boerse-online.de: Sehen Sie neben Uniper bereits weitere Versorger oder andere gasintensive Branchen und Unternehmen, die möglicherweise auch Staatshilfen beantragen müssen?

Carsten Mumm: Bisher wirken sich die massiv gestiegenen Gaspreise vor allem auf Versorger aus, die gestiegene Einkaufspreise aufgrund vertraglich fixierter Verkaufspreise für vorab bestimmte Zeiträume nicht direkt an ihre Kunden durchreichen können. Kurzfristig hängt es daher vom individuellen Risikomanagement und vorhandenen Preisabsicherungsgeschäften jedes einzelnen Unternehmens ab, wie stark die sinkende Marge auf das Ergebnis durchschlägt. Solange nicht die höchste Stufe des "Notfallplans Gas" der Bundesregierung ausgerufen wird und Versorger dann die Genehmigung erhalten, Preissteigerungen kurzfristig durchzureichen, sind andere Segmente der Wirtschaft geschützt, sofern bestehende Abnahmeverträge laufen.

Was passiert, wenn die höchste Stufe des Gasnotfallplans ausgerufen wird beziehungsweise Preise weitergereicht werden können?

Sobald die erhöhten Gaspreise an die Kunden der Versorger weitergereicht werden, könnten vor allem sehr energieintensive Industrien in Schwierigkeiten geraten. Dazu gehören die Aluminium-, Stahl-, Papier- sowie Teile der Chemie- und Nahrungsmittelindustrie. Hier kommt es auf die individuelle Fähigkeit an, auf andere Energieträger auszuweichen oder nur Teile der Produktion weiterlaufen zu lassen, um die Auswirkungen auf einzelne Unternehmen zu bewerten. Spätestens aber eine mögliche Rationierung von Gaslieferungen im Falle eines kompletten Stopps russischer Lieferungen hätte nicht nur für die direkt betroffenen Unternehmen massive Folgen. Wenn deren Produktion etwa von wichtigen Vorprodukten für andere Industrien ausfiele, würden weitere Branchen und Unternehmen ebenfalls weniger produzieren können.

Wie könnten dann staatliche Hilfen am sinnvollsten eingesetzt werden?

In dieser Situation ist die Überbrückung von Härtefällen durch den Staat sinnvoll. Ähnlich wie in der Coronakrise geht es darum, grundsätzlich gesunde Unternehmen vor einer Insolvenz aufgrund eines vorübergehenden, nicht in der Verantwortung des Unternehmens liegenden externen Schocks zu bewahren, um nach der Krise nicht mit sehr viel Aufwand und zeitlicher Verzögerung neue Kapazitäten aufbauen zu müssen.

Welche Unternehmen könnten denn konkret von Rationierungen am stärksten betroffen sein? BASF wird man vermutlich wegen seiner "Systemrelevanz" bei der Rationierung nicht zu stark einschränken. Bei Thyssenkrupp und den ebenfalls "gasintensiven" Autobauern VW, Mercedes und BMW könnte man ähnlich argumentieren. Bleiben mal wieder die Kleinen auf der Strecke, die keine Lobby haben?

Die Festlegung einer Rationierung ist wirklich sehr schwierig. Einerseits wirkt es "unfair", nur kleinere Unternehmen von der Gasversorgung abzuschneiden und große wegen ihrer vermeintlichen Systemrelevanz weiterproduzieren zu lassen. Andererseits muss in diesem Fall wirklich die nationale Tragweite sehen und festlegen, wie man den Schaden für die gesamte Volkswirtschaft möglichst gering hält.

Und wie hält man den Schaden möglichst gering?

Unter diesem Blickwinkel kann es sinnvoll sein, größere Anlagen am Laufen zu halten, damit diese nicht nach der Krise wieder sehr aufwändig hochgefahren werden müssen. Letztlich entscheidend ist aber die Folgenkette der Abstellung etwa einer chemischen Produktionsstätte. Welches sind deren Kunden, die dann keine Vorprodukte mehr erhalten und entsprechend ebenfalls ihre Produktion runterfahren müssen und wie relevant für die nationale Versorgungssicherheit sind diese? Ich denke, man kann nur möglichst detailliert in Einzelfällen entscheiden und nicht pauschal ganze Branchen in eine Art "Gas-Lockdown" schicken. Gut ist ja, dass wir noch einige Wochen Zeit haben, dieses Szenario zu planen. Daher wird es hoffentlich keine unüberlegten Maßnahmen geben.