Ja, es stimmt. E-Mails können ganz schön nerven. Sie kosten Zeit und lenken ab. Komplett darauf verzichten können trotzdem nur die wenigsten Menschen. Thierry Breton ist eine der wenigen Ausnahmen. Er hat dieser Form der Kommunikation rigoros abgeschworen. Eine Entscheidung, die deshalb überrascht, weil Breton Chef von Atos ist. Das ist nicht irgendeine Würstchenbude, sondern ein französischer IT-Dienstleister, der anderen Unternehmen hilft, mit der Digitalisierung des Wirtschaftslebens klarzukommen.

Breton ist folglich alles andere als technikfeindlich. Dennoch stufte er die tägliche E-Mail-Flut als so bremsend für die Produktivität ein, dass er im Februar 2011 das Ziel ausgab, innerhalb von drei Jahren konzernweit ohne elektronische Post (auf Französisch "courrier électronique" oder kurz "courriel") auszukommen. Ganz erreicht hat er diese Vorgabe zwar auch fast sechs Jahre später noch nicht. Aber das E-Mail-Volumen bei Atos sank immerhin um rund 60 Prozent.

Die wichtigste Botschaft dabei aus Anlegersicht: Der interne Kampf gegen E-Mails hat dem Unternehmen nicht geschadet. Möglicherweise hat sich sogar der erhoffte fördernde Effekt auf die Produktivität eingestellt. Geschäftlich läuft es jedenfalls gut, wie die Halbjahreszahlen bewiesen. Der Umsatz kletterte um 17,9 Prozent auf knapp 5,7 Milliarden Euro, der Nettogewinn um 66,9 Prozent auf 205 Millionen Euro. Breton, der früher auch mal zwei Jahre lang in Frankreich Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie war, ist zufrieden mit dem Zahlenwerk: "Ich bin stolz auf die Dynamik, die wir in den ersten sechs Monaten kreiert haben, angesichts eines Anstiegs bei den Neuaufträgen von 24 Prozent, rekordhohen Umsätzen, einem starken Cashflow-Plus von 74 Prozent und einem Gewinn je Aktie, der viermal so schnell zugelegt hat wie die Umsätze."

Weil er durch den Brexit lediglich einen sehr begrenzten negativen Einfluss auf die eigenen Geschäfte erwartet, rechnet Frankreichs IT-Leitwolf auch im zweiten Halbjahr mit einem starken Geschäftsverlauf. Konkret soll der Umsatz im Gesamtjahr jetzt um elf Prozent steigen, statt wie bisher anvisiert um acht Prozent. Die operative Marge soll bei mindestens 9,2 Prozent liegen (bisher neun Prozent). Beim freien Cashflow lautet die Vorgabe "mehr als" statt zuvor "rund" 550 Millionen Euro. Die breite Aufstellung des Konzerns, der fast 100 000 Mitarbeiter in 72 Ländern beschäftigt und in seiner heutigen Form aus der 2011 erfolgten Übernahme der Siemens IT Solutions and Services GmbH durch Atos Origin entstand, lässt auch über das laufende Jahr hinaus auf gute Geschäfte hoffen. Denn für die Kunden geht es darum, sich für das digitale Zeitalter fit zu machen - und da ist Atos bestens positioniert. Unter anderem unterstützen die Franzosen andere Firmen welt- und branchenumspannend mit Beratungsleistungen und Systemintegration, Outsourcing sowie Cloud-, Big-Data- und Sicherheitslösungen. Hinzu kommen Services der Tochtergesellschaft Worldline, europäischer Marktführer für Zahlungs- und Transaktionsdienste. Im Hauptgeschäftsfeld Managed Services & IT-Outsourcing zählt man zu den führenden Anbietern weltweit.



Positive Analystenstimmen



Wie aussichtsreich die Anlagestory einzustufen ist, zeigt sich an den Analystenschätzungen. Ihre Konsensprognose umfasst einen von 2015 bis 2020 kontinuierlich von 10,7 Milliarden auf über 12,5 Milliarden Euro steigenden Umsatz. Der Gewinn je Aktie soll gleichzeitig sogar noch deutlicher von 5,93 Euro auf 9,57 Euro steigen. Für 2018 bewegt sich die Vorhersage beim Ergebnis je Aktie bei acht Euro. Daraus ergibt sich ein als moderat zu bezeichnendes Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter zwölf.

Die jüngsten Unternehmensnachrichten überzeugten auch die Analysten von Kepler Cheuvreux und Natixis. Beide Häuser setzten die Atos-Aktie auf die hauseigenen Empfehlungslisten. Versehen sind die jeweiligen Kaufempfehlungen mit Kurszielen von 112 und 115 Euro. Eine Erwartungshaltung, die sich mit der von BÖRSE ONLINE deckt. Neben positiven Nachrichten und einer langfristig intakten Investmentstory kann die Aktie mit einer moderaten Bewertung aufwarten. Auch die charttechnische Situation sieht grundsätzlich sehr gut aus, wenngleich der große Abstand zur 200-Tage-Durchschnittslinie dafür spricht, dass es über kurz oder lang zu einer Konsolidierung kommen könnte. Bei dem in der vorigen Woche markierten neuen Rekordhoch von 96,15 Euro hatte der Titel beim Börsenwert übrigens erstmals knapp die Schwelle von zehn Milliarden Euro geknackt. Hält die Aufwärtsbewegung an, könnte die seit 1995 börsennotierte Gesellschaft demnächst sogar zu einem Kandidaten für den Aufstieg in den Leitindex CAC 40 avancieren.

Kommt es dazu, wird Vorstandschef Breton über irgendeinen Kommunikationsweg davon erfahren. Nur bitteschön nicht per E-Mail.