Die in Aussicht stehende Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Atomsteuern werde die Bilanz des Energiekonzerns RWE noch transparenter machen und die Liquidität steigern, schrieb Deutsche-Bank-Analyst James Brand in einer Studie vom Donnerstag. Die positivere Einschätzung der Aktie reflektiere zudem eine höhere Bewertung der Ökostrom-Tochter Innogy .

Auch Goldman-Analyst Alberto Gandolfi begründete das neue Kursziel in erster Linie mit der erwarteten Steuerrückerstattung. Aber auch sonst biete RWE viele Chancen. So sei die Tochter Innogy ein potenzieller Übernahmekandidat. Der Experte erwartet zudem gute Zahlen für das erste Halbjahr. Die RWE-Aktie habe daher trotz des jüngsten Kursanstiegs weiter hohes Potenzial. Im Idealfall schätzt Gandolfi dieses auf 65 Prozent. Mit seinen Schätzungen für den diesjährigen Gewinn je Aktie (EPS) liegt er derzeit um 15 Prozent über der Konsenserwartung.

Die Credit Suisse erhöhte das Kursziel von 16,40 auf 17,90 Euro. Damit sieht die Bank im Vergleich zu anderen Instituten aber inzwischen Rückschlagsrisiken. Analyst Vincent Gilles nahm daher sein "Outperform"-Rating zurück und stufte auf "Neutral" ab. Eine Sonderdividende schließt er aber nicht aus.

Mit der Einstufung "Buy" empfiehlt die Deutsche Bank auf Basis der erwarteten Gesamtrendite für die kommenden zwölf Monate den Kauf der Aktie. Goldman SachS rechnet bei Aktien mit der Einstufung "Buy" auf dem aktuellen Kursniveau sowie im Vergleich zu den anderen von der Bank beobachteten Unternehmen aus der gleichen Branche mit einem hohen Renditepotenzial. Die Credit Suisse erwartet gemäß der Einstufung "Neutral" in den nächsten 12 Monaten eine durchschnittliche Gesamtrendite der Aktie im Vergleich zu den anderen von dem Analysten beobachteten Werten derselben Branche-

SCHLAPPE FÜR REGIERUNG



Das Bundesverfassungsgericht erklärte am Mittwoch die zwischen 2011 und 2016 erhobene Kernbrennstoffsteuer für verfassungswidrig und nichtig. E.ON, RWE und EnBW rechnen nun mit Rückzahlungen von insgesamt über sechs Milliarden Euro.

Das Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushalts ist nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel aber nicht bedroht. "Ich gehe davon aus, dass unsere großen Ziele nicht in Gefahr geraten." Mitten im Wahlkampf entbrannte ein Streit darüber, wer für die Schlappe vor Gericht die Schuld trägt.

"Der Bundesfinanzminister wird jetzt das Urteil auswerten und natürlich werden wir es dann auch umsetzen", kündigte Merkel an. Finanzminister Wolfgang Schäuble werde danach "geeignete Vorschläge" machen. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, für den Zeitraum von 2011 bis 2016 würden rund 6,3 Milliarden Euro zurückgezahlt sowie Zinsen. Die Zinsen würden sechs Prozent pro Jahr ausmachen. Ab 2014 fielen allerdings keine Prozesszinsen an, da die Steuerbescheide dann nur noch vorläufig waren.

Eine Gesamtsumme inklusiver Zinsen konnte der Sprecher noch nicht nennen. Es sei aber weder eine neue Steuer als Ersatz notwendig noch ein Nachtragshaushalt. In Regierungskreisen unwidersprochen blieb die Schätzung, dass der Endbetrag, den die Regierung inklusive der Zinsen an die Konzerne überweisen muss, oberhalb von sieben Milliarden Euro liegen dürfte.

BUNDESUMWELTMINISTERIN SPRICHT VON "KOLOSSALEM ÄRGERNIS"



Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bezeichnete den Gerichtsentscheid als "kolossales Ärgernis", für das die schwarz-gelbe Vorgängerregierung verantwortlich sei. "Sie ist das Ergebnis des Chaos, das Union und FDP in der Atompolitik angerichtet haben." Die Steuer sei 2010 eingeführt worden, um die Laufzeitverlängerungen für AKW akzeptabler zu machen. Die Sozialdemokraten sehen in Finanzminister Schäuble den Schuldigen. "Es ist bitter, dass nun Rückzahlungen in Milliardenhöhe entstehen", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Carsten Schneider. Das vom Verfassungsgericht als grundgesetzwidrig eingestufte Gesetz zur Kernbrennstoffsteuer sei "Schäubles Gesetz, gesät voller handwerklicher Fehler".

An der Börse hatte man mit einem so eindeutigen Urteil nicht gerechnet. "Jetzt können sich E.ON und RWE über einen Geldsegen freuen, der ihnen bei der Restrukturierung sicher gerade recht kommt", sagte ein Händler. Die Aktien von RWE schossen zeitweise um 6,3 Prozent auf 19,70 Euro in die Höhe. Damit notierten sie so hoch wie seit knapp zwei Jahren nicht mehr. E.ON-Papiere legten um 5,6 Prozent auf ein Zehn-Monatshoch von 8,50 Euro zu.

E.ON RECHNET INKLUSIVE ZINSEN MIT ÜBER DREI MILLIARDEN EURO



Allein E.ON hatte rund 2,85 Milliarden Euro an Atomsteuern gezahlt. Der Konzern rechnet nun bei deren Rückerstattung zusätzlich mit Zinsen von rund 450 Millionen Euro. Das werde sich positiv auf den Konzernüberschuss und die Nettoverschuldung auswirken. Mit dem Geld will E.ON seine Bilanz stärken. Über einzelne Maßnahmen werde später entschieden. "Über eine etwaige Mittelverwendung gebe es derzeit keinen Beschluss", betonte auch RWE. Der Konzern hat nach eigenen Angaben 1,7 Milliarden Euro an Kernbrennstoffsteuer gezahlt und erwartet zusätzlich Zinszahlungen von rund 200 Millionen Euro. EnBW hatte 1,44 Milliarden Euro an den Fiskus gezahlt.

Die von der Energiewende gebeutelten Versorger können den Geldsegen gut gebrauchen. Sie haben in den vergangenen Jahren Milliardenverluste eingefahren. Zudem müssen sie im Sommer für die Einigung bei der Atommüll-Lagerung Milliardensummen in einen staatlichen Fonds einzahlen.

Die Bundesregierung hatte nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Danach soll der letzte deutsche Meiler Ende 2022 vom Netz gehen. Hierfür hatten E.ON, RWE & Co und der schwedische Vattenfall-Konzern milliardenschwere Entschädigungen gefordert. Vor dem Bundesverfassungsgericht hatten sie im Dezember aber nur einen Teilerfolg erzielt. Sie sollen demnach für zwischen 2010 und 2011 getätigte Investitionen entschädigt werden. Zweistellige Milliardenbeträge - wie von den Konzernen gefordert - dürfte es aber nicht geben.

STAAT DARF STEUERN NICHT EINFACH ERFINDEN



In der Urteilsbegründung des obersten deutschen Gerichts hieß es: "Außerhalb der durch das Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzordnung haben Bund und Länder kein Steuererfindungsrecht", die Brennelementesteuer sei keine Verbrauchssteuer, sondern eine Produktionssteuer. Denn sie setze an dem Verbrauch von Brennelementen bei der Herstellung von Atomstrom an. Deshalb zog der Zweite Senat unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle das Fazit: "Nach diesen Maßstäben ist die Kernbrennstoffsteuer keine Verbrauchsteuer."

Das Finanzgericht Hamburg hatte die Rechtmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer bezweifelt und deshalb das Gesetz den Verfassungsrichtern zur Prüfung vorgelegt. Der Fall geht jetzt an das Finanzgericht Hamburg zurück. Das wird nach den Karlsruher Vorgaben die Rückerstattung regeln. (AZ: 2 BvL 6/13)

rtr/dpa-AFX