Noch im Sommer galt die Billion als Maßzahl des Erfolgs bei US-Tech-Aktien. Der Marktwert von Apple übertrat diese Schwelle im August, Amazon folgte im September.

Wenige Monate später ist die Billion zur Maßzahl des Niedergangs geworden: Die Einbußen an Marktkapitalisierung bei Unternehmen wie Facebook, Amazon, Apple, Netflix oder Google summieren sich seit ihren Höchstständen inzwischen ebenfalls auf rund eine Billion Dollar. Der Schwund an Marktkapitalisierung entspricht der jährlichen Wirtschaftsleistung eines Schwellenlands wie Mexiko oder der Türkei.

Parallelen zur Dotcom-Blase



Zuletzt hat sich der Ausverkauf noch beschleunigt. Vor allem am vergangenen Dienstag verloren die Technologietitel auf breiter Front. Seit ihren Höchstständen im Oktober haben Apple und Amazon rund 280 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung eingebüßt, Facebook rund 240 und Google rund 160 Milliarden Dollar. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Geschäftsmodelle vieler Tech-Konzerne sind konjunktursensibel. Schwächere globale Konjunkturerwartungen, die Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed, aber auch der Handelskonflikt zwischen den USA und China haben den Markt geschwächt und zu Gewinnmitnahmen geführt, befeuert von vorsichtigeren Ausblicken wie zuletzt bei Apple. Der Konzern sieht -Geschäftseinbußen im vierten Quartal, spekuliert wurde auch über Produktionskürzungen.

Ob die Korrektur der TechWerte nur ein Ausrutscher ist oder ein noch größerer Einbruch droht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Schon werden Parallelen zum Platzen der sogenannten Dotcom-Blase im Jahr 2000 gezogen. Auch damals haben führende Tech-Konzerne wie AOL, Dell, Cisco, Intel, Microsoft oder Oracle den Aktienmarkt dominiert. Nach dem Absturz waren sie zum Teil deutlich günstiger als viele so-genannte defensive Titel.

Experten wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer (siehe Seite 2), Carsten Mumm, Chefvolkswirt von Donner & Reuschel (siehe Seite 3), oder Postbank-Chefstratege Heinz-Gerd Sonnenschein sehen kurzfristig weitere Belastungsfaktoren für Tech-Werte, wie eine Umfrage von der BÖRSE ONLINE-Schwesterzeitschrift €uro am Sonntag ergab. Dazu zählen eine Eskalation des Handelskriegs, Wachstumsschwäche in China, Zuspitzungen im Brexit-Streit oder der Italien-Krise.

Einen Vergleich zum Jahr 2000 halten die drei aber für überzogen. "Das Kurs-Gewinn- Verhältnis (KGV) der an der US-Technologiebörse Nasdaq notierten Unternehmen lag auf dem Höhepunkt der Internetblase im Jahr 2000 bei 80", erläutert Commerzbank-Experte Krämer. "In der jüngsten Korrektur ist es von 22 auf 18 gefallen." Mit Blick auf diese Bewertung stünden die Chancen auf eine Tech-Stabilisierung gut.

Verlockende Bewertungen



Zunächst aber könnten die genannten Risikofaktoren Investoren weiter abschrecken. Defensive Aktien könnten sich dann besser entwickeln als die Technologiewerte. "In meinem Szenario einer schrittweisen Stabilisierung der chinesischen Konjunktur sollten Tech-Aktien aber im Verlauf von 2019 wieder an Dynamik gewinnen", glaubt Krämer. Carsten Mumm von Donner & Reuschel hält die Geschäftsmodelle vieler Tech-Unternehmen vor allem langfristig weiter für aussichtsreich, da sie auf Megatrends wie Digitalisierung und Robotik basierten und enorme Skalen- und Netzeffekte ermöglichten. "Unter langfristigen Gesichtspunkten bieten sich daher große Chancen, selbst wenn es kurzfristig noch weiter nach unten gehen könnte."

Heinz-Gerd Sonnenschein rät mit Blick auf das deutlich eingetrübte Sentiment für die Branche dazu, vorerst abzuwarten. "Trotz niedrigerer Kurse und im historischen Vergleich meist attraktiver KGV-Bewertungen sollte erst in einem verbesserten Umfeld ein Einstieg in Aktien des Tech-Sektors erwogen werden." Außerdem gelte noch immer die alte Regel, besser nicht in ein fallendes Messer zu greifen.

Auf Seite 2: Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer - "Facebook, Apple, Amazon & Co. sollten 2019 wieder an Fahrt gewinnen"





Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: "Facebook, Apple, Amazon & Co. sollten 2019 wieder an Fahrt gewinnen"



Die größten US-Technologiekonzerne haben zuletzt mehr als eine Billion Dollar Börsenwert verloren. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, erläutert gegenüber BÖRSE ONLINE, warum er nicht an einen nachhaltigen Kursverfall glaubt.

BÖRSE ONLINE: Rechnen Sie damit, dass sich der Kursverfall bei den Technologiewerten fortsetzt?


Jörg Krämer: Die Unternehmensgewinne der Unternehmen an der US-Technologiebörse Nasdaq haben sich seit 2009 vervierfacht. Das Kursgewinn-Verhältnis, welches auf dem Höhepunkt der Internet-Blase im Jahr 2000 bei 80 lag, ist in der jüngsten Korrektur von 22 auf 18 gefallen. Vor dem Hintergrund dieser Bewertung haben der Technologietitel nun gute Chancen, sich zu stabilisieren.

Bietet das aktuelle Kursniveau also bereits Einstiegschancen bei Tech-Werten?


Für Investoren, die auf langfristige Trends wie E-Commerce oder E-Mobilität setzen möchten, bieten Kursrückgänge von 15 bis 20 Prozent in der Tat regelmäßig Chancen, Positionen aufzustocken. Jedoch sollten Investoren bedenken, dass beispielsweise der Handelskrieg zwischen den USA und China oder die Brexit-Diskussion für zwischenzeitliche Rückschläge sorgen können.

Was halten Sie davon, sich im aktuellen Umfeld zunächst stärker auf defensive, klassische Substanzwerte zu konzentrieren?


Je länger Risikofaktoren wie der Handelskrieg oder die Wachstumsabschwächung in China die Investoren lähmen, desto länger werden sich defensive Aktien besser entwickeln als beispielsweise Technologiewerte. In meinem Szenario einer schrittweisen Stabilisierung der chinesischen Konjunktur sollten Tech-Aktien aber im Verlauf von 2019 wieder an Dynamik gewinnen.



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Carsten Mumm, Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel: "Tech-Korrektur bietet große Chancen"



BÖRSE ONLINE: Halten Sie es angesichts der Korrektur bei den Technologietiteln für sinnvoll, sich jetzt stärker auf defensive, klassische Substanzwerte zu fokussieren?


Carsten Mumm: Derzeit entwickeln sich defensive Titel in der Tat besser, vor allem relativ, weil stärker wachstumsorientierte Unternehmen deutlicher korrigieren. Wir halten aber erst dann einen stärkeren Fokus auf defensive Sektoren für sinnvoll, falls sich die konjunkturelle Entwicklung im kommenden Jahr drastisch abschwächen sollte, etwa als Folge einer Eskalation beim Handelskrieg. Eine solche Eskalation ist aber nicht unser Basisszenario.

Bietet das aktuelle Kursniveau Einstiegschancen für Techwerte?


Zumeist profitieren die Techwerte von Megatrends, durch die viele Geschäftsmodelle noch jahrelang getragen werden. Vor allem die Digitalisierung und die Robotik werden die Arbeitswelt, Unternehmen und unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren noch nachhaltig verändern. Soziale Medien nutzen enorme Skalen- und Netzeffekte und sind zudem teilweise wenig konjunkturabhängig. Unter langfristigen Gesichtspunkten bieten sich daher große Chancen, selbst wenn es kurzfristig noch weiter nach unten gehen könnte.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?


Es wirken derzeit zwei Effekte. Einerseits sind gerade die US-Technologieaktien seit Jahren nahezu ohne größere Rücksetzer gestiegen. In diesem Zuge sind auch die Bewertungen dieser Aktien deutlich über das allgemeine Marktniveau angestiegen. Eine Korrektur war nach einer solchen Bewegung überfällig. Zudem sind derzeit die grundsätzlich noch guten Perspektiven für die internationalen Aktienmärkte durch politische Störfeuer überlagert, vor allem durch den Handelskrieg. Der allgemeinen Marktschwäche konnten sich zuletzt dann auch die Technologieaktien nicht mehr entziehen.

Wie lange wird sich dieser Trend fortsetzen?


Entscheidend für die kurzfristigen Aussichten der internationalen Aktienmärkte sind die weiteren Entwicklungen in Italien, rund um den Brexit und vor allem beim Handelskrieg. Solange sich nicht bei mindestens einem dieser Themen lösungsorientierte Fortschritte ergeben, wird die allgemeine Marktschwäche anhalten.