Es war eine schwierige Geburt, bis Ende des vergangenen Jahres das Abkommen zur Regional Comprehensive Economic Partnership (kurz RCEP) schließlich unterzeichnet wurde. Hinter RCEP, das übersetzt "Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft" bedeutet, verbirgt sich nichts weniger als die größte Freihandelszone der Welt, welche 15 ?Volkswirtschaften, 2,2 Milliarden Menschen und rund ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung umschließt. Mit der Vereinbarung sollen in erster Linie Zölle deutlich verringert oder komplett aufgehoben werden, gemeinsam festgelegte Regeln für den Handel sollen den Warenaustausch erleichtern.
Den Durchbruch brachte schließlich das 37. Gipfeltreffen der zehn ASEAN-Mitgliedstaaten Indonesien, Vietnam, Singapur, Myanmar, Brunei, Laos, Kambodscha, Thailand, Philippinen und Malaysia am 15. November des vergangenen Jahres in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi - nach acht Jahren harter Verhandlungen mit den zukünftigen Partnern China, Südkorea, Japan, Australien und Neuseeland. Sage und schreibe 31 Verhandlungsrunden und 18 Ministertreffen waren der Einigung vorausgegangen, sechs selbst auferlegte Fristen konnten zwischenzeitlich nicht eingehalten werden.
Vor allem China wird von vielen Experten als großer Gewinner des Abkommens bezeichnet, sichert sich die Volksrepublik damit doch Zugang zu einer der am stärksten wachsenden Regionen des Planeten. Mit 640 Millionen Konsumenten stellt das südostasiatische Staatenbündnis die weltweit achtgrößte Wirtschaftsregion und ist nach den USA und China der drittgrößte Handelspartner der Europäischen Union.
Dabei überzeugen die Länder der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) nicht nur mit ihrem riesigen Verbrauchermarkt, sondern vor allem auch mit einer vergleichsweise jungen, mobilen und internetbegeisterten Bevölkerung. Rund ein Viertel der Bewohner Südostasiens ist zwischen 15 und 29 Jahre alt, während der Anteil der über 65-Jährigen derzeit bei weniger als zehn Prozent liegt.
Internet-Shopping immer beliebter
Egal ob in Singapur, Kuala Lumpur, Manila oder Jakarta: Betritt man in einer der südostasiatischen Hauptstädte eine U-Bahn oder ein anderes öffentliches Verkehrsmittel, wird schnell klar, warum die Südostasiaten als engagierteste Smartphone-Nutzer der Welt gelten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verwenden die allermeisten, wenn nicht alle Passagiere ihr Telefon gerade zum Zeitvertreib. Immer häufiger nutzen inzwischen die Südostasiaten ihr Smartphone auch zum mobilen Shopping - ein Trend, der sich mit der Covid-19-Pandemie im vergangenen Jahr nochmals deutlich beschleunigt hat. Je nach Kategorie wurde das Internet zwischen 30 und 50 Prozent häufiger für Online-Einkäufe genutzt. In einer 175 Seiten starken Studie hat die schweizerische UBS nun die spannenden Perspektiven von Internet- und E-Commerce-Unternehmen in der Region unter die Lupe genommen. Nimmt man Indien hinzu, gibt es in Südostasien derzeit gerade rund zwei Milliarden potenzielle Onlinekäufer. Damit dürfte sich das Marktpotenzial der UBS zufolge in der Region von 250 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr bis 2025 auf 800 Milliarden bis 1,1 Billionen US-Dollar vervielfachen. Das entspricht in etwa der Hälfte des heutigen Internetmarktvolumens der USA und China.
Dies sind also glänzende Wachstumsperspektiven für den dominierenden E-Commerce-Player der Region, SEA. Seit BÖRSE ONLINE den Titel Anfang 2019 zu 19 Euro erstmals empfohlen hat, konnte sich der Aktienkurs inzwischen bereits verzehnfachen. Mit einer Marktkapitalisierung von 110 Milliarden US-Dollar ist SEA heute die wertvollste börsennotierte Gesellschaft in der kompletten ASEAN-Region. Ebenso beeindruckend wie die spektakuläre Kursentwicklung sind die Wachstumsraten im operativen Geschäft. Die konzerneigene E-Commerce-Plattform Shopee erreichte im vierten Quartal erstmals einen Bruttoumsatz von mehr als zehn Milliarden US-Dollar, die Nettoumsätze sprangen um 178 Prozent auf 842 Millionen US-Dollar nach oben.
Damit konnte SEA die Markterwartungen signifikant übertreffen. Im Bereich Mobile Gaming fährt die Gesellschaft weiterhin starke Margen ein, hohe Wachstumsraten sehen Analysten außerdem im noch jungen Payment-Segment SeaMoney, in dem das Unternehmen mit seiner digitalen Geldbörse bereits einen Bruttoumsatz von 2,9 Milliarden US-Dollar erreichen konnte. Damit nicht genug: Neben dem geplanten Ausrollen der Fintech-Aktivitäten will SEA künftig auch in den Food-Delivery-Sektor der Region einsteigen und seine Online-Shopping-Plattform Shopee nach Südamerika bringen.
Einhörner streben an die Börse
Während für Investoren derzeit kaum ein Weg an SEA vorbeiführt, spielen andere Internetunternehmen der Region bislang nur eine untergeordnete Rolle. Ihr Anteil an der Marktkapitalisierung des Gesamtmarkts lag im vergangenen Jahr gerade einmal bei 5,5 Prozent. Zum Vergleich: An den US-Börsen liegt der Anteil der Internetgesellschaften mit 12,8 Prozent mehr als doppelt so hoch, in China explodierte der Vergleichswert in den zurückliegenden zehn Jahren von 3,6 auf 42,3 Prozent.
Wenngleich die Möglichkeiten für Direktinvestments in den ASEAN-Internetsektor für Investoren derzeit also noch limitiert sind, sollte sich die Auswahl an börsennotierten Internetunternehmen in den kommenden zwölf bis 24 Monaten jedoch spürbar verbessern. Neben der deutlich ausgeprägten Wachstumsbeschleunigung im operativen Geschäft scheint es vor allem der Erfolg von SEA zu sein, der die IPO-Pläne vieler Gesellschaften reifen lässt. Seit dem Börsengang 2017 konnte SEA bislang 7,2 Milliarden US-Dollar am Kapitalmarkt einsammeln und damit beispielsweise durch Übernahmen den eigenen Marktanteil kräftig ausbauen.
Wettbieten um die Marktführer
Unter den sogenannten Einhörnern, also noch privaten Unternehmen mit einer Bewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar in der vorbörslichen Finanzierungsrunde, haben bereits Grab (2021), Tokopedia (2021), Gojek (2021-2022) und Traveloka (2021-2022) einen Börsengang in diesem oder dem kommenden Jahr angekündigt. Der in acht Ländern aktive Onlinevermittler von Essenslieferungen und Mitfahrgelegenheiten Grab, der sich seit Gründung 2012 zum wertvollsten ASEAN-Start-up mit einer Bewertung von zuletzt 16 Milliarden US-Dollar entwickelt hat, könnte Marktspekulationen zufolge sein IPO an einer US-Börse mit einer Kapitalerhöhung um mindestens zwei Milliarden US-Dollar verbinden. Beim indonesischen Onlinehändler Tokopedia scheint indes noch nicht klar, ob das Unternehmen ein eigenständiges US-Listing anstrebt oder zunächst noch die Idee einer Megafusion mit Gojek weiterverfolgt werden soll.
Internationale Konzerne haben das Wachstumspotenzial in der Region längst erkannt und ihre Fühler nach wachstumsstarken Internetfirmen in Südostasien ausgestreckt. Vor allem US-amerikanische und chinesische Onlinegiganten liefern sich einen regelrechten Wettkampf um die lokalen Marktführer. So ist die Alphabet-Tochter Google mit 6,9 Prozent der zweitgrößte Aktionär bei Gojek und darüber hinaus ebenso in Tokopedia investiert wie Alibaba.
Auf eigene Faust versucht sich derweil Amazon, das 2,85 Milliarden US-Dollar in den Bau von drei Datenzentren in der Westjava-Provinz in Indonesien investiert. Es ist das bislang größte Investment in den indonesischen IT-Sektor. Eine für Anleger spannende Alternative, um in die Wachstumschancen des südostasiatischen Internetmarkts zu investieren, bieten Beteiligungsgesellschaften wie Softbank oder Prosus. So mischt Prosus über seine Beteiligungen in Swiggy und Delivery Hero etwa im Food-Delivery-Sektor der Region kräftig mit. Softbank hingegen verfügt über verschiedene direkte Beteiligungen unter anderem in Tokopedia und Grab.
Auf einen Blick
ASEAN-Staaten
Aufbruch Beim 37. Gipfeltreffen der zehn ASEAN-Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr wurde beschlossen, ein neues Wirtschaftsbündnis auf den Weg zu bringen: RCEP, die größte Freihandelszone der Welt.