Für Europas Börsen war 2019 ein gutes Jahr. Der Stoxx Europe 600 Performance Index mit den 600 größten europäischen Unternehmen kommt derzeit auf ein Plus von rund 24 Prozent. Nach dem überaus schwachen vierten Quartal 2018 hätten das vermutlich die wenigsten für möglich gehalten. Zumal es auch in diesem Jahr viele Kursbremsen gab: Handelsstreitigkeiten, die maue Konjunktur in der EU und sinkende Gewinnerwartungen der Unternehmen. Und nicht zu vergessen natürlich die unendliche Geschichte des Brexit - auch wenn sich hier nach der Parlamentswahl und dem deutlichen Sieg von Boris Johnson offenbar endlich etwas bewegt.

Die gestiegenen Kurse sind aber nicht zuletzt auf die wieder expansiver agierenden Notenbanken zurückzuführen, und ein Ende der stützenden Geldpolitik ist nicht in Sicht. Zudem waren Ende 2018 die Bedenken der Anleger bereits in den Kursen eingepreist. Als sich die schlimmsten Befürchtungen nicht erfüllten, sprangen die Notierungen wieder an. Vor allem die in Europa extrem niedrigen Anleiherenditen ließen Aktien attraktiv erscheinen. Aktuell sind die im Schnitt über den Anleiherenditen liegenden Dividendenrenditen von 3,5 Prozent noch immer ein echtes Kaufargument.

Im internationalen Vergleich zeigt sich zudem ein ordentlicher Bewertungsabschlag. Besonders deutlich machen das die Kurs-Buchwert-Verhältnisse. Beim Stoxx Europa 600 etwa bewegt sich dieses für 2019 beim 1,8-Fachen. Die Multi­plikatoren für die Indizes S & P 500 und den MSCI World betragen das 3,4- beziehungsweise 2,5-Fache. Als Kontraindikator ebenfalls positiv zu sehen ist die fehlende Euphorie unter den Anlegern. Trotz diesjähriger Hausse ist aus europäischen Aktien-ETFs sogar Kapital abgeflossen.

Fiskalpolitik soll ankurbeln


Ein wenig Mut machen die jüngsten Konjunkturdaten. Denn diese deuten auf eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau hin. So ist die Erwartungskomponente beim Sentix-Konjunkturindex, der die wirtschaftlichen Einschätzungen von Anlegern misst, erstmals seit 21 Monaten nicht mehr negativ. Insgesamt sind die Wachstumserwartungen aber nach wie vor bescheiden. So dürfte die Wirtschaft in Europa auch 2019 nur um 1,1 Prozent zulegen. Das ist absolut betrachtet wenig und im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Auch deshalb sprechen sich professionelle Marktteilnehmer vermehrt für eine ebenfalls expansivere Fiskalpolitik aus. Noch zieren sich Europas Politiker zwar, aber bei steigendem Leidensdruck könnte es irgendwann zu entsprechenden Beschlüssen kommen.

All das bedeutet aber nicht, dass Anleger sich keine Sorgen machen müssen. Die Risiken sind noch immer beträchtlich. Sowohl Stimmung als auch Kurse können jederzeit wieder absacken. Läuft es allerdings gut, hat Europa laut der Investmentbank Morgan Stanley die Chance auf eine Bewertungsexpansion. Die Charttechnik stimmt recht zuversichtlich. Der Index Stoxx ­Europe 600 ist auf Rekordjagd.

Favoritenquintett


Eine Vorreiterrolle in Sachen Rekordjagd nimmt die Schweizer Börse ein. Absolut Spitze unter den Einzelwerten ist die Also Holding. Der Schweizer IT-Logistiker wandelt sich zum Technologieanbieter. Bei der Ausweitung der Aktivitäten ist Also auf einem guten Weg. Dafür spricht auch ein diesjähriges Plus von 47 Prozent. Der Vorstand hat zudem eine deutliche Steigerung der Rendite auf das eingesetzte Kapital versprochen. Wir erhöhen unser bisheriges Kursziel.

Als zweiten Technologietitel werfen wir STMicroelectronics in die ­Waagschale. Bereits in Ausgabe 47/2019 hatten wir geschrieben, dass der niederländische Halbleiterhersteller dank der Lösungen für Elektromobilität, Hybrid und Batterie­elektrofahrzeuge gut positioniert ist. Die Neubewertung des Titels nahm seitdem zwar weiterhin Fahrt auf, verglichen mit anderen Branchenvertretern ist im Schnitt aber noch ein Bewertungsabschlag zu konstatieren. Dieser sollte sich weiter verringern, zumal Zusatzgeschäft in China winkt, das noch nicht in den Konsensschätzungen der Analysten steckt. Auch hier heben wir das Kursziel an.

Die zuvor skizzierte Option auf einen verstärkten Einsatz der Fiskalpolitik bringt uns zu den nächsten beiden Empfehlungen. Diese Werte laufen bereits im aktuellen Umfeld gut, zusätzliche fiskalpolitische Effekte sind nur willkommenes Zubrot. Der erste Favorit heißt Eiffage und ist ein französischer Bau- und Infrastrukturkonzern. Der Firma trauen wir derzeit moderate, aber stetige Gewinnverbesserungen zu. Das Risikoprofil ist als relativ gering einzustufen. Die Börse belohnt das mit frischen Mehrjahreshochs.

Unser zweiter Tipp ist Prysmian. Mit neuem Mehrjahreshoch kann das im Bereich Entwicklung, Konzeption, Herstellung, Vertrieb und Installation von Kabeln tätige italienische Unternehmen zwar noch nicht aufwarten, aber was nicht ist, sollte noch werden. Denn hier zeichnen Ausgaben für europäische Strom­übertragungsnetze und Glasfaserkabel für rund 60 Prozent des Betriebsgewinns verantwortlich. Laut der Schweizer Großbank Credit Suisse winken beim europäischen Stromübertragungsgeschäft auf mittlere Sicht kräftige Wachstumsraten, zumal immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen in das Netz integriert wird. Eine zunehmende Nutzung von Daten und eine zurzeit noch geringe Durchdringung sollten darüber hinaus die Nachfrage nach Glasfaserkabeln weiter ankurbeln. Bei einem vom Analystenkonsens für 2022 auf 2,14 Euro taxierten Gewinn je Aktie scheint der Titel günstig.

Eine zugegeben eher spekulative Wette ist das Unternehmen Opap. Der griechische Anbieter von Lotto- und Sportwetten verdient ordentlich Geld. Das Marktforschungsunternehmen Edison Research sieht das Ergebnis je Aktie von 2018 bis 2020 von 52 auf 69 Cent steigen. Außerdem soll laut Schätzung für 2019 eine satte Dividende je Anteilschein von 92 Cent ­fließen.