Im vergangenen Jahrzehnt kam es bei den globalen Automobilwerten immer wieder zu markanten Kurseinbrüchen (europäische Staatsschuldenkrise 2011/12, Schwäche in China 2015 sowie der anhaltende Diesel-Skandal seit 2018).

Der aktuelle Rückgang dieses Aktiensektors bewegt sich bislang in ähnlichen Dimensionen. Ob das bereits eine zyklische Kaufgelegenheit darstellt, dieser Fragen gehen die Raiffeisen Research-Analysten Valentin Hofstätter, Andreas Schiller und David Oelzant in einer aktuellen Studie nach.



Krise als Chance



Zu Beginn ihrer Überlegungen erinnern die Experten zunächst daran, dass Rezessionen üblicherweise Kaufgelegenheiten am Aktienmarkt sind. Wie es weiter heißt, befindet sich "nur" der Industriesektor in einer Rezession. Die breite Wirtschaft - sprich Dienstleistung und Bau - wachse nach wie vor, dort gebe es weder Rezession noch besonders günstige Aktienmarkt-Sektoren, die bereits eine Rezession einpreisen würden.

Der Autosektor (in der Studie hat Raiffeisen Research vor allem den europäischen Sektor im Fokus) sei dabei das Epizentrum der aktuellen Industrie-Rezession. Vor diesem Hintergrund stellten sich die Fragen, ob der europäische Automobilsektor bereits entsprechend tiefe Aktienniveaus erreicht habe, die erstens die aktuelle Rezession ausreichend einpreisen, die zweitens üblicherweise im historischen Vergleich eine Kauf-Gelegenheiten darstellten und sie drittens bereits Anzeichen einer Trendwende nach oben beinhalten bzw. was zu beobachten sei, dass man davon sprechen könne?

Globale Industrie-Rezession

Seit Beginn 2018 befindet sich die globale Industrie nach Angaben von Raiffeisen Research in einem signifikanten Abwärtstrend, der bei den meisten Ländern mittlerweile deutliche Rezessionsniveaus erreicht hat. Zwar gebe es in China bereits erste Anzeichen einer Trendwende - allerdings fehlten diese in den USA und Europa nach wie vor. Hierfür bedürfe es aber zumindest einer Trendumkehr bei den (nach wie vor fallenden) Industrie-PMIs (Einkaufsmanagerindizes).



China - erste Anzeichen einer Trendwende



China sei nicht nur der erste große Markt gewesen, in dem der Automobilsektor frühzeitig zur Schwäche neigte, sondern auch das erste Land in dem der wichtige Industrie-PMI unter die Expansionsgrenze von 50 abrutschte. Raiffeisen Research sieht darin eine gewisse Kausalität: Die Schwäche in der chinesischen Industrie habe anschließend global ausgestrahlt und bereite insbesondere den europäischen Autobauern, für die China inzwischen ein sehr wichtiger Absatzmarkt geworden ist, vor allem in Anbetracht der hausgemachten Probleme (z.B. Diesel-Skandal) zusätzliche Schwierigkeiten.

Für eine Erholung des globalen Autosektors halten die Analysten dementsprechend China für einen wichtigen (und tendenziell vorlaufenden) Indikator und Einflussfaktor. Während sich der Einbruch der Fahrzeugproduktion in China nach wie vor beschleunige (-17 Prozent p.a.!), scheine sich der Einbruch bei den Verkaufszahlen 2019 zumindest auf tiefem Niveau stabilisiert zu haben.

Hier müsse sich in den nächsten Monaten zuerst eine Verbesserung einstellen, bevor man für den chinesischen und in weiterer Folge globalen Automarkt wieder optimistischer werden könne.



Fahrzeugverkäufe weiterhin schwach



Die Schwäche des Automobilsektors und fallende Absatzzahlen für Fahrzeuge aller Art sei 2018/2019 ein globales Phänomen gewesen. Diese Schwäche finde sich sowohl in den etablierten Regionen USA und Europa, aber auch in den für die Industrie äußerst wichtigen Absatzmärkten China und (besonders deutlich) Indien.

Insbesondere China aber auch im zunehmenden Maße Emerging Markets wie Indien hätten über die vergangenen Jahre für viele globale Hersteller die wichtigsten Wachstumsmärkte dargestellt.



Deutsche Autoproduktion

Dass der chinesische Automarkt für die europäischen Hersteller (in Summe) eine wichtige Größe ist, zeigt laut Raiffeisen Research die Grafik Deutsche Autoproduktion - China als Vorlaufindikator? recht anschaulich. Die Analysten halten es für keinen Zufall, dass der Fahrzeugverkauf in China (p.a. Wachstum) stark mit der Fahrzeugproduktion in Deutschland (absolute Stück) korrelier.

Der Vorlauf sein dabei unterschiedlich, aber gerade beim letzten Einbruch ab 2018 hätten die chinesischen Verkaufszahlen einen deutlichen Vorlauf auf die deutsche Autoproduktion gehabt. In Anbetracht der jüngsten Stabilisierung in China, scheint den Experten kein weiteres Abrutschen der deutschen Autoproduktion in den nächsten Quartalen und somit das Tief nahe dem aktuellen Niveau naheliegend.



Verbraucherkredite versus Import-PMI



Einer der Gründe, warum die chinesischen Konsumenten (trotz immer noch relativ niedriger Verbreitung von Autos unter der Bevölkerung) in letzter Zeit weniger Automobile gekauft habe, finde sich in dem Vorgehen der chinesischen Regierung gegen die ausufernden Kredite.

Wie man in der Grafik China - Verbraucherkredite versus Import-PMI sehe, habe die Veränderungsrate der Volumen der Verbraucherkredite an Haushalte einen guten Vorlauf auf die Importkomponente des chinesischen Einkaufsmanagerindex (PMI). Die chinesischen Konsumenten nähmen zurzeit keine Kredite auf, um den Kauf (ausländischer) Autos zu finanzieren.

Eine Trendwende hin zu wieder steigendem Kreditwachstum lasse sich in der Grafik noch nicht beobachten - hier könne noch keine Entwarnung für den Auto-Zyklus gegeben werden.



Schlimmer als 2009



Allein das schiere Ausmaß des bereits erfolgten Einbruchs lege nahe, dass sich die deutsche Autoproduktion nahe dem Tiefpunkt befindet und somit das weitere Abwärtspotenzial beschränkt erscheine.

Aktuell liege die deutsche Fahrzeugproduktion unter dem Tief, dass nach der globalen Bankenkrise 2009 im Zuge der globalen Rezession erreicht wurde - damals der schärfste globale Konjunktureinbruch seit mehreren Jahrzehnten!



Relative Performance



In den vergangen zehn Jahren habe die relative Aktienmarkt-Performance des europäischen Automobilsektors gegenüber dem Gesamtmarkt zwischen +/- 20 Prozent gependelt. Nur in der "Großen Rezession" nach Lehman sei die Underperformance dieses zyklischen Sektors deutlich ausgeprägter gewesen.

Mit dem jüngsten Einbruch der meisten Autotitel habe der Automobilsektor erstmals seit 2016 (der letzten China-Schwäche mit globalen Auswirkungen) wieder eine Underperformance von knapp 20 Prozent erreicht. In "normalen" Konjunkturabschwüngen der vergangenen zehn Jahre und selbst in der Schuldenkrise-Rezession 2012/13 sei das ein angemessener Abschlag, der nicht mehr wesentlich unterschritten wurde.



Europäische Autohersteller im historischen Bewertungsvergleich KGV

Ein ähnliches Bild zeichne das absolute Bewertungsniveau des (europäischen) Autosektors gemessen am Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV): Dieses liege - wie es zu erwarten sei - derzeit bereits weit unter dem historischen Schnitt und auf vergleichbaren Niveaus wie in der letzten europäischen Rezession 2012/13.



Europäische Autohersteller im historischen Bewertungsvergleich Kurs-Buchwert



Auch das Preis/Buchwert-Verhältnis des Autosektors (vor wenigen Jahren noch bei 1,5) liege inzwischen mit rund 0,9 nahe der Bandbreite (0,6-0,9), in denen es in den vergangenen Jahrzehnten das Tief der Bewertung erreicht habe.

Asiatische Autobauer seien im Vergleich dazu fast immer mit einem Aufschlag gegenüber Europa gehandelt worden. Dieser Aufschlag habe sich inzwischen auf fast Null reduziert - insofern wären wie es ergänzend heißt auch asiatische Autobauer ein interessanter Gegenstand einer (separaten) Analyse.



Fazit



Die Industrie befindet sich laut Raiffeisen Research erzeit in einer Rezession, wobei der Automobilsektor zweifelsfrei das Epizentrum darstelle. Am Aktienmarkt werde der Autosektor bereits mit einem entsprechenden Abschlag gehandelt, wie er in ähnlich starken zyklischen Einbrüchen (z.B. 2012 und 2015) zu beobachten gewesen sei.

Zweifelsohne kämpfe die Automobilbranche seit einiger Zeit mit hausgemachten strukturellen Problemen (Stichwort: Dieselskandal) sowie generell mit langsam um sich greifenden Strukturveränderungen. Vor allem die auch medial gehypte E-Mobilität dürfte im Zuge des erstarkten Umweltbewusstseins (CO2-Diskussion) möglicherweise zu einer Kaufzurückhaltung bei den klassischen Verbrennungsmotoren führen, wobei diese durch die technisch noch verbesserungsfähigen und vor allem für den Massenmarkt noch zu teuren Elektroautos noch nicht im ausreichenden Maße kompensiert werden könnten. Allerdings habe die Schwäche ab 2018 zu abrupt eingesetzt, um mit - normalerweise langsam um sich greifenden - strukturellen Faktoren ausreichend erklärt werden zu können.

Dies sei auch der Grund, warum man hier vor allem eine zyklische Schwäche ausmache, die wieder von einer entsprechenden zyklischen Erholung abgelöst werden dürfte. Zudem gebe es bereits erste Anzeichen dafür, dass der Großteil des Einbruchs im Automobilsektor bereits erfolgt sei und sich 2020/21 eine Verbesserung einstellen sollte.

Derzeit seien Signale einer Bodenbildung leider erst sehr zaghaft - es könnte aber einer der spannendsten Sektoren werden, um auf das Ende der globalen Industrie-Rezession 2020 zu setzen - spätestens sobald die Industrie-PMIs wieder nach oben drehten.

Entsprechend der generellen hauseigenen Markteinschätzung von Raiffeisen Research sind die Analysten auch gegenüber dem Automobil-Sektor kurzfristig (drei Monate) "nur" neutral eingestellt. Auf mittlere Sicht (zwölf Monate) ist man aber bereits deutlich optimistischer und erwartet dementsprechend zyklisches Erholungspotenzial, auch wenn der nächste zyklische Hochpunkt angesichts der längerfristigen Strukturprobleme dieses Sektors niedriger ausfallen dürfte als der letzte.