Am Donnerstag soll der Streik auf den Personenverkehr ausgeweitet werden. Erst am Montag sollen die Züge wieder normal rollen. In der Wirtschaft wuchs die Sorge vor Produktionsausfällen wegen ausbleibender Zulieferungen. "Die Schäden können dann schnell von einstelligen Millionenbeträgen auf über 100 Millionen Euro pro Tag ansteigen", warnte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Die Auto-Konzerne, die häufig besonders knapp bei Zulieferungen planen, verlegten Transporte von der Schiene auf die Straße, um sich gegen den Ausstand zu wappnen. Zudem stocken die Unternehmen ihre Lager auf. Vorerst werde der Streik keine Auswirkungen auf die Kunden haben, erklärten Daimler, BMW und Audi. Täglich rollen alleine für die Automobilindustrie rund 200 Züge durch Deutschland.

GDL-CHEF: BAHN MACHT GRUNDRECHT STREITIG

Die Deutsche Bahn mache ihren Beschäftigten das Grundrecht der Koalitionsfreiheit streitig, darüber könne es keine Schlichtung geben, erklärte GDL-Chef Claus Weselsky in Berlin. Der GDL bleibe gar keine andere Möglichkeit, als mit dem Ausstand den Druck auf den Konzern zu erhöhen. Merkel plädierte dagegen wie SPD-Chef Sigmar Gabriel für eine Lösung am Verhandlungstisch.

Im Konflikt zwischen der Bahn und der GDL geht es nur vordergründig um die Gewerkschaftsforderung von fünf Prozent mehr Lohn bei kürzeren Arbeitszeiten. Weit umstrittener ist, dass die GDL dies nicht allein für die 20.000 Lokführer verlangt, sondern auch für rund 17.000 Zugbegleiter und Rangierführer. Die Vertretung dieser Gruppe beansprucht die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) für sich. Die Bahn lehnt konkurrierende Gehaltsabschlüsse ab.

KRITIK DER BUNDESREGIERUNG AN WESELSKY

Ungewöhnlich deutliche Kritik schlug Weselsky aus der Bundesregierung entgegen, die sich gewöhnlich aus Tariffragen mit Blick auf die Unabhängigkeit der Verhandlungspartner heraushält. Kanzlerin Merkel, Wirtschaftsminister Gabriel und Verkehrsminister Alexander Dobrindt rieten der GDL unisono zur Schlichtung. "Ich kann nur an das Verantwortungsbewusstsein appellieren, hier Lösungen zu finden, die für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben - bei aller Wahrung des Rechts auf Streik", mahnte Merkel. Ein Ausstand müsse verhältnismäßig sein. Gerade in Bereichen der Daseinsvorsorge wie dem Verkehr, wo Millionen Bürgern betroffen seien und es um die Zukunft der Wirtschaft gehe, sei von allen Beteiligten ein hohes Maß an Verantwortung notwendig.

SPD-Chef Gabriel warf der GDL in der "Bild"-Zeitung einen Missbrauch des Streikrechts vor, obwohl seine Partei traditionell den Gewerkschaften sehr nahesteht. Dobrindt empfahl der Bahn, notfalls gegen den Streik vor Gericht zu ziehen, falls es nicht zur Schlichtung komme. Der Staatskonzern prüft dies zwar, verspricht sich aber kaum Erfolg.

Die Bahn bemüht sich, während des Ausstands etwa ein Drittel des Fernverkehrs und die Hälfte der Verbindungen im Güterverkehr aufrechtzuerhalten. Im Nahverkehr werde der Konzern in Westdeutschland etwa 40 bis 60 Prozent der Verbindungen anbieten können, sagte Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Im Osten würden wohl etwa 20 Prozent der Nahverkehrszüge fahren. Jeweils 24 Stunden im Voraus sollten die Kunden im Notfall-Fahrplan sehen können, welche Züge auf jeden Fall verkehrten. Im Güterverkehr versuche das Unternehmen, Kraft- und Stahlwerke sowie die Chemie- und Autoindustrie vorrangig zu bedienen.

Personalvorstand Ulrich Weber stellte klar, dass der Konzern zur Schlichtung bereit sei, der GDL aber kein neues Tarifangebot unterbreiten werde. Weber warf der Gewerkschaft vor, sich mit ihrem Verhalten von der bewährten Sozialpartnerschaft zu verabschieden, die Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten Wohlstand, Stabilität und Frieden gesichert habe. Die GDL presse das System einseitig zu ihrem Vorteil aus, respektiere aber nicht die Pflichten, die ihr ebenfalls daraus erwüchsen.

GDL-Chef Weselsky warf der Bahn-Führung im Gegenzug ein perfides und unverschämtes Vorgehen vor. "Wir werden zu keinem Zeitpunkt unsere Grundrechte an der Garderobe abgeben", betonte er. Die Bahn glaube fälschlich, mit Rückendeckung der Politik schon jetzt das geplante Gesetz zur Tarifeinheit in dem Konzern umsetzen zu können. Doch "die Rechtslage ist nun einmal eine andere, und wenn sie nicht so wäre, hätte jedes deutsche Gericht die GDL schon lange gestoppt", betonte Weselsky. Die alleinige Schuld an dem Marathon-Streik trage die Bahn. rtr