Autohersteller wie Daimler, BMW oder Volkswagen rechnen mit einer längeren Belastung durch Materialengpässe insbesondere bei Halbleitern mindestens bis ins zweite Halbjahr 2022. Das kristallisierte sich auf der Automesse IAA Mobility heraus, die in diesem Jahr erstmals in München stattfindet. Der Autobauer Daimler ließ offen, ob die Absatzprognose für 2021 erneut gesenkt werden muss. Vorstandschef Ola Källenius räumte aber ein, dass der knappheitsbedingte Absatzrückgang des dritten Quartals im vierten Quartal kaum noch aufzuholen sei.
Mittelfristig rechnen die Hersteller jedoch mit einer Überwindung der Krise und einem global weiter boomenden Markt. Insbesondere China, dessen Autokonjunktur zwischenzeitlich schwächelte, soll wieder deutlich zulegen. "China ist das Herz der Autoindustrie. Wir sind sehr optimistisch, dass das Herz bald mit hohem Tempo wieder weiterschlägt", sagte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Der Zulieferer Vitesco erwartet, dass der Weltautoabsatz mittelfristig wieder auf 90 (2021: rund 75) Millionen Fahrzeuge ansteigen und dann weiter moderat wachsen wird.
Vitesco, die frühere Antriebssparte des DAX-Konzerns Conti, steckt selbst mitten im Umbau zur Elektromobilität und gab noch während der Messe den Startschuss zum Börsengang. Im Zuge einer Abspaltung (Spin-off) wird das Regensburger Unternehmen am Donnerstag (16. September) an die Börse gehen. Davon verspricht sich Vorstandschef Andreas Wolf mehr Entscheidungsfreiheit und eine raschere Umsetzung seiner Strategie.
"Hohes Dramapotenzial"
Kontrovers geht es in München unterdessen beim Thema Klima- und Umweltschutz zur Sache. Klimaaktivisten legten zum Messeauftakt mit Protestaktionen auf Brücken zeitwei- se ganze Autobahnabschnitte lahm. Während den Aktivisten der Ausstieg der Autokonzerne aus der Verbrennertechnik viel zu langsam vorangeht, forderten Hersteller wie Volkswagen ihrerseits stärkere Anstrengungen beim Umweltschutz und sehen dabei den Staat beim Ausbau erneuerbarer Energieformen wie Wind- und Solarkraft in der Pflicht.
VW-Chef Herbert Diess rief auf der Messe zu einer Dekarbonisierung der Wirtschaft und zur Elektrifizierung der Industrie auf. Der Autobauer will dazu einen eigenen Venture-Capital- Fonds mit einem Volumen von zunächst 300 Millionen Euro auflegen. Das Geld soll in Projekte und innovative Start-ups fließen.
Der Autoverband VDI, der Deutschlands größte Automesse ausrichtet, hatte sich mit dem Wechsel von Frankfurt nach München auch für ein neues inhaltliches Konzept entschieden. Die IAA sollte nicht allein das Auto im Mittelpunkt haben, sondern den gesamten Bereich der Mobilität.
Mit diesem umstrittenen Ansatz fanden auch zahlreiche Fahrradhersteller den Weg auf die Messe. So mancher Besucher musste sich an das neue Konzept erst gewöhnen. "Ich habe eigentlich Benzin im Blut - das hier ist alles so weichgespült", meinte ein IAA-erfahrener Autoliebhaber, der dem bunten Treiben dann doch positive Seiten abgewinnen konnte.
Auf der Messe keimte die Sorge auf, dass es nach den Chips nun auch bei Batteriezellen und Batterierohstoffen zu Versorgungsengpässen kommen könnte. Der Aufbau von Batteriezellfabriken sowie die Versorgung mit Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel oder Mangan werde mittelfristig zum Engpassfaktor werden, warnte Experte Dudenhöffer. "Das Problem baut sich ab 2024 auf und dürfte 2026 zu einen Produktionsausfall von bis zu 4,4 Millionen Fahrzeugen führen."
Die Produktionsstopps der Autobauer wegen Halbleiterknappheit belasten unterdessen auch immer mehr Zulieferer. "Der Markt ist in Aufruhr", sagte der Geschäftsführer des Zulieferer-Verbands IBU, Bernhard Jacobs. "Die Situation hat für viele Mitgliedsunternehmen hohes Dramapotenzial."