiner Firma Weng Fine Art auch operativ zusammen?
Er ist nur ein Aktionär.
Wer war der zweite Käufer?
Sein Name ist Andrew Wolff, er ist Amerikaner und hält aktuell fünf Prozent. Er unterstützt unser Management, weil er an die Zukunft unserer Firma und den digitalen Kunstmarkt glaubt.
Wie viel besitzen Sie mit Ihrer Familie?
Wir liegen aktuell bei 28 Prozent.
Können Sie sich vorstellen, eines Tages eine Dividende einzuführen?
Absolut. Wir haben das in der Vergangenheit nicht gemacht, weil wir alles Geld in die Weiterentwicklung des Unternehmens gesteckt haben. Wir haben keine Schulden, und seit unserem Börsengang mussten wir kein neues Kapital aufnehmen. Wir haben uns vollständig selbst finanziert, obwohl wir ein Geschäft aufgebaut haben. Da wäre es schwierig gewesen, noch eine Dividende auszuschütten. Wir dachten immer, dass das im Sinne aller Aktionäre ist, und wollten sicherstellen, dass wir Marktführer bleiben. Aber wenn wir hohe Gewinne erzielen, können wir eine Dividende zahlen - auch kurzfristig.
Wollen Sie auch nach Asien expandieren?
Ich denke, in ein oder zwei Jahren können wir uns in China umschauen. Das ist ein absolut wichtiger Markt. Wir sind dort bekannt und beliebt. Wir haben auch viele Kunden in China, aber um dort richtig Fuß zu fassen, muss man ein Team aufbauen. Das erfordert viel Kapital.