Die Märkte rechnen mit weiterem Jumbo-Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten – aber spielen schon ein anderes Szenario. Von Wolfgang Ehrensberger

Wegen anhaltend hoher Inflationsraten wird die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer heutigen Sitzung nach Einschätzung der meisten Experten eine weitere kräftige Leitzinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte beschließen. Der Leitzins würde dann auf 2,00 Prozent steigen. Der Einlagensatz wird laut Prognose auf 1,50 Prozent erhöht.

Hintergrund sind die anhaltend hohen Inflationsraten im Euro-Raum von zuletzt 9,9 Prozent im September.

Die EZB will insbesondere verhindern, dass sich die Inflationserwartungen verfestigen und sich immer weiter vom Inflationsziel der EZB von zwei Prozent entfernen. Die euorpäischen Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde hatten bereits auf ihrer Ratssitzung im September einen Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten vollzogen.

Experten erwarten zudem, dass die Notenbank auf der Sitzung beschließen wird, die Extra-Gewinne der Banken zu beschneiden, die ihnen aufgrund früherer supergünstiger Langfristig-Kreditspritzen der EZB derzeit zufließen. Darüber hinaus könnten die Währungshüter auch über einen künftigen Abbau der Notenbank-Bilanz beraten, die im Zuge der Anleihen-Kaufprogramme der vergangenen Jahre inzwischen auf rund neun Billionen Euro angeschwollen ist. Einige EZB-Ratsmitglieder hatten sich bereits dafür ausgesprochen, ein Abschmelzen der hohen Anleihenbestände ins Auge zu fassen. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte das beispielsweise zuletzt gefordert.

Die heutige Sitzung ist die vorletzte in diesem Jahr. Am 15. Dezember kommen die Währungshüter zu ihrer letzten Sitzung zusammen. Auch hier wird mit einem weiteren kräftigen Zinsschritt gerechnet.

IWF-Chefin Kristalina Georgiewa hat die Notenbanken zu weiteren Zinsschritten aufgefordert. Die Zinsen müssten in den sogenannten „neutralen Bereich“, der die Konjunktur weder antreibt noch bremst, sagte Georgiewa der Nachrichtenagentur Reuters.

Dagegen rechnen einige Marktteilnehmer damit, dass die EZB und insbesondere die US-Notenbank Fed auf ihren nächsten Sitzungen bei den Zinsschritten den Fuß etwas vom Gas nehmen könnten. Dies hatte insbesondere dem Aktienmarkt in den vergangenen Tagen neuen Auftrieb gegeben.